Im folgenden der Wortlaut des zweiten Befangenheitsantrags vom 1. Prozesstag. Verteidiger Detlef Hartmann lehnte für seine Mandantin Sonja Suder die Richter_innen des Gerichts wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
In der Strafsache gegen Sonja Suder lehnt meine Mandantin Frau Suder die Vorsitzende Richterin am Landgericht Frau Stock und die Richterin am Landgericht Frau Möhrle wegen der Besorgnis der Befangenheit ab.
A. Frau Suder sieht den Grund ihrer Besorgnis im Beschluss vom 20.12.2011, an dem die abgelehnten Richterinnen mitgewirkt haben. Darin haben sie zu ihren Lasten dem Kronzeugen Klein die Glaubwürdigkeit bescheinigt und zwar vor Eröffnung des Verfahrens und ohne die Beweisaufnahme erst abzuwarten. Sie haben damit eine innere Haltung zum Ausdruck gebracht, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinträchtigt.
I. Die Darstellung der Anklageschrift
Bei der Begründung des Vorwurfs einer Beteiligung am Überfall auf die in Wien tagende Konferenz der Organisation erdölexportierender Staaten (OPEC), bei dem drei Personen ums Leben gekommen sind, stützt sich die Anklage allein auf die Angaben des Kronzeugen Hans-Joachim Klein. Klein habe in seinen Vernehmungen zwei Dinge behauptet. Erstens: Frau Suder sei im Spätherbst 1975 bei einem Treffen im Frankfurter Stadtwald neben anderen Personen anwesend gewesen. Bei diesem Treffen sei ihm der Wunsch des Leiters der Aktion „Carlos“ mitgeteilt worden sei, er möge daran teilnehmen. Wortführerin sei Frau Kuhlmann gewesen. Zu Verhalten und Gesprächsbeteilung der anderen Personen machte er keine Angaben. Nachdem er sich Bedenkzeit aus erbeten habe, sei es etwas später zu einem zweiten Treffen im Stadtwald gekommen. Wer an diesem außer Frau Kuhlmann teilgenommen habe, wisse er nicht mehr. Zweitens: Frau Suder wird in der Anklageschrift der Transport von Waffen und Sprengstoff an den Tagungsort Wien zur Last gelegt. Hierzu habe Klein angegeben, dass sich die Lieferung der von Libyen versprochenen Waffen verzögert habe. Der mitbeteiligte Boese habe auf Bitten von „Carlos“ telefonisch in Deutschland die Verbringung von geeigneten Waffen und Sprengmittel angeordnet. Diese seien von Frau Suder und einer anderen weiblichen Person nach Wien gebracht worden. Die Waffen seien aber sofort wieder zurücktransportiert worden, da die zugesagten Waffen aus Libyen eingetroffen seien. Darüber hinaus wird ihr nichts zur Last gelegt. Weitere Beweismittel als der Kronzeuge Klein werden weder angeboten, noch behauptet.
II. Der Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls
Im Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls vom 13.12.2011 hat die Verteidigung einen dringenden Tatverdacht und damit hinreichenden Fluchtanreiz bestritten. Sie machte geltend, dass Klein als Kronzeugen schon jetzt kein Glauben geschenkt werden könne und dass ihm das Schwurgericht Frankfurt im Jahre 2001 bei einer ähnlich begründeten Anklage keinen Glauben geschenkt habe. Als Kronzeuge habe er sich durch seine Angaben zu Lasten von Frau Suder erhebliche Vorteile verdient.
Er sei u. a. wegen drei Morden mit Urteil des Schwurgerichts Frankfurt – in dem Verfahren gegen Klein und Schindler – 5/21 Ks 51 Js 118/86 – zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren unter Anwendung der Kronzeugenregelung verurteilt worden. Die von der Rechtslehre erhobenen starken Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Angaben eines „Kronzeugen“ (Karlsruher Kommentar zur StPO, 3. Aufl., Einleitung Rdnr. 32 b) gälten auch in seinem Fall. Falschbelastungen seien „vorprogrammiert“, ihre Korrektur sei fraglich, wenn der Kronzeuge einmal eine bestimmte Strategie gewählt habe. Das Schwurgericht habe den Angaben Kleins zu Lasten seines Mitangeklagten kein Vertrauen geschenkt.
