Mumia Abu-Jamal ist nur einer von vielen politischen Gefangenen in den USA. Zwar ist er derzeit der einzige dort, der aus politischen Gründen mit seinem Leben bedroht ist. Aber viele sitzen sogar bereits weitaus länger als er unter vergleichbaren Haftbedingungen. Jede größere politische Bewegung hat seit den 1960igern schwere Repression in den USA erfahren. Viele der Gefangenen sitzen bis heute stellvertretend für die jeweilige Generation, die es wagte, für solidarisches Miteinander, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung aufzustehen.
Mumia Abu-Jamal war zuerst als Pressesprecher der Black Panther Party (BBP) und später als unabhängiger Journalist seit Ende der 1960iger im Fadenkreuz des FBI. Kurz vor seiner Verhaftung 1981 brachte ihm seine sozialkritische Berichterstattung nicht nur Ehrenbezeichnungen wie „The Voice Of The Voiceless“ (Die Stimme der Unterdrückten), den Vorsitz der afroamerikanischen Journalist_innen Vereinigung und große Anerkennung in den afroamerikanischen Gemeinden der US Ostküste ein, sondern auch verstärkte Aufmerksamkeit seitens der Polizei und Behörden. Als 1979 die Polizeigewalt gegen Minderheiten und der offene Rassismus seitens der Obrigkeit in Philadelphia eskalierten, klagte das US-Justizministerium in einem bisher einmaligen Vorgang die gesamte Stadtverwaltung wegen Beihilfe und Förderung von Gewalt an. Ex-Polizei Chef und damaliger Bürgermeister Frank Rizzo sagte auf einer Pressekonferenz anlässlich tödlicher Polizeischüsse wörtlich zu Abu-Jamal und seinen Kolleg_innen: „Die Leute glauben, was Sie schreiben – und das muss aufhören. Ich werde noch in meiner Amtszeit dafür sorgen, dass Sie zur Verantwortung für das gezogen werden, was sie da tun!“
Was sich kurze Zeit darauf bewahrheitete, als Mumia Abu-Jamal in einem politischen Schauprozess ohne jegliche Beweise für den angeblichen Mord an einem weißen Polizisten zum Tode verurteilt wurde. 30 Jahre nach diesem Verfahren, was von Amnesty International als „Bruch internationaler Mindeststandards für faire Verfahren“ bezeichnet wurde, hat eine länderübergreifende Solidaritätsbewegung bis jetzt zwar die Hinrichtung des afroamerikanischen Journalisten verhindern können. Eine Neuverhandlung oder Freilassung von Mumia wird jedoch von vielen Seiten nach wie vor heftig bekämpft.
30 Jahre Haft – die überwiegende Zeit davon unter Isolationshaftbedingungen auf sechs Quadratmetern eingesperrt. Seines Lebens beraubt, von seinen Verwandten und Freunden durch Panzerglas getrennt, Jahrzehnte mit der Hinrichtung bedroht – eine besondere Rache gegen einen erfolgreichen und unangepassten Journalisten?
Ja – und nein. Mumia Abu-Jamal ist nur einer von vielen politischen Gefangenen in den USA. Zwar ist er derzeit der einzige dort, der aus politischen Gründen mit seinem Leben bedroht ist. Aber viele sitzen sogar bereits weitaus länger als er unter vergleichbaren Haftbedingungen. Jede größere politische Bewegung hat seit den 1960igern schwere Repression in den USA erfahren. Viele der Gefangenen sitzen bis heute stellvertretend für die jeweilige Generation, die es wagte, für solidarisches Miteinander, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung aufzustehen.
