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Tin­gel­nde BKA-Zeug*innen Siebter Tag im Prozess gegen Latife

Dieser let­zte Prozesstag vor einer drei­wöchi­gen Ver­fahrenspause ver­sprach noch ein­mal span­nend zu wer­den. Denn es sollte zum ersten mal eine Zeu­gen­be­fra­gung stat­tfinden; die BKA-Beamtin Nicole S. war geladen. Sie ist beim Bun­deskrim­i­nalamt in Meck­en­heim zuständig für Ermit­tlun­gen zu Finanzierung und Finanzflüssen der DHKP-C und laut eigener Aus­sage zu anderen „bedeu­tungsvollen Din­gen”. Ihre „Erken­nt­nisse“ fließen in die sog. „Struk­tu­rakte” ein, in der das Wis­sen der Ermit­tlungs­be­hör­den über die DHKP-Cund ihre ange­blichen Tarnor­gan­i­sa­tio­nen doku­men­tiert und fort­laufend fort­geschrieben wird. Diese –zig­tausend Seiten starke Struk­tu­rakte ist Teil der Anklageschrift gegen Latife.

 

Daten­sätze und ver­nichtete Beweismittel
Zunächst gab Nicole S. einen inter­es­san­ten Überblick über ihre Ermit­tlun­gen: Vieles aus ihren „Erken­nt­nis­sen“ über die Struk­tur der DHKP-C in Deutsch­land und Europa fuße auf einem Recht­shil­feer­suchen, das Ital­ien 2004 an die Nieder­lande richtete, woraufhin u.a. in den Nieder­lan­den Durch­suchun­gen stattfanden.
Die Daten, die im Presse­büro Özgür­lük sichergestellt wor­den waren, wur­den dem BKA durch die nieder­ländis­chen Behör­den im Jahr 2005 zur Ver­fü­gung gestellt. Die vie­len Tausend über­mit­tel­ten Dateien seien mit Hilfe von Dolmetscher*innen gesichtet wor­den, und ein als rel­e­vant eingestufter Teil davon habe dann Einzug in das „Struk­turver­fahren” gefun­den. Darunter Adresslis­ten, Lebensläufe und Tätigkeits­berichte, Schu­lung­sun­ter­la­gen, Pressemit­teilun­gen und mehr. Etwas fas­sungs­los erfuhr das Pub­likum, dass auf den Daten­trägern ange­blich auch Kor­re­spon­denz vonDHKP-C Funk­tionären in der Türkei mit den „Europaver­ant­wortlichen“ der Organ­i­sa­tion gefun­den wor­den sei, in denen es um miss­lun­gene Anschläge, die Zusam­menset­zung von Sprengsätzen und auch Zünd­vor­rich­tun­gen ging.
Auf Nach­frage von Recht­san­walt Roland Meis­ter stellte sich dann her­aus, dass es anscheinend nie einen Abgle­ich der ursprünglich auf den Fest­plat­ten der Com­puter im Presse­büro gefun­de­nen Orig­i­nal­dateien mit den aus den Nieder­lan­den über­mit­tel­ten Daten gab. Es ist dem BKA also unbekannt, ob die entsprechen­den Daten auch tat­säch­lich von den sichergestell­ten Daten­trägern stam­men; es heißt auch, die Original-Festplatten seien inzwis­chen ver­nichtet wor­den. Ob und wieso das gemacht wurde, weiß Nicole S. nicht.