Das Schwurgericht hat in einer sehr detaillierten und gründlichen Beweiswürdigung auf 30 Seiten die Widersprüche in den Angaben Kleins zusammengetragen. Dabei hat es auch die Widersprüche in den Angaben über die hier angeklagte Frau Suder in ihre Würdigung der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen Klein einbezogen mit folgendem Ergebnis: „Dabei kann sowohl aus objektiven Gründen (so dem Umstand, dass kein Motiv – Fettdruck nicht im Original – ersichtlich ist, warum KLEIN S. schützen, SCH. dagegen zu Unrecht belasten sollte) wie auch aufgrund des Eindrucks, den die Kammer von KLEIN im Lauf der Hauptverhandlung gewonnen hat, davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte zu S. und auch (wie noch zu erörtern sein wird) zu SCH. nicht bewusst die Unwahrheit sagt, sondern nach einem unter schwierigsten Bedingungen verbrachten Vierteljahrhundert schlicht an die Grenzen seiner Erinnerungsfähigkeit gestoßen ist. KLEIN gelingt es – wie sein Verhalten in der Hauptverhandlung belegt – nur schwer, Angaben, die er einmal in der Überzeugung ihrer Richtigkeit gemacht hat, auf begründeten Vorhalt hin nochmals gründlich zu durchdenken und gegebenenfalls richtigzustellen“. (Urteil Seite 56)
In sehr detaillierten Erörterungen setzt sich das Schwurgericht mit den Angaben von Klein und seinen Unsicherheiten hinsichtlich der Identifizierung auseinander: „Schon diese Merkwürdigkeiten rechtfertigen Zweifel, ob die von KLEIN im Rahmen der Lichtbildvorlage vom 02.09.1999 vorgenommene Gleichsetzung von SCH., “Max” und „Sharif“ zuverlässiger Erinnerung entspringt und ob es sich bei SCH. tatsächlich um die von KLEIN dem Kreis der vier “Logistiker” zugerechnete Person handelt oder ob KLEIN nicht vielmehr nach etwa 25 Jahren Klarnamen, Decknamen und Personen durcheinandergebracht bzw. falsch miteinander kombiniert hat. : …
Diese Zweifel werden durch seine Angaben bei der ausführlichen Lichtbildvorlage vom 02.09.1999 weiter verstärkt. Hier erkannte KLEIN zwar den auf Bild 25 gezeigten –SCH. “genau wieder”, war aber nicht imstande, dessen Namen oder Decknamen zu nennen, obwohl er beide zuvor bereits in mehreren Vernehmungen erwähnt hatte. Auch auf den entsprechenden Vorhalt kam er nur zu der Aussage, es handle sich “wohl” um SCH. bzw. “Max” / “Sharif”. Die dadurch zum Ausdruck gebrachte Unsicherheit vergrößerte er anschließend noch durch die Formulierung, er “nehme an”, dass diese Person in Wien gewesen sei. Wer sich derart vage ausdrückt, kann die entstandenen Zweifel auch nicht dadurch wieder beseitigen, dass er bei einer weiteren Betrachtung des Lichtbildes plötzlich ohne Begründung erklärt, er erkenne nun darauf Rudolf SCH. wieder, dieser habe in Deutschland den Decknamen “Max” und später im Jemen “Sharif” geführt.
Die Zweifel an der Identifizierungssicherheit bei der Lichtbildvorlage vom 02.09.1999 werden noch durch weitere Umstände bestärkt. So benannte KLEIN hier, obwohl er diesbezüglich zuvor nie von einer weiteren Frau gesprochen hat, erstmals Sonja Suder als Teilnehmerin der Anwerbung im Stadtwald – allerdings ohne deren Nachnamen oder Decknamen (obwohl sie ihm bereits von der französischen Polizei genannt worden waren) zu erinnern. Auch war diese ihm plötzlich als Mitglied der Frankfurter RZ in Erinnerung, obwohl er in seinen vorherigen Vernehmungen angegeben hatte, von der RZ in Frankfurt außer Kuhlmann und Boese nur W., SCH. sowie einen Mann zu kennen, der ständig mit SCH. in Frankfurt zusammen gewesen sei. Ebenfalls zum ersten Mal wurde im Rahmen dieser Lichtbildvorlage Sonja Suder der Transport der RZ-Waffen nach Wien zugeschrieben….
Ganz problematisch zeigt sich sein Gedächtnis bei seinen Angaben zu den Lichtbildern 2 und 32, von denen das erste Harald W. und das zweite Horst K. zeigt. Zunächst erkannte er auf Bild 2 eines der beiden RZ-Mitglieder aus Frankfurt wieder, die – wie er es in früheren Vernehmungen gesagt habe – “immer zusammen waren” (er meinte offensichtlich den Mann, von dem er z.B. in der Vernehmung vom 11.08.1999 berichtet hatte, dieser und SCH. seien in Frankfurt ständig zusammen gewesen). Bei Betrachtung des Lichtbilds 32 änderte er (obwohl beide Personen keine eine Verwechslung erklärende Ähnlichkeit aufweisen) diese Identifizierung und behauptete nun, er sei sich sicher, diese Person mit derjenigen auf Bild 2 verwechselt zu haben, richtigerweise sei der Mann auf Bild 32 (das hieße also K.) der Frankfurter, der stets mit dem auf Bild 25 zusammen gewesen sei. Bei einer erneuten Vorlage der Fotos, diesmal unter Bekanntgabe der Namen, schwand die zuvor bekundete Sicherheit wieder und er erklärte sich zu Bild 32 jetzt “verunsichert, ob die Angaben, die (er) zu dieser Person gemacht habe, tatsächlich zutreffend (seien) oder ob sie nicht die Person Harald Winkler, Bild 2, betrifft.” Die hier zum Ausdruck gekommene Unsicherheit ist hinsichtlich SCH. deshalb von Bedeutung, weil KLEIN die enge Beziehung zwischen beiden immer wieder auch zur Begründung seiner Erinnerung an seinen Mitangeklagten anführt.
