mumia

Mumia in der „Lindenstraße“

Schauspieler setzen sich für die Freilassung des afroamerikanischen Publizisten ein

Von Birgit Gärtner |  
 UZ-Ausgabe vom 14. August 2015

Wer sich am ver­gan­ge­nen Sonn­tag­abend die Zeit bis zur „Ta­ges­schau“ mit der Lin­den­stra­ße ver­trieb, mag sich ver­wun­dert die Augen ge­trie­ben haben: 30 Mi­nu­ten lang konn­ten wir Opa Adi gran­teln und wer­keln be­ob­ach­ten – be­klei­det mit einem T-Shirt mit der Auf­schrift „Free Mumia“.

Seit dem 8.12.1985 wer­den in der ARD-Fern­seh­se­rie „Lin­den­stra­ße“ – mal mehr, mal we­ni­ger über­zeu­gend – po­li­ti­sche The­men auf­ge­grif­fen: Atom­kraft, Um­welt­schutz, AIDS, Ras­sis­mus, Neo­na­zis, Ar­beits­lo­sig­keit, usw. Im De­zem­ber 2008 wurde diese Liste durch das Thema „Free Mumia“, bzw. Ab­schaf­fung der To­des­stra­fe, er­gänzt: Der sei­ner­zeit neue „Lin­den­stra­ßen“-Mit­be­woh­ner Opa Adi trat erst­mals im Free-Mu­mia-T-Shirt auf. Da­mals noch als Schlaf­ge­wand, das an­fangs öfter auf­tauch­te, dann aber ir­gend­wann in der Ver­sen­kung ver­schwand – um am letz­ten Sonn­tag pro­mi­nent plat­ziert wie­der auf­zu­tau­chen.

Opa Adi, ge­spielt vom Schau­spie­ler und Ka­ba­ret­tis­ten Phil­ipp Sonn­tag, ist ein schwer ge­beu­tel­ter Mann: Als Fo­to­graf in Kri­sen­ge­bie­ten hatte der Alt-68er sich dem Kampf gegen den Krieg ver­schrie­ben, al­ler­dings hin­der­te ihn seine Dia­be­tes daran, sei­nen Beruf wei­ter aus­zu­üben, so lan­de­te er ab Folge 1188, aus­ge­strahlt am 7.9.2008, bei sei­nem Sohn, einem bra­ven Hand­wer­ker, und des­sen Fa­mi­lie in der Lin­den­stra­ße.

Nach dem Tod von „Lin­den­stra­ße“-Ur­ge­stein Else Kling und dem Weg­zug ihres Soh­nes Olaf, der gern in ihre Fuß­stap­fen als Block­wart ge­tre­ten wäre, war sei­ner­zeit der in Mün­chen spie­len­den Fern­seh­se­rie der no­to­risch gran­teln­de Bayer ab­han­den ge­kom­men. Diese Rolle über­nahm Opa Adi. Der ist al­ler­dings eher An­ti-Bay­er: das Lieb­lings­the­ma des Alt-68ers ist Spie­ßig­keit, vor allem die sei­nes bie­de­ren Soh­nes Jimi.

Spä­ter sie­del­te sich auch noch Adis Erst­ge­bo­re­ner Er­nes­to, ein Me­di­zin prak­ti­zie­ren­der Yup­pie-Schnö­sel, in der „Lin­den­stra­ße“ an. Noch ein Grund für Adi, auf die Bar­ri­ka­den zu gehen und gegen Zwei­klas­sen­me­di­zin zu pro­tes­tie­ren – vor der Pra­xis sei­nes ei­ge­nen Soh­nes.
Wer Mumia Ge­ne­sungs­wün­sche schi­cken möch­te,
kann das unter fol­gen­der Adres­se tun:

Pri­so­ner Wes­ley Cook, aka Mumia Abu-Ja­mal
?#?AM? 8335 SCI Ma­ha­noy 301 Morea Road
Frack­vil­le, PA 17932 USA
Wei­te­re Infos unter:
http://www.bring-mumia-home.de/Free_Mumia_NOW.html
I

n den zu­letzt aus­ge­strahl­ten Fol­gen nutzt Adi die Ab­we­sen­heit von Va­si­ly Sa­rikakis, Wirt des grie­chi­schen Lo­kals „Akro­po­lis“, um zur Ver­wer­tung der Es­sens­res­te eine Sup­pen­kü­che zu eta­blie­ren. Eine Idee, die Mumia be­stimmt ge­fal­len würde. Lei­der lief das Un­ter­fan­gen aus dem Ruder, was schließ­lich dazu führ­te, dass das „Akro­po­lis“ kom­plett re­no­viert wer­den muss­te.

