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Münchner Kommunistenverfahren: Bayerische Justiz ermöglicht türkischen Staat Zugriff auf geschützte Verteidigerpost.

Verteidigung fordert Aussetzung des Verfahrens und umfangreiche Aufklärung.

Vor dem OLG München findet derzeit ein Strafverfahren gegen zehn kurdisch- und türkischstämmige Männer und Frauen statt, denen gem. § 129 b StGB die Mitgliedschaft in der TKP/ML (Türkischen Kommunistischen Partei/ Marxisten-Leninisten) vorgeworfen wird.
Die Verteidigung in diesem Verfahren unterliegt gravierenden Einschränkungen: Verteidiger und ihre Mandanten sind bei Gesprächen durch eine Glasscheibe getrennt. Außerdem wird sämtliche Verteidigerpost durch einen sogenannten Kontrollrichter gelesen und kontrolliert, d. h. die sonst absolut geschützte schriftliche Kommunikation zwischen Verteidigung und Mandanten unterliegt einer permanenten inhaltlichen Kontrolle.

 

Durch Nachforschungen der Verteidigung wurde bekannt, dass unter Verstoß gegen die einschlägigen Rechtsvorschriften Kopien von dieser Verteidigerpost zu Übersetzern in die Türkei versandt worden sind und dass die Verteidigerpost aus dem Zeitraum von über einem Jahr, einem unbestimmbaren Kreis von Übersetzern und weiteren Personen in Deutschland bekannt geworden ist.

Zum Hintergrund
Die Anordnung der Kontrolle der Verteidigerpost durch einen Kontrollrichter basiert auf § 148 Abs. 2 StPO und darf nur erfolgen, wenn – wie hier – der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer (ausländischen) terroristischen Vereinigung gem. §§ 129 a, b StGB erhoben wird. Diese rechtsstaatlich sehr umstrittene Anordnung wurde seitens der Verteidigung in diesem Verfahren mehrmals erfolglos angegriffen.
Die von der Verteidigung mit dieser Anordnung verbundenen Befürchtungen, dass Dritte von dem Inhalt der Post Kenntnis erhalten können, haben sich jetzt in dramatischer Weise bestätigt.
Da es sich in der Regel um türkischsprachige Post handelt, wurden seitens der Kontrollrichter verschiedene Übersetzer und Übersetzungsbüros mit der Übersetzung beauftragt. Wie durch Nachforschungen der Verteidigung heraus kam, wurden zum Teil seitens der zuständigen Kontrollrichter keine Vorkehrungen getroffen, um die Verschwiegenheit und Vertraulichkeit der Dolmetscher bezüglich dieser Verteidigungsunterlagen sicherzustellen. Hierzu wäre der Kontrollrichter jedoch von Gesetzes wegen verpflichtet gewesen. So wurden mit der Übersetzung unter anderem nicht öffentlich bestellte, also nicht zur Verschwiegenheit verpflichtete, Übersetzer beauftragt. Teilweise werden in den Übersetzungsbüros auch weiterhin Kopien der übersetzten Verteidigerpost aufbewahrt. Zumindest in einem Fall wurde auch Post aus Kostengründen an zwei Übersetzer in der Türkei weitergeleitet.
Aufgrund des auch in der Deutschland bekannten und weit verbreiteten Informantennetzes des türkischen Geheimdienstes MIT, und der von den türkischen Behörden verhängten Totalkontrolle von Post und Internet ist zu befürchten, dass dieser von dem Inhalt des Schriftverkehrs zwischen Verteidigung und Angeklagten in diesem politisch hochbrisanten und für die türkischen Sicherheitskräfte sehr interessanten Verfahren Kenntnis erlangt haben könnte.
Diese Informationen können für weitere Strafverfahren gegen die Angeklagten und ihre in der Türkei wohnenden Angehörigen sowie für Auslieferungsverfahren verwendet werden und – aufgrund der (immer noch) besonders engen Zusammenarbeit mit den deutschen Sicherheitsbehörden – auch an das Bundeskriminalamt und die Bundesanwaltschaft zurückfließen.
Die Verteidigung hat aus diesem Grund heute vor dem OLG München beantragt, das Verfahren bis zur vollständigen Klärung, wie mit der Verteidigerpost umgegangen worden ist, auszusetzen und die Kontrollrichteranordnung bis dahin aufzuheben, da vor diesem Hintergrund ein faires Verfahren derzeit nicht gesichert ist.
Rechtsanwältin von der Behrens, die den Angeklagten Herrn Müslüm Elma verteidigt, erklärt dazu: „Damit haben sich die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Aus Kostengründen werden elementare rechtsstaatliche Prinzipien über Bord geworfen und bundesdeutschen und türkischen Sicherheitsbehörden der Zugriff auf streng vertrauliche Verteidigungsunterlagen ermöglicht. Ein faires Verfahren ist vor diesem Hintergrund für meinen Mandanten nicht gewährleistet.“
Rechtsanwalt Dr. Peer Stolle, Verteidiger von Frau Dr. Büyükavci, erklärt dazu weiterhin: „Dieser Fall zeigt, dass die Anordnung eines Kontrollrichters nur unter Verzicht auf elementare Beschuldigten- und Verteidigerrechte möglich ist. Die Vorschrift gehört daher insgesamt abgeschafft. Ein faires Verfahren ist im laufenden Verfahren vor dem OLG München nicht mehr möglich.“
Für weitere Nachfragen stehen Ihnen Rechtsanwältin von der Behrens (Tel.: 030-5471 6772, vdbehrens@kottbusserdamm.net) sowie Rechtsanwalt Dr. Stolle (Tel.: 030 – 4467 9216, stolle@dka-kanzlei.de) zur Verfügung.
Weitere Informationenzu dem Verfahren finden Sie hier:
https://www.tkpml-prozess-129b.de