Ein ähnlich schwaches Erinnerungsvermögen offenbaren seine Bekundungen bei der Lichtbildvorlage hinsichtlich Anwesenheit und Aufgaben der angeblich auf den Bildern 25 und 32 (bzw. 2) wiedererkannten Personen. Während er zuerst behauptet hatte, beide hätten die logistische Unterstützung in Wien geleistet, schränkte er diese Angabe schon wenige Sätze später dahin ein, er könne sich doch nicht erinnern, ob diese beiden in Wien gewesen seien; er gehe zwar davon aus, dass sie dort gewesen seien, sicher sei er sich aber lediglich „zu 90 %”. (Urteil S. 116 ff)
Wer diese Auflistung all der Widersprüche, Unsicherheiten, Ungenauigkeiten und die daraus gezogene Schlussfolgerung im Urteil des Schwurgerichts verfolgt, fragt sich, wie jemand überhaupt noch auf die Idee kommen kann, eine Beschuldigung gegen die Angeklagte Suder allein auf die Angaben des Kronzeugen zu stützen.
Besondere Aufmerksamkeit kommt dem Umstand zu, dass der Kronzeuge Klein in der Hauptverhandlung seine Angaben geändert hat. Im Urteil heißt es hierzu: „Den Mitangeklagten SCH. habe er in Wien nie gesehen, auch nicht in dem Haus außerhalb von Wien. Er habe lediglich von Boese in Wien erzählt bekommen, „Max“ sei in Wien und kümmere sich um die Autos…. Als ihm daraufhin seine anders lautenden Angaben im Ermittlungsverfahren vorgehalten wurden, erklärte er, er habe damals gegenüber den Ermittlungsbehörden schlicht vergessen hinzuzufügen, dass er von SCHs. Anwesenheit in Wien nur durch Boeses Erzählungen wisse…. Zu Sonja Suder äußerte er, dass diese und eine weitere Frau den Transport der RZ-Waffen nach Wien durchgeführt hätten, wisse er ebenfalls nur aus einem Bericht Boeses. Diese überraschende Einlassung änderte er am folgenden nächsten Verhandlungstag, indem er durch seinen Verteidiger erklären ließ, er erinnere sich doch mit „Sicherheit“ daran, dass er „Sharif, nämlich SCH., und Frau Suder in Wien selbst gesehen habe…. Es könne sein, dass er ihn auch in der (für die Aktion angemieteten) Wohnung der Kammersängerin, und zwar beim „cleanen“ der Wohnung, gesehen habe. Dort habe er auch Frau Suder gesehen, die Boese, als sie mit den RZ-Waffen nach Wien gekommen sei, abgeholt und mit den Waffen dort hin gebracht habe. Seine anfänglich anders lautende Aussage begründete Klein damit, dass er es nicht über sich gebracht habe, gegen sein bisheriges festes Prinzip zu verstoßen, nur über seine eigene Beteiligung am OPEC-Attentat zu sprechen, um nicht zum Verräter zu werden. Zwar habe er in den polizeilichen Vernehmungen dieses Prinzip bereits zunehmend aufgegeben gehabt, aber in der Hauptverhandlung nicht noch den letzten Schritt tun wollen. Jetzt wolle er seine Schuld tragen, sehe aber, dass auch SCH. und Suder im Zusammenhang mit dem OPEC-Attentat ihre Verantwortung übernehmen müssen.“ ( UA S. 114 f).
III. Haftfortdauerbeschluss der abgelehnten Richter vom 20.12. 2011
In der Begründung des Beschlusses heißt es: „Die Angeschuldigte macht geltend, Hans-Joachim Klein könne nicht als glaubwürdiger Zeuge angesehen werden. Da er als Kronzeuge ausgesagt habe, seien seine Angaben mit besonderer Vorsicht zu würdigen. Zudem seien seine Aussagen nicht konstant und nicht frei von Widersprüchen.
……
In der Hauptverhandlung des gegen ihn gerichteten Verfahrens von Oktober 2000 bis Februar 2001 gab Klein zwar zunächst an, er wisse nur aus einem Bericht Boeses, dass die Angeschuldigte den Waffentransport nach Wien durchgeführt habe. Doch bereits am folgenden Verhandlungstag berichtigte er sich dahingehend, dass er sich mit Sicherheit daran erinnere, die Angeschuldigte gesehen zu haben, als sie mit den RZ-Waffen nach Wien gekommen sei. Er erklärte die Änderung seiner Aussage damit, er habe zunächst nicht auch noch in der Hauptverhandlung – wie zuvor bereits in seinen polizeilichen Vernehmungen – zum „Verräter“ werden wollen.
Die Kammer ist sich des Umstandes bewusst, dass dieses Aussageverhalten Fragen aufwirft, deren Klärung jedoch ebenso wie die abschließende Bewertung der Angaben des Hans-Joachim Klein der etwaig durchzuführenden Hauptverhandlung vorbehalten bleiben. Nach dem derzeitigen Stand spricht jedenfalls deutlich mehr für eine Waffenlieferung durch die Angeschuldigte als dagegen, denn ein Motiv für eine Falschbelastung ist bei Klein nicht ansatzweise ersichtlich (Hervorhebung nicht im Original). Die – vom einen Hauptverhandlungstag abgesehen – vorliegende Aussagekonstanz spricht gegen Erinnerungslücken, die sogar gravierend wären, dass man sich gar nicht mehr nach der Aussage richten könnte.
