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Manning in Gefahr

US-Whistleblowerin versucht erneut, sich das Leben zu nehmen. Anwälte kritisieren Haftbedingungen
Von Jürgen Heiser, junge Welt 6.11.16

In den Suizid getrieben? Die Whistleblowerin Chelsea Manning wird im Gefängnis von den Repressionsorganen unter Druck gesetztverschiedenen Arten

Die vollständige Stellungnahme, die Chelsea Manning am 15. Oktober aus dem Gefängnis einer Vertrauensperson diktiert hatte, ist online hier verfügbar.

Die Whistleblowerin Chelsea Manning hat zum zweiten Mal versucht, sich im US-Militärgefängnis Fort Leavenworth das Leben zu nehmen. Wie die New York Times am Freitag berichtete, ereignete sich der Suizidversuch bereits am 4. Oktober, als gegen die wegen Enthüllungen von US-Kriegsverbrechen in Irak und Afghanistan zu 35 Jahren Gefängnis verurteilte ehemalige Angehörige der US-Armee eine Disziplinarstrafe vollstreckt wurde. Wegen ihres ersten Suizidversuchs vom 5. Juli hatte ein Disziplinarausschuss sie Ende September zu zwei Wochen Isolationshaft verurteilt. Anfang Oktober wurde sie dann ohne jede Vorankündigung in eine Isolierzelle verlegt.

Ihre neuerliche Verzweiflungstat offenbarte Manning vorige Woche gegenüber einer Vertrauten ihres Unterstützernetzwerks. Da sie im Moment vom Besuchs- und Briefverkehr ausgeschlossen ist, diktierte Manning telefonisch eine Erklärung, die an die New York Times weitergeleitet werden sollte. Das Blatt war das erste, das dazu einen ausführlichen Artikel brachte. Die Solidaritätsgruppe war am Wochenende für eine offizielle Stellungnahme nicht zu erreichen.

Das Pentagon ließ durch einen Sprecher erklären, »die ärztliche Schweigepflicht« verbiete es, »öffentlich über diese Angelegenheit zu sprechen«. Die Anwälte Vincent Ward und Chase Strangio bestätigten zwar das Vorkommnis ihrer Mandantin, gaben laut Nachrichtenagentur AP jedoch keine Details der Vorgänge in der Isolierzelle preis. »Sie ist wiederholt für den Versuch bestraft worden zu überleben, und jetzt wird sie wiederholt bestraft für den Versuch zu sterben«, kritisierte Strangio im Internet.

Strangio, der Manning im Auftrag der Bürgerrechtsorganisation ACLU vertritt, ging in seinem Kommentar auf die »unvorstellbaren Misshandlungen« ein, die seine Mandantin seit ihrer Verhaftung im Mai 2010 »im Gewahrsam der Regierung erlitten« habe. Von der anfänglichen Totalisolierung, über die Nichtbehandlung ihrer Geschlechtsdysphorie bis hin zur Bestrafung ihres durch die Haft verursachten ersten Suizidversuchs durch weitere Isolierung sei Manning bis heute »demoralisierenden und destabilisierenden Angriffen auf ihre Gesundheit und Menschenwürde ausgesetzt«.

Seit Juli habe »sie ihr Leben und ihr Selbstbewusstsein Stück für Stück zurückerobert«. Das sei aber durch die Disziplinarstrafe und ihre überfallartige Vollstreckung wieder zerschlagen worden, betonte Strangio. Er sei deshalb »sehr besorgt« über ihre Haftbedingungen. Auch die Anwälte hätten momentan nur eingeschränkten Zugang zu Manning und würden sie erst »in den nächsten Wochen« besuchen können.

Die letzte Aussage Strangios über die derzeit nicht vorhandene unabhängige Kontrolle der Situation der politischen Gefangenen muss angesichts dessen, was Manning der New York Times berichtete, große Besorgnis auslösen. Denn in ihrer Erklärung, die als Beschwerde »an den Generalinspekteur der Geheimdienste« gerichtet ist, spricht Manning von »böswilligen« und »potentiell kriminellen Handlungen«, die sich in der »Station Alpha« des Militärgefängnisses ereignet hätten. Dorthin war sie verlegt und »unter Selbstmordüberwachung« gestellt worden, während die Zellen um sie herum aus »unerfindlichen Gründen geräumt wurden«.

In der Nacht vom 10. zum 11. Oktober hätten dann »vier Angreifer« in Uniformen der Wachmannschaft versucht, sie »zu einem Fluchtversuch zu ermutigen«, aber sie habe sich geweigert. »Ich fürchtete um mein Leben«, schrieb Manning, die hinter den Vorgängen eine Geheimdienstaktion vermutet und eine Untersuchung der Vorgänge fordert.

Laut New York Times weise es die Armee zurück, dass »die von Manning beschriebenen Ereignisse jemals stattgefunden haben«. In Einklang damit beschrieb das Blatt ausführlich alle in der Diktion des Pentagon je vorgebrachten »psychischen Ausfälle« der Wikileaks-Informantin. Es bleibt nun abzuwarten, was Mannings Anwälte und ihre Unterstützer dazu in den nächsten Tagen öffentlich erklären.

https://www.jungewelt.de/2016/11-07/034.php