Gerade die noch immer hohe Zahl ehemaliger Black Panther Party (BPP) und Black Liberation Army (BLA) Aktivist_innen drängt sich hier auf. Viele von ihnen wurden für vergleichsweise kurze Strafen inhaftiert und später dann weiter kriminalisiert, so dass die meisten derzeit keine realistische Möglichkeit der Freilassung sehen. Aus der BPP sind das u.a. Romaine „Chip“ Fitzgerald (seit 1969), Mondo We Langa und Edward Pointexter (seit 1970), Hermann Wallace und Albert Woodfox (von den „Angola Three“, seit 1972 für Gründung der BPP im Gefängnis kriminalisiert). Auch aus der BLA sitzen noch imer viele Aktivist_innen, u.a. Jalil Abdul Mountaqim und Hermann Bell (seit 1971 bzw. 1973), Veronza Bowers (seit 1973) oder Sundiata Acoli (ebenfalls seit 1973). In beinahe alle Verfahren gegen politische Gefangene dieser Zeit ging es um den Vorwurf „Polizistenmord“, Das ist ein Vorwurf, der in politisch motivierten Strafverfahren der USA öfter erhoben wurde, als überhaupt Polizist_innen getötet wurden. Auch solidarische Mitgefangene wie Hugo „Yogi“ Pinell (seit 1964) oder Ruchell „Cinque“ Magee (seit 1963) bekamen die Rache des Staates für ihre Beteiligung an Gefangenenkämpfen zu spüren. Die meisten hätten selbst nach den mit gefälschten Beweisen und zahlreichen weiteren Manipulationen gegen sie fabrizierten Urteilen längst freigelassen werden müssen. Der Staat weigert sich aber, dies zu tun. Hugo „Yogi“ Pinell nahm 71-jährig erst vor wenigen Wochen an dem Hungerstreik gegen Isolationshaftbedingungen im berüchtigten kalifornischen Pelican Bay Gefängnis teil. p>
Natürlich gibt es auch Gefangene, die geltende Gesetze gebrochen haben, da es in dem Kampf um Befreiung nicht anders möglich war. Hierbei fällt auf, dass diejenigen, die auch nach ihrer Verurteilung an ihren politischen Vorstellungen festhielten, zumeist mehrfach lebenslänglich erhielten, während andere nach langer Haftzeit noch Chancen ein kurzes Leben in Freiheit haben. Auch ist offensichtlich, dass People Of Color oder solidarische weiße Anti-Rassist_innen härteren Strafen ausgesetzt wurden, als z.B. Angehörige rein weißer Gruppen. Stellvertretend sei hier auf die Verurteilungen von Sundiata Acoli (der laut Verurteilung seit über fünf Jahren frei sein müsste) und Sekou Odinga aus der BLA (seit 1981 in Haft – zu insgesamt 65 Jahren verurteilt) oder David Gilbert vom Weather Underground (ebenfalls seit 1981 inhaftiert – zu 75 Jahren verurteilt) hingewiesen. Alle sollen nach dem erklärten Willen des Staates nie wieder frei kommen.
Ein wesentlich bekannteres Beispiel stellt der Fall von Leonard Peltier dar. Als Aktivist der American Indian Movement (AIM) wurde auch er 1976 als angeblicher „Polizistenmörder“ zu lebenslänglich verurteilt, obwohl sogar das FBI in den 1980igern einräumte, nicht zu wissen, wer die fraglichen Morde begangen hat. Sein Fall ist eng mit der Beziehung zwischen den Native Americans und der weißen Mehrheitsgesellschaft verknüpft. Obwohl Peltier 2009 eigentlich hätte freigelassen werden können, intervenierte das FBI. Unabhängige, nicht integrierte Lebensformen der letzten Überlebenden der amerikanischen Urbevölkerung werden auch 2011 noch bekämpft. Peltier, inzwischen 67, zuckerkrank und mit dem Verdacht auf Krebs, wurde nach einem fabrizierten Vorwand ins Loch geworfen und nun auch noch von Pennsylvania in ein Supermax Gefängnis nach Florida verlegt, wo er den Kontakt zu seinen Angehörigen kaum noch halten kann. Trotzdem wird der Ruf nach seiner Freilassung ebenso wie bei Mumia Abu-Jamal immer lauter.