Die Verteidigung der Angeschuldigten betont nunmehr zudem, die Lieferung von Sprengstoff – der beim Anschlag im Gegensatz zu den Waffen auch Verwendung gefunden habe – durch die Angeschuldigte, finde in den Angaben von Klein keine Stütze. Jener habe vielmehr nur von Waffen gesprochen. Die Kammer versteht die Begründung des Urteils gegen Hans-Joachim Klein jedoch so (Hervorhebung nicht im Original), dass jener in der Hauptverhandlung auch detailliert vom Sprengstoff berichtete. Auf S. 29 des Urteils ist aufgeführt, welche Waffen geliefert wurden. Dabei sind auch „15 bis 20 kg Sprengstoff nebst Zündern“ erwähnt. Auf S. 58 des Urteils werden die in diesem Abschnitt getroffenen Feststellungen auf die „glaubhafte Einlassung Kleins“ zurückgeführt. Im Beschluss vom 02.09.2009 wird ferner darauf verwiesen, dass Klein bereits im Buch „Rückkehr in die Menschlichkeit“ die Lieferung des Sprengstoffs schilderte.
Die Kammer verkennt nicht, dass die bezüglich der Waffenlieferung nach Wien bestehende Aussagekonstanz in den Angaben des Hans-Joachim Klein hinsichtlich der Rekrutierungsgespräche im Frankfurter Stadtwald weniger stark vorhanden ist. Insbesondere für das 2. Treffen, bei dem er erfolgreich angeworben worden sein soll, erscheint es nicht völlig gesichert (Hervorhebung nicht im Original), dass der Angeschuldigten eine Teilnahme nachzuweisen sein wird, da Klein zu jenem Treffen eher vage Angaben gemacht hat. Ansonsten äußerte er zum Treffen nicht in jeder Vernehmung, die Angeschuldigte sei dabei gewesen. Teilweise erwähnte er sie gar nicht, zum Teil erwähnte er ihre Teilnahme und wiederum anderem Zusammenhang gab er sogar an, sie sei es gewesen, die ihn auf das geplante Attentat angesprochen habe. Mit Verweis auf den Beschluss vom 02.09.2009 ist diesbezüglich festzustellen, dass unauflösbare Widersprüche nicht bestehen, sodass zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen und der Glaubhaftigkeit seiner Angaben dessen Einvernahme in der etwaig durchzuführenden Hauptverhandlung abzuwarten ist.“ (Seite 4 ff )
IV. Gründe für die Besorgnis der Befangenheit
1. Die Angeklagte Frau Suder muss befürchten, dass die abgelehnten Richterinnen sich auf einen Kronzeugen stützen wollen, der bereit ist, vor Gericht bewusst zu lügen und bewusst seine Angaben zu manipulieren.
Der Kronzeuge Klein hat ganz offen zugegeben, seine Angaben bewusst geändert und damit seine Darstellung dem Gericht gegenüber bewusst manipuliert zu haben. Darüber hinaus benennt er sogar das „Motiv“ der Manipulation: er habe „nicht zum Verräter“ werden wollen. Diese Manipulation geht nicht auf einen bloßen Wechsel in der Darstellung. Vielmehr wird zunächst dem Gericht gegenüber die Behauptung aufgestellt, „er habe damals gegenüber den Ermittlungsbehörden schlicht vergessen hinzu zu fügen, dass er von SCHs. nur durch Boeses Erzählungen wisse.“ Er behauptet also ein positives Wissen von seiner damaligen Falschdarstellung bei der Polizei, die er nunmehr korrigieren und richtig stellen wolle. Wenn er danach wieder zu sowohl Schindler, als auch die Angeschuldigte Suder belastenden Angaben zurückkehrte, geschah dies im bewussten Eingeständnis einer absichtlichen Falschdarstellung und Manipulation der Wahrheit vor dem erkennenden Gericht.
Die abgelehnten Richterinnen behandeln dieses manipulative Verhalten unter dem Gesichtspunkt der „Aussagekonstanz“: „Insbesondere ist festzustellen, dass die Aussagen des Hans-Joachim Klein hinsichtlich der Waffenlieferung nach Wien durch die Angeschuldigte durchaus über Jahre hinweg konstant waren.“ (S. 4) Das waren sie aber eindeutig nicht. Die kontrafaktische Behauptung der „Aussagekonstanz“ geht zu Lasten der Angeschuldigten und an dem Sinn des Kriteriums für Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Verlässlichkeit völlig vorbei. In den vielen richterlichen Entscheidungen zur Bedeutung der „Aussagekonstanz“ in Fällen der Konstellation „Aussage gegen Aussage“ und den damit verbundenen Schwierigkeiten der Beweiswürdigung werden hohe Anforderungen an die Aussagekonstanz darum gestellt, um das Erfordernis einer ausreichenden Sicherheit und Grundlage für das Vertrauen in die Aussage eines Zeugen zu betonen. Dies schließt aber Fälle nicht ein, in denen der Zeuge selbst bekundet, er habe in den in die Beurteilung einbezogenen Fällen absichtlich auch die Unwahrheit gesagt. Hier hat das Kriterium der Aussagekonstanz seine Bedeutung völlig verloren. Die höchstrichterliche Rechtsprechung sieht sich in solchen Fällen außerstande, dem Angeklagten den Beweiswert einer seinen Angaben entgegenstehenden Darstellung zur Last zu legen. Dies aber tun die abgelehnten Richterinnen. Um es deutlich auszudrücken:
sie halten einem willentlichen und eingestandenen Lügner einen uneingeschränkten Wahrheitswert seiner Angaben zu Gute und zwar zu Lasten der Angeschuldigten.
