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Mahnung an Pogrome

Demonstrationen in Magdeburg und Hoyerswerda: Antifaschisten thematisierten rechte Übergriffe und fordern zentralen Gedenktag. Neonazis greifen Kulturprojekt an.

Über Opfer neofaschistischer Gewalt redet man in Sachsen-Anhalts Parlamenten nicht gern. Doch »die noch immer existierende Bedrohung« dürfe man nicht totschweigen, meint die Magdeburger Initiative »Nichts und niemand ist vergessen«. Unterstützt unter anderem von der Mobilen Opferberatung, dem Arbeitskreis Antifa, dem Bündnis »Magdeburg nazifrei« und dem Landesjugendverband der Linkspartei [’solid] erinnerte sie am Samstag an die Toten: Migranten, Punks, linke Jugendliche. Und prangerte »gesellschaftlichen und institutionellen Rassismus, gefälschte Statistiken und das behördliche Bagatellisieren von Übergriffen« an.

Eine Art staatlicher Rassismus sei der schikanöse Umgang mit Flüchtlingen, sagte ein Sprecher auf der Kundgebung in Magdeburg. Dazu gehörten »menschenunwürdige Lager« und »willkürliche, verdachtsunabhängige Kontrollen«. Wie im Fall des Asylbewerbers Lorin Radu. Der damals 21jährige war im Januar 1993 zur Personalienüberprüfung ins Polizeirevier Staßfurt gebracht worden – und kam nie wieder. Ein Polizist hatte ihn unter teils ungeklärt gebliebenen Umständen erschossen. Der Beamte kam mit einer Geldstrafe wegen »fahrlässiger Tötung« davon. In dem Zusammenhang erinnerte die Initiative auch an den Tod des Sierraleoners Oury Jalloh. Fast genau zwölf Jahre später, im Januar 2005, verbrannte er gefesselt im Dessauer Polizeirevier. Thematisiert wurden zudem die »Magdeburger Himmelfahrtskrawalle«. Neofaschisten hatten im Mai 1994 regelrechte Hetzjagden auf Migranten veranstaltet. Eins der Opfer, der 30jährige Algerier Farid Boukhit, wurde von Neonazis mit Holzknüppeln zusammengeschlagen. Laut späteren Zeugenaussagen hatten Polizisten nicht eingegriffen und ließen die Täter laufen. Boukhit landete mit schweren Verletzungen im Krankenhaus, denen er – offenbar – vier Monate später erlag. Die Initiative fordert, daß er offiziell als Opfer rassistischer Gewalt anerkannt wird. Auch dem im Februar 1997 im Alter von erst 17 Jahren ermordeten Punk Frank Böttcher galt das Gedenken. An einer Straßenbahnhaltestelle im Magdeburger Stadtteil Olvenstedt überfielen ihn mehrere Skinheads und fügten ihm mit Messerstichen und Tritten gegen den Kopf tödliche Verletzungen zu. Ebenso wurde an den Tod des 20jährigen Rick Langenstein erinnert, den ein Neonazi im August 2008 in Magdeburg-Reform derart zusammenschlug, daß er an seinem eigenen Blut erstickte.

Das erste Todesopfer durch rechte Gewalt in Sachsen-Anhalt nach der »Wende« war Torsten Lamprecht. Im Mai 1992 feierte der 23jährige mit 30 Freunden einen Geburtstag in der Magdeburger Gaststätte »Elbterrassen«, als rund 60 Neonazis ohne Vorwarnung mit Baseballschlägern, Stahlrohren und Leuchtkugeln angriffen. »Panisch versuchten die Opfer zu fliehen; Polizisten, die die ganze Zeit vor Ort waren, halfen nicht, nicht einmal, als ich sie darum bat«, erinnerte sich der Wirt später. Die Täter flüchteten, zurück blieben zwei Dutzend teils Schwerverletzte. Für Lamprecht kam jede Hilfe zu spät. »Uns ist es wichtig, niemanden zu vergessen. Wir wollen die Taten und deren Begünstigungen durch staatliche Institutionen offen benennen«, so die Initiative. Deshalb will sie einen zentralen Gedenktag in Magdeburg etablieren sowie Straßen und öffentliche Orte nach den Opfern benennen. Am Freitag hatte die Initiative symbolisch eine Brücke nach Torsten Lamprecht benannt.

Auch im sächsischen Hoyerswerda, Schauplatz ausländerfeindlicher Angriffe auf Wohnheime von Vertragsarbeitern und Flüchtlingen 1991, fand eine Demonstration der Initiative »Pogrom 91« statt. Unter dem Motto »Rassismus tötet« forderten laut Darstellung der Veranstalter rund 500 Menschen 21 Jahre nach den Krawallen ein Denkmal und Entschädigungen für die Opfer. In Redebeiträgen wurde rassistische Gewalt in Deutschland und die Situation von Flüchtlingen thematisiert. Vorab hatten Neonazis über Facebook und Schmierereien in der Stadt angekündigt, die Gedenkveranstaltung stören zu wollen. Am ehemaligen Vertragsarbeiterheim, einem Schauplatz der Ausschreitungen von 1991, bepöbelten etwa 25 Neonazis die Demonstrierenden. Am Samstagabend sollen Neofaschisten nach Angaben der Kampagne »Rassismus tötet« ein Kulturprojekt in Hoyerswerda angegriffen haben. Die Teilnehmer einer alternativen Party hätten sich verbarrikadieren müssen, so ein Kampagnensprecher.