Das Ber­li­ner Bünd­nis Frei­heit für Mumia Abu-Ja­mal konn­te Pro­duk­ti­ons­chef Hans W. Geis­sen­dör­fer und die Lin­den­stra­ßen-Crew für das Thema ge­win­nen. Im Team war das An­sin­nen dis­ku­tiert, für un­ter­stüt­zens­wert be­fun­den und Opa Adi als Trä­ger des T-Shirts aus­ge­wählt wor­den, weil es wun­der­bar zu der Rolle des Opa Adi passt. Auch Schau­spie­ler Phil­ipp Sonn­tag steht zu der Ak­ti­on.
Das Ber­li­ner Bünd­nis fand sei­ner­zeit Un­ter­stüt­zung bei Kostas Pa­pa­na­st­a­siou und sei­ner Frau Mo­ni­ka. Die­ser spiel­te in frü­he­ren Jah­ren in der Lin­den­stra­ße Kostas Sa­rikakis, den Be­sit­zer des „Akro­po­lis“. Der Wirt zog mit sei­nem Sohn Va­si­ly gegen Ras­sis­mus zu Felde, en­ga­gier­te sich für Ge­or­gi­en und un­ter­hielt seine Gäste mit Theo­do­ra­kis-Lie­dern.

Im wah­ren Leben ist Pa­pa­na­st­a­siou seit mehr als 30 Jah­ren Wirt des Char­lot­ten­bur­ger Kult­lo­kals „Terzo Mondo“ und ein weit über Ber­lin hin­aus be­kann­ter Theo­do­ra­kis-In­ter­pret. Im „Terzo Mondo“ fin­den neben re­gel­mä­ßi­gen mu­si­ka­li­schen Live-Auf­trit­ten und wech­seln­den Aus­stel­lun­gen po­li­ti­sche Ver­an­stal­tun­gen statt, z. B. zu Mumia. So ent­stand die Idee, das Thema in die „Lin­den­stra­ße“ zu brin­gen. Zumal auch der kürz­lich ver­stor­be­ne Schrift­stel­ler und Über­set­zer Harry Ro­wohlt, der in der Lin­den­stra­ße den Pen­ner Harry mimte, in Ham­burg So­li­da­ri­täts­ver­an­stal­tun­gen für Mumia un­ter­stütz­te.

Die „Lin­den­stra­ßen“-Crew hätte sich kei­nen pas­sen­de­ren Zeit­punkt aus­su­chen kön­nen, um das Free-Mu­mia-T-Shirt wie­der zu zei­gen. Wie be­reits mehr­fach be­rich­tet, ist der wohl pro­mi­nen­tes­te po­li­ti­sche Ge­fan­ge­ne der Welt, Mumia Abu-Ja­mal, schwer krank. Er lei­det u. a. an He­pa­ti­tis C. Wie sich her­aus­stell­te, ist das der Ge­fäng­nis­lei­tung schon seit Mo­na­ten be­kannt. Und wie zuvor bei sei­ner Dia­be­tes-Er­kran­kung wird ihm eine ad­äqua­te Be­hand­lung ver­wei­gert.

Vor Os­tern war Mumia be­wusst­los in eine zi­vi­le Kli­nik ein­ge­wie­sen wor­den. Dort wurde Dia­be­tes dia­gnos­ti­ziert. Kurze Zeit spä­ter wurde er wie­der in die Kran­ken­sta­ti­on des Ge­fäng­nis­ses ver­legt, wo diese Krank­heit mehr oder we­ni­ger igno­riert wurde. Auf­grund in­ter­na­tio­na­len Drucks konn­te durch­ge­setzt wer­den, dass seine Er­näh­rung um­ge­stellt wurde, er Me­di­ka­men­te bekam und die Be­suchs­re­ge­lun­gen ge­lo­ckert wur­den.

Ein Team von Ärz­ten, die be­reit wären, Mumia zu be­han­deln, schal­te­te sich ein. Sie durf­ten den be­rühm­ten Pa­ti­en­ten zwar nicht be­su­chen, aber ihnen wur­den die Kran­ken­ak­ten zu­ge­spielt. Sie rie­ten drin­gend zu spe­zi­el­len Un­ter­su­chun­gen, z. B. um eine Krebs­er­kran­kung dia­gnos­ti­zie­ren zu kön­nen. Al­ler­dings durf­ten sie den Pa­ti­en­ten nicht sehen, ge­schwei­ge denn gründ­lich un­ter­su­chen. Dar­auf­hin ver­an­lass­te die Ge­fäng­nis­lei­tung tat­säch­lich eine Bi­op­sie.

We­ni­ge Wo­chen spä­ter, Mitte Mai, war Mumia plötz­lich ver­schwun­den. Schließ­lich stell­te sich her­aus, dass er er­neut in eine Kli­nik ver­legt wor­den war. Dies­mal in eine Spe­zi­al­kli­nik. Ob die He­pa­ti­tis C dort dia­gnos­ti­ziert wurde, ist nicht be­kannt.

Das An­walts­team hat eine Klage ein­ge­reicht, um eine ad­äqua­te Be­hand­lung für den Pu­bli­zis­ten durch­zu­set­zen. Eine Spen­den­kam­pa­gne wurde in­iti­iert, weil den Rechts­weg zu be­schrei­ten in den USA ein kost­spie­li­ges Ver­gnü­gen ist. Mumia An­ge­hö­ri­ge, das An­walts­team sowie Un­ter­stüt­zungs­grup­pen welt­weit for­dern nach wie vor die so­for­ti­ge Ent­las­sung aus hu­ma­ni­tä­ren Grün­den.