Über den Motivkomplex, der ihn in seinem Willen zur Lüge und zur Manipulation bestimmt hat, hat der Kronzeuge – zu mindestens ansatzweise – Auskunft gegeben. Einmal war dies das Ziel, „nicht als Verräter“ zu agieren und nicht gegen das „bisherige feste Prinzip“ zu verstoßen, nur über seine eigene Beteiligung am OPEC-Attentat zu sprechen. Das habe er aber in seinen polizeilichen Vernehmungen „zunehmend aufgegeben gehabt, aber in der Hauptverhandlung nicht auch noch den letzten Schritt tun wollen“. Nun hat er allerdings diesen „letzten Schritt“ schon zuvor im Verlauf der Hauptverhandlung vollständig durch Belastung anderer Personen getan. Hierin, jetzt auch den letzten Schritt tun zu wollen, kann also das Motiv für seine Bereitschaft zur Manipulation nicht liegen. Nachdem er zuvor noch, und zwar auch „in der Hauptverhandlung“, erklärt hat, er habe gegenüber den Ermittlungsbehörden schlicht vergessen hinzuzufügen, dass er von dem Transport der RZ-Waffen nach Wien nur vom Hörensagen wisse, legt er nunmehr das Motiv für seine Aussageänderung offen: „…Jetzt wolle er seine Schuld tragen, sehe aber, dass auch SCH. und Suder im Zusammenhang mit dem OPEC-Attentat ihre Verantwortung übernehmen müssen.“ Im Klartext: um seine Schuld zu „tragen“, oder besser: „tragbar“ zu machen, wolle er andere in die Schuldverantwortung einbeziehen. Das klassische Kronzeugenmotiv, sich selbst Vorteile dadurch zu verdienen, dass man andere der Verurteilung überantwortet, drängt sich hier im Kontext einer bewussten Aussagenmanipulation regelrecht auf.
Es soll hier nicht behauptet werden, dass mit den genannten Motiven für Lüge und Manipulation alle Motive erfasst sind, die den Kronzeugen bestimmt haben. Indes, die abgelehnten Richterinnen drücken mit der Formulierung: „…ein Motiv für eine Falschbelastung ist bei Klein nicht ansatzweise ersichtlich“ nicht nur aus, dass ein Motiv nicht festgestellt werden könne. Sie erklären, dass es objektiv keinen erdenklichen Ansatz für eine Interpretation der Aussagen gebe, die zur Annahme eines Motivs für eine Falschbelastung führen könne. Sie behaupten damit, dass ein Motiv für eine Falschbelastung aus dem Akteninhalt nicht vorstellbar und damit auszuschließen sei.
Hingegen drängen die im Urteil des Schwurgerichts behandelten massiven Widersprüche und Falschangaben Kleins immerhin die Möglichkeit eines Motivs auf, ohne dass es nun explizit dargelegt werden müsste. Sie stellen jedenfalls einen Ansatz dar, die Möglichkeit eines Motivs in Betracht zu ziehen, da kein Anlass besteht, von motivfreiem Verhalten auszugehen. Die kategorische Feststellung durch die abgelehnten Richterinnen muss bei der Angeschuldigten die Besorgnis wecken, dass sie sich – trotz entgegenstehendem Akteninhalt – schon dafür entschieden haben, von der Glaubwürdigkeit des Zeugen Klein auszugehen und für Zweifel an ihr keinen Ansatz mehr sehen.
2. Die Sprengstofflieferung
Einen weiteren Grund für ihre Besorgnis der Befangenheit sieht die Angeschuldigte darin, dass die abgelehnten Richterinnen aus der Begründung des Urteils nähere Angaben von Hans-Joachim Kleins über die Anlieferung von Sprengstoff ziehen. Die Erwähnung von „15 bis 20 kg Sprengstoff nebst Zündern“ finden die abgelehnten Richterinnen in dem Geschehensbericht im Rahmen der Urteilsfeststellungen. Lediglich pauschal werden auf S. 58 des Urteils die getroffenen Feststellungen auf die „glaubhafte Einlassung Kleins“ zurückgeführt, die in diesem Rahmen übliche formelhafte Wendung. Die abgelehnten Richterinnen behaupten jedoch selbst nicht, dass und wie Hans-Joachim Klein einen detaillierten Bericht zur Lieferung des Sprengstoffs abgegeben hat. Sie „verstehen“ die Begründung dieses Urteils lediglich aus dieser formelhaften Wendung am Schluss der Tatsachenfeststellungen in diese Richtung. Dabei ist bemerkenswert, dass Hans-Joachim Klein in keiner formellen Vernehmung vor dieser Hauptverhandlung davon berichtet hat, dass der durch RZ Mitglieder angelieferten Sprengstoff überhaupt benutzt worden ist. Er erwähnt dies nur in seinem Buch „Rückkehr in die Menschlichkeit“, das nach eigenen Aussagen in vielen Punkten gelogen ist.
Die Angeschuldigte muss besorgen, dass die abgelehnten Richterinnen bereit sind, ihr die Lieferung des Sprengstoffs auch ohne Anhaltspunkt für einen Beweis im Rahmen der Entscheidung über die Haftfrage zur Last zu legen.