Verteidigerinnen und Verteidiger
RA Rainer Ahues
RA Sinan Akay
RAin Antonia von der Behrens
RA Berthold Fresenius
RA Marvin Hegermann
RA Martin Heiming
RA Manfred Hörner
RA Alexander Hoffmann
RA Frank Jasenski
RA Dietmar Kleiner
RA Ulrich v. Klinggräff
RA Stephan Kuhn
RA Roland Meister
RAin Franziska Nedelmann
RA Bernhard Pradel
RA Iñigo Schmitt-Reinholtz
RA Yener Sözen
RA Dr. Peer Stolle
RA Yunus Ziyal

Verteidigerpost
Als Reaktion auf die Mitteilung in der letzten Hauptverhandlung, dass Post zwischen dem Angeklagten Müslüm Elma und seinen Verteidigern zum Übersetzen an in der Türkei ansässige, unvereidigte und nicht zum Schweigen verpflichtete Dolmetscher übersandt wurde, stellte die Verteidigung heute mehrere Aussetzungs- und Unterbrechungsanträge. Ziel dieser Anträge ist es, die Verhandlung so lange zu unterbrechen oder gar ganz abzubrechen, bis festgestellt werden kann, in welchem Ausmaß Verteidigerpost möglicherweise an Dritte gelangt ist, und die Verteidigungsstrategie diesen neuen Umständen angepasst werden kann. Der Senat stellte den Aussetzungsantrag „zurück“ da darüber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht entscheiden werden könne. Zunächst müssten weitere Informationen von den Kontrollrichtern eingeholt werden.
Unter solchen Umständen müsste das Verfahren nach rechtsstaatlichen Grundsätzen eigentlich eingestellt werden, da unklar ist, welche Informationen über bspw. Verteidigungsstrategien an wen gelangt sind. Außerdem ist nun einerseits kein vertraulicher Postverkehr zwischen Verteidigern und Angeklagten mehr möglich. Andererseits ist es schlicht unmöglich, die gesamte Prozessvorbereitung mündlich am Rande der Hauptverhandlung oder im Knast mit Trennscheibe zu leisten. Die in der Strafprozessordnung verankerten Regelungen zur „Terrorismusbekämpfung“ sind rechtsstaatlich nicht vertretbar und treten Beschuldigtenrechte mit Füßen, um so mehr, wenn wie hier nicht einmal diese Regeln eingehalten werden.
Der Verhandlungstag verlief insgesamt beinahe klamaukhaft, da er wieder mal von zahlreichen längeren Unterbrechungen zerrissen wurde. Die Gerichtsdolmetscher zeigten sich erneut unfähig, Anträge mit kurzer Vorbereitung zu übersetzen, sondern forderten beispielsweise für den 9-Seitigen Aussetzungsantrag am Anfang der Verhandlung vier Stunden Zeit bis 14 Uhr.
Zwischenzeitlich wurde noch ein Widerspruch gegen die Anordnung des Selbstleseverfahrens verlesen. Diesen hatte die Verteidigung bereits am letzten Verhandlungstag an die Gerichtsdolmetscher übergeben, diese hatten ihn allerdings „verbummelt“ so dass wiederum eine Unterbrechung notwendig wurde.
Letztendlich musste der Vorsitzenden die Verhandlung unterbrechen. Sie wird am kommenden Freitag fortgesetzt. Bis dahin sollen alle notwendigen Informationen von den Kontrollrichtern vorliegen.
Ein Signal dafür, wie das Gericht mit den Angeklagten und ihren Verteidigern umgeht, war der Umstand, dass auf der Internetpräsentation des Oberlandesgerichts München heute bereits die Termine für die Fortsetzung des Verfahrens von Januar 2017 bis September 2017 veröffentlicht wurden, ohne dass diese der Verteidigung vorher bekannt gemacht wurden.

https://www.tkpml-prozess-129b.de/de/