Ähnliche Schicksale haben seit den 1970iger viele Gefangene der Puertoricanischen Befreiungsbewegung, der MOVE Organisation und seit den 1980iger auch vereinzelt Aktivist_innen der anarchistischen Bewegung erlebt. Der Fall der Cuban 5, die in Miami terroristische Zellen infiltrierten, um erfolgreich Bombenanschläge auf kubanische Passagiermaschinen zu verhindern und im Gegenzug als Spione von der Justiz verurteilt wurden, ruft bis heute starke Empörung in den USA hervor.
Grundlage all dieser Verurteilungen sind geheimdienstliche Methoden, mit denen Anklagen, Motive oder „Beweise“ konstruiert werden. Das FBI führte seit den 1950igern ein sog. Counter Intelligance Programm (COINTELPRO – dt. Gegenspionage Programm) durch, um radikale Opposition zu spalten, zu isolieren und schließlich zu vernichten. Dabei wurde auch vor politischen Morden nicht zurück geschreckt. Als sich dieses Programm 1975 nicht mehr verheimlichen ließ, wurde es offiziell beendet. Seine Methodik ging allerdings vom FBI in die gängige Polizeiarbeit über und führte schliesslich unter Bush Jr. zum „Patriot Act“, welcher problemlos ganze Politikfelder als „Terrorismus“ brandmarkt, sollte die Erfordernis entstehen. Das ermöglicht den Verfolgungsbehörden, nicht mehr tatsächliche Straftaten erfinden zu müssen, sondern Aktivist_innen lediglich nach angenommener Zugehörigkeit von bestimmten Gruppen oder Organisationen anklagen zu können. Die Sondergerichtsbarkeit von sog. „Grand Juries“ ist dabei ein häufig benutztes Mittel, der die Vorgeladenen ohne jeglichen Schutz ausgeliefert sind. Deutliche Beispiele davon sind u.a. die Verhaftung und Langzeitinhaftierung von Öko-Aktivist_innen im Zuge der sog. „Greenscare“ oder die Hetze gegen und die damit einhergehende Inhaftierung von Muslim_innen in den USA.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass nach diesem Muster bereits jetzt auch schon innerhalb der Occupy Bewegung gearbeitet wird. Spaltungsdebatten an der Gewaltfrage sind ein beliebtes Mittel herrschender Politik, nicht nur in den USA. Gezielte Falschinformationen und ein gegeneinander Aufhetzen verschiedener Fraktionen oder Einzelpersonen funktioniert auch Informationszeitalter genauso wie in den 1960igern – sog. „soziale Medien“ lassen sich vielseitig einsetzen. Das ließ sich in den vergangenen Monaten auch in Großbritanien und Griechenland beobachten.
Große Menschenrechtsorganisationen gehen von bis zu 200 politischen Gefangenen in den USA aus. Angehörige, linke Anti-Repressionsstrukturen und zahlreiche Journalist_innen sehen die Zahl jedoch eher bei rund 4000 politischen Gefangenen. In vielen Gefängnissen der USA entstand in den letzten Jahren starke Solidarität gegen Zwangsarbeit in der Gefängnisindustrie oder die brutalen Haftbedingungen unter Isolation. Arbeitsverweigerungen und Hungerstreiks werden auch in der US Gesellschaft wahrgenommen und unterstützt, wie zuletzt in Kaliforniens berüchtigtem Pelican Bay Gefängnis.
Eine Amnestie der politischen Gefangenen wäre ein wichtiger Schritt, die Angst vor der Repression und dem hin und wieder offen vorgetragenen Staatsterrorismus zu überwinden und die Kämpfe der letzten 40 Jahre miteinander zu verbinden. Aufgenommene Reden von Mumia Abu-Jamal auf der besetzten Wallstreet und das Oscar Grant Camp in Oakland deuten bereits in diese Richtung. Gegen die unglaubliche Hinrichtung von Troy Davis protestierte auch die Occupy Bewegung. Der Zusammenhang zwischen Rassismus , Repression und sozialer Ausplünderung von oben scheint derzeit vielen US Amerikaner_innen bewußt zu sein. Das ist eine wichtige Grundlage, um viel grundsätzlichere gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen zu können.