3. Die Anwerbungen im Stadtwald
Zur angeblichen Anwerbung Kleins heißt es in der Entscheidung der abgelehnten Richterinnen: „Insbesondere für das zweite Treffen, bei dem er erfolgreich angeworben worden sein soll, erscheint es nicht völlig gesichert (Betonung nicht im Original), dass der Angeschuldigten eine Teilnahme nachzuweisen sein wird, da Klein zu jenem Treffen eher vage Angaben gemacht hat. Ansonsten äußerte er zum ersten Treffen nicht in jeder Vernehmung, die Angeschuldigte sei dabei gewesen. Teilweise erwähnt er gar nicht, zum Teil erwähnt er ihre Teilnahme und in wiederum anderem Zusammenhang gab er sogar an, sie sei es gewesen, die ihn auf das geplante Attentat angesprochen habe“ (S. 5 f).
Klein hat nie behauptet, dass Frau Suder bei dem zweiten Treffen dabei gewesen sei. Gleichwohl erscheint es den abgelehnten Richterinnen lediglich als „nicht völlig gesichert“, dass ihr eine Teilnahme nachgewiesen werden könne. Dies kann im gegebenen Kontext nur als ein Grad der Sicherheit verstanden werden, der unmittelbar unterhalb der „völligen Sicherheit“ angesiedelt ist, sie jedoch nicht ganz erreicht. Ein Grad der fast völligen Sicherheit jedenfalls, der für die Annahme eines dringenden Verdachts ausreicht. Mit welchem Beweismittel sie ihre angegebene Unsicherheit beseitigen wollen, ist nicht erkennbar, denn andere Beweismittel als die Angaben Kleins liegen nicht vor und Klein hat in der damaligen Hauptverhandlung angegeben: „Da er sich Bedenkzeit auserbeten habe, sei es dann etwas später zu einem zweiten Treffen im Stadtwald gekommen. Wer an diesem außer Kuhlmann teilgenommen habe, wisse er nicht mehr. (Urteil S. 107)
Während die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift die unterschiedlichen Angaben von Klein aufführt, ohne diese in ihrem Beweiswert zu gewichten, lassen die abgelehnten Richterinnen erkennen, was sie unter einer „vorläufigen Bewertung“ verstehen: Selbst wenn der Zeuge angibt, dass er nicht (mehr) wisse, wer bei dem zweiten Treffen außer Kuhlmann dabei gewesen wäre, erscheint dennoch der Nachweis der Teilnahme von Frau Suder lediglich als „nicht völlig gesichert“.
Das Schwurgericht Frankfurt kommt nach einer Hauptverhandlung von vier Monaten zu einer gänzlich anderen Beurteilung der Aussage- und Erinnerungsfähigkeit von Klein hinsichtlich beider Treffen im Stadtwald: „Während die Angaben in Bezug auf Brigitte Kuhlmann eine eindeutige Konstanz aufweisen und deshalb (zumal die Mitwirkung der Anführerin der RZ bei einer so wichtigen Aktion auch naheliegend ist) glaubhaft sind, kann auf die wechselnden Ausführungen zu den weiteren Teilnehmern der Treffen (Hervorhebung nicht im Original) im Stadtwald keine tragfähige Feststellung gestützt werden.“ (Urteil S. 108)
Selbstverständlich ist die Kammer, sind die abgelehnten Richterinnen, nicht an die Beweiswürdigung des Schwurgerichts aus dem Jahre 2001 gebunden. Ohne die Benennung weiterer – anderer – Beweismittel, die für eine Teilnahme sprechen, ist eine Bewertung der abgelehnten Richterinnen, dass die Teilnahme noch nicht völlig gesichert sei, also letztlich zwar bewiesen, aber noch nicht zu 100 % bewiesen sei, nur als eklatanter Ausdruck einer Befangenheit gegenüber der Angeklagten Frau Suder zu betrachten.
Die abgelehnten Richterinnen gründen ihre Behandlung der Frage der Teilnahme an dem Treffen im Stadtwald auf die Angaben des Hans-Joachim Klein zum Zeitpunkt der Entscheidung. Die Anwesenheit bei einem ersten Treffen ist auf dem Hintergrund eklatanter Divergenzen und Unsicherheiten sehr zweifelhaft. Die Anwesenheit bei dem zweiten Treffen hat Klein jedoch nie behauptet. Gleichwohl erachten es die abgelehnten Richterinnen für gesichert, wenn auch (noch) nicht völlig gesichert, dass der Angeschuldigten eine Teilnahme nachzuweisen sein wird. Denn anders ist im Begründungskontext die Wortwahl „erscheint es nicht völlig gesichert“ nicht zu verstehen. Der Grad der zum gegenwärtigen Zeitpunkt gewonnenen Sicherheit des Nachweises ist für die Besorgnis der Angeschuldigten nicht entscheidend. Es reicht, dass sie davon ausgehen muss, dass die abgelehnten Richterinnen von einer für die Haftentscheidung und den dringenden Tatverdacht hinreichenden Sicherheit ausgehen, dass sie mithin bereit sind, ihr ohne Grundlage diese Teilnahme zur Last zu legen.
4. Identifizierungsunsicherheit
Auch in Anbetracht der völlig unzureichenden Identifizierungssicherheit des Kronzeugen Klein nach Lichtbildvorlagen, hätte einen Irrtum hinsichtlich eines Wiedererkennens von Personen bei einer vorläufigen Beurteilung nicht im Vorhinein ausgeschlossen werden dürfen.
Die Ausführungen des Schwurgerichts hierzu sind bereits oben ausführlich zitiert worden. Dies geschah darum, weil in ihnen deutlich und nachvollziehbar wird, mit welcher Genauigkeit das Schwurgericht sich mit den Angaben Kleins auseinander gesetzt hat. Hierzu besteht im Rahmen einer Haftbeschwerde sicherlich keine Veranlassung. Die Ausführungen des Haftfortdauerbeschlusses lassen aber bei der Angeklagten den begründeten Verdacht entstehen, dass die abgelehnten Richterinnen diese Erkenntnis des Schwurgerichts überhaupt nicht in ihre – vorläufige – Beurteilung einfließen lassen wollen, die darum selektiv, unausgewogen und tendenziös wirkt.
Die Wahrnehmung und Behandlung der Angaben Kleins müssen bei Frau Suder zu dem Schluss führen, dass es sich bei der Formulierung „die abschließende Bewertung der Angaben des Hans-Joachim Klein (müsse) der etwaig durchzuführenden Hauptverhandlung vorbehalten bleiben“ nur um einen floskelhaften Vorbehalt handelt. Sie muss vielmehr besorgen, dass sich die abgelehnten Richter schon ein festes Bild von der Glaubhaftigkeit und Aussagefähigkeit des Zeugen Klein gemacht haben.
B. Frau Suder muss die Befangenheit der Vorsitzenden Richterin Frau Stock auch darum besorgen, weil diese sie in ihrem Anspruch auf ein zügiges Verfahren verletzt und sie ohne Grund einer Verlängerung der Verfahrensdauer aussetzen.
Die Anklageschrift gegen beide Angeklagte ist mit Akten am 26.10.2011 beim erkennenden Gericht eingegangen (Hauptakte Bd. 38, Bl. 898). Die Akten enthalten umfassendes Material und gutachterliche Erkenntnisse zu den Folgen des Herzstillstands des Angeklagten Gauger im Jahr 1998, das die Möglichkeit der Verhandlungsunfähigkeit aufdrängte. Schon vor Anklageerhebung war die Verhandlungsunfähigkeit in einer Haftbeschwerde der Verteidigung des Angeklagten Gauger geltend gemacht worden. Dies hätte sofort mit Eingang der Anklageschrift ex officio zur Einholung eines Gutachtens zwecks Klärung der Verhandlungsfähigkeit führen müssen, um Verfahrensverzögerungen zu vermeiden. Vor Seiten der abgelehnten Richterin geschah jedoch nichts. Sie musste vielmehr durch einen Anruf des Verteidigers des Angeklagten Gauger Rechtsanwalt Fresenius hiermit befasst werden. Den Inhalt des Telefongesprächs legte die abgelehnte Richterin in einem Vermerk vom 22.12.2011 wie folgt nieder: „VT Fresenius wurde fernmündlich davon unterrichtet, dass die Meldeauflage (Bl. 396) entspr. dem Antrag geändert wird. Er erklärte, dass er im Januar einen Bericht über den Gesundheitszustand seines Mandanten schicken werde. Aus seiner Sicht sei dieser allenfalls eingeschränkt verhandlungsfähig. …“
Auch auf diesen Hinweis, wonach der Angeklagte Gauger aus Sicht seines Verteidigers nicht verhandlungsfähig sei, „allenfalls eingeschränkt verhandlungsfähig“, veranlasste die abgelehnte Richterin nichts. Sie verfasste später (wenn der Zeitpunkt durch die abgehefteten Vorgänge bestimmt werden kann zwischen dem 13.01. und dem 18.01.2012) einen erneuten Vermerk mit dem Wortlaut:
„VT Fresenius kündigte eine ausführliche Stellungnahme zum Gesundheitszustand seines Mandanten an. Er sieht ihn hier als eingeschränkt verhandlungsfähig an. Z. Zt. sei er bei seinem Hausarzt in Sachsenhausen sowie einer Neurologin und Psychiaterin in Behandlung.“
Dieser Vermerk wird mit „Dez. 2011“, nicht jedoch genauer datiert und mit „1056“ paginiert. Dieser 2. Vermerk enthält eine Abschwächung gegenüber dem ersten, da es nunmehr statt „allenfalls eingeschränkt verhandlungsfähig“ lediglich „eingeschränkt verhandlungsfähig“ heißt. Da Rechtsanwalt Fresenius gegenüber den bereits in der Akte enthaltenen gründlichen Berichten und Expertisen erkennbar keine Sachkunde für sich in Anspruch nehmen wollte, ergibt sich aus den Vermerken lediglich, dass die abgelehnte Richterin sich in der Abfassung zweier Vermerke mit der drängenden Frage befasst und konfrontiert sah. Gleichwohl veranlasste sie nichts.
Mit Schriftsatz vom 07.03.2012 beantragte Rechtsanwalt Fresenius als Verteidiger des Angeschuldigten Gauger, das Hauptverfahren gegen seinen Mandanten nicht zu eröffnen, da dieser auf Dauer verhandlungsunfähig sei. Sollte die Kammer nicht von einer Verhandlungsunfähigkeit ausgehen, so sei ein neuropsychiatrisches und neuropsychologisches Sachverständigengutachten einzuholen. Ungeachtet der Fülle des Materials in den ihr bereits mit der Anklageschrift zugeleiteten Akten selbst ließ die abgelehnte Richterin den Schriftsatz am 12.03.2012 zunächst an die Staatsanwaltschaft weiterleiten, die sich gegen die Einstellung des Verfahrens wegen dauernder Verhandlungsunfähigkeit wandte, jedoch keine Einwände gegen die Begutachtung des Angeschuldigten erhob. Mit Beschluss vom 16.04. schließlich ordnete die Schwurgesichtskammer unter dem Vorsitz der abgelehnten Richterin eine Begutachtung des Angeschuldigten Gauger an.
Im Rahmen des Haftprüfungsverfahrens gem. §§ 121 f. StPO hatte das Oberlandesgericht zu prüfen, ob das Verfahren mit der in Haftsache gebotenen besonderen Beschleunigung betrieben worden sei. Durch Schreiben an die abgelehnte Richterin erbat es auch zur Frage der Verhandlungsfähigkeit des Angeschuldigten Gauger wie folgt Informationen: „Hinsichtlich der Prüfung der Verhandlungsfähigkeit des haftverschonten Mitangeklagten Gauger wird um Mitteilung gebeten, ob bzw. wann über den Antrag der Verteidigung entschieden wurde. Ist bereits ein Sachverständiger bestellt? Wann kann mit dem Eingang des Gutachtens gerechnet werden?“ (Bl. 1151 d. A.).
Zu dieser Frage ist in einem Vermerk der abgelehnten Richterin Folgendes niedergelegt: „Zudem soll nun das Ergebnis der auf Antrag der Verteidigung vorzunehmenden Prüfung der Verhandlungsfähigkeit des Mitangeschuldigten Gauger abgewartet werden, da insoweit die Einstellung des Verfahrens beantragt worden ist.“ (Bl. 1147 d. A.).
Die Relevanz der Verzögerung durch die Begutachtung für die Frage der durch die StPO und Art. 6 MRK gebotenen Beschleunigung ist in dem oberlandesgerichtlichen Beschluss vom 16.05.2012 festgestellt und wie folgt behandelt worden: „Nachdem schriftsätzlich am 07.03.2012 die Verhandlungsunfähigkeit des Mitangeschuldigten Gauger behauptet wurde, bestand für die Kammer erstmals die Notwendigkeit, sich mit der Frage einer neuen Begutachtung des Mitangeschuldigten Gauger auseinanderzusetzen.“ (B.v. 16.05.2012, S. 8)
Dies gibt die Aktenlage nur unzureichend wieder. Zwar erwähnt der Beschluss (S. 6) auch den Vermerk „unter der Datumsangabe ‚Dez. 2011’“, wonach Rechtsanwalt Fresenius den Mitbeschuldigten Gauger nur „als eingeschränkt verhandlungsfähig“ angesehen habe, lässt jedoch den Vermerk, wonach dieser ihn als allenfalls eingeschränkt verhandlungsfähig“ ansieht, unerwähnt. Damit jedoch war auch die Möglichkeit einer vollständigen Verhandlungsfähigkeit in den Raum gestellt, die auf dem Hintergrund der bereits in den Akten befindlichen fachmedizinischen Stellungnahmen zu einer sofortigen Begutachtung drängen musste. Dies enthob das Oberlandesgericht auch von einer Nachfrage nach dem Grund für die Fertigung zweier divergenter Vermerke mit divergenten Datumsangaben.
Die Nachlässigkeit der abgelehnten Richterin, die darin zum Ausdruck gelangte Nichtachtung des Beschleunigungsgebots sowie des Anspruchs der Angeklagten Frau Suder auf ein ihrer Menschenwürde entsprechendes zügiges Verfahren begründet ebenfalls deren Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richterin.
Bei der Beurteilung, ob ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen ist, kommt es darauf an, ob ein „vernünftiger Angeklagter“ Grund für die Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann ( BVerfGE 32, 288 ff).
Legt man diese Vorstellung von der Unparteilichkeit des Richters zugrunde, dann hat sich in dem Beschluss nicht nur eine innere Haltung ausgedrückt, die die Unvoreingenommenheit stört. Vielmehr ist diese Haltung massiv nach außen getreten, hat ihre Manifestation in einem Haftfortdauerbeschluss gefunden und bezieht sich auf einen Sachverhalt, der, wenn er nachgewiesen würde, die empfindlichste Strafe nach sich ziehen könnte. Ferner hat sie ihren Ausdruck in der Nichtachtung der Rechte meiner Mandantin auf ein zügiges Verfahren gefunden, das die Haft zu ihren Lasten verlängert.
Von daher erscheint es nachvollziehbar, dass Frau Suder nicht nur die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richterinnen hegt, sondern von dem Verlust der Unparteilichkeit ausgehen muss.
Ich habe meine Mandantin erst nach Anbringen des Befangenheitsantrags vom 31.01.2012 von den beiden oben genannten Vermerken der abgelehnten Richterin in Kenntnis gesetzt, von denen sie nach ihren Angaben bis dahin auch keine Kenntnis erlangt hat.
Hartmann, Rechtsanwalt
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