Im Fol­gen­den ging es dann konkret um die Finanzströme inner­halb der DHKP-C und Fes­tle­gun­gen von finanziellen Beiträ­gen der „Rück­front“. Gemeint sind die in Gebi­ete eingeteil­ten „Rückfront-Organisationen“, zu denen die Ana­tolis­che Föder­a­tion gerech­net wird. Wieder­holt bezog sich Nicole S. auf einen ange­blichen Parteibeschluss der DHKP-C aus dem Jahr 2002, dass die Stärke einer Organ­i­sa­tion, die sich im Krieg befinde, in Rela­tion zur Anzahl ihrer Kader, ihrer Waf­fen und ihrer Finanzmit­tel stehe. Die Gebi­ete hät­ten darum die Auf­gabe gehabt, bei Anhängern und Sym­pa­thisan­tinnen bes­timmte Geld­sum­men über Spenden einzuwer­ben; auch Mit­tel für laufende Kosten für Mieten, Kam­pag­nen usw. seien durch Spenden zusam­mengekom­men; über diese seien ständig Einnahme-Ausgabe-Aufstellungen geführt und an die Ver­ant­wortlichen über­mit­telt worden.
Ver­w­er­tungsver­bot für erfolterte Aussagen
Auf die Anmerkung des Recht­san­walts, dass Finanzmit­telbeschaf­fung doch bei jeder Partei etwas völ­lig nor­males wäre, wie u.a. beim Spenden­skan­dal der CDU zu besichti­gen gewe­sen sei, und seiner Frage, aus welchem Grund denn das BKA sich damit so einge­hend befasse, antwortete die Zeu­gin, dies gehe zurück auf den Parteibeschluss der DHKP-C „zur Ausweitung des Krieges“. Den Ein­wand des Anwalts, dass es ja auch andere Ziele gebe, für die Geld gebraucht wird, wie bspw. gew­erkschaftliche Aktiv­itäten oder die Unter­stützung der Hin­terbliebe­nen der Opfer des Berg­w­erkunglücks in Soma, und ob das BKA sich auch damit befasse, brachte dann den Vor­sitzen­den Richter dazu, mit der StPO gegen den Anwalt zu dro­hen und Meis­ter das Wort zu entziehen – die Zeu­gin könne dazu doch nichts sagen; ihre Ein­schätzung der Ermit­tlun­gen sei nicht gefagt.
So ist es wohl: Die Zeu­gin arbeitet zwar inmit­ten einer hoch­poli­tis­chen Gemen­ge­lage, im Span­nungs­feld von Geheim­di­en­sten, Außen-, Innen-, und Recht­spoli­tik, von mil­i­tan­ten Organ­i­sa­tio­nen, sozialen Kämpfen, Migra­tionspoli­tik und Ras­sis­mus. Aber sie muss wohl davor geschützt wer­den, Stel­lung zu poli­tis­chen Fra­gen zu nehmen, da sie doch nur eine Beamtin ist, die „ihren Job macht“ und „lediglich Daten auswertet”. So sieht es die StPO vor. Die Frage blieb unbeantwortet.
Immer­hin: Als der Anwalt vor der anschließen­den Auflis­tung der (ange­blichen) Anschläge derDHKP-C in der Türkei darauf bestand, dass Erken­nt­nisse, die aus Folter­ver­hören stam­men nach deutschem Recht einem Ver­w­er­tungsver­bot unter­liegen, wies Richter Schreiber den Ein­wand zwar zurück – um später im Hin­blick auf das Gesamtver­fahren jedoch Stel­lung dazu zu nehmen: Man sei sich abso­lut darüber klar, dass solche Vernehmungsnieder­schriften nicht als Inhalt einge­führt und bew­ertet wer­den kön­nen, auch nicht mit­tel­bar, zumin­d­est solange die Zeu­gin bei Vernehmungen nicht per­sön­lich dabei gewe­sen sei. Der Recht­san­walt könne es sich also sparen, nun jedes Mal Wider­spruch gegen die Ver­w­er­tung als Beweis­mit­tel einzulegen.
Für das BKA ist Berkin Elvan ein verbinden­des Indiz
Aufge­lis­tet wur­den dann zahlre­iche Bombe­nan­schläge, die der DHKP-C  zugerech­net wer­den. Ange­fan­gen beim Anschlag in Sisli/Istanbul auf die AKP-Parteizentrale, der laut Erk­lärung (die dazuge­höri­gen Erk­lärun­gen der DHKP-C sind jew­eils durch­num­meriert) u.a. mit der Iso­la­tions­folter und der Erstür­mung der Gefäng­nisse am 19. Dezem­ber 2000 begrün­det wurde. Bei der Stür­mung der Knäste durch türkische Sicher­heit­skräfte wur­den vor fün­fzehn Jahren dreis­sig, sich im Hunger­streik gegen die Iso­la­tion in den damals neuen Typ-F-Zellen befind­ende, poli­tis­che Gefan­gene umgebracht.

Es fol­gte die Schilderung weit­erer Aktio­nen, vor allem gegen Polizei­wachen, die der DHKP-Czugerech­net wer­den. Seit 2013 habe es zudem mehrere Anschläge gegeben mit Bezug­nahme auf den Tod des 15-jährigen Berkin Elvan, der während des Gezi-Aufstands als Unbeteiligter von einem Polizis­ten angeschossen wurde und nach monate­langem Koma im März 2014 ver­starb. Zuletzt gab es in diesem Jahr eine tödlich ver­laufende Geisel­nahme des zuständin­gen Staat­san­walts mit der Forderung nach Nen­nung der an der Tötung Berkin Elvans beteiligten Polizis­ten, zu der sich die DHKP-C bekannte.
Auch die Ana­tolis­che Föder­a­tion habe sich mehrfach auf den Tod des Jun­gen bezo­gen, was ein Indiz für die behauptete Deck­ungs­gle­ich­heit des Vere­ins mit der DHKP-C sein soll. Die Prozess-Öffentlichkeit erin­nerte sich jedoch daran, dass so ziem­lich alle die an den Gezi-Protesten beteiligt waren, auf die Tötung Berkin Elvans reagierten – selbst in Wup­per­tal kam es nach seinem Tod zu einer Demon­stra­tion, an der mehrere hun­dert Men­schen teil­nah­men – und das waren zweifel­sohne nicht alles Anhänger*innen der DHKP-C. Doch zum Prinzip der Kon­struk­tion von Wirk­lichkeit durch staatliche Stellen war im Prozessver­lauf ja schon einiges zu erfahren…

„Tiefer Staat”? Für Nicole S. kein Thema
Als Quelle für die Autoren­schaft der DHKP-C an den Anschlä­gen nan­nte die BKA-Zeugin entweder die GSD („Gen­er­al­sicher­heits­di­rek­tion“) in Ankara, oder die Home­page Halkın Sesi, auf der die Erk­lärun­gen der DHKP-C veröf­fentlicht wor­den seien. Auf die Nach­frage Roland Meis­ters nach der nach­weis­baren Authen­tiz­ität der DHKP-C-Erklärungen stellte sich her­aus, dass Nicole S. jedoch nicht sagen kann, wer tat­säch­licher Betreiber der Home­page Halkin Sesi ist. Als der Anwalt nach­hakte, insistierte sie mehrfach, dass die DHKP-C schließlich sel­ber sage, sie würde keinen Anschlag, für den sie ver­ant­wortlich sei, ver­schweigen, sich aber auch zu keinem beken­nen, den sie nicht durchge­führt habe. Das BKA hat offen­bar ein großes Ver­trauen in die von ihr beschat­teten „Terrororganisationen“.
Diese Hal­tung ist auch deshalb ein Poli­tikum, weil im Rah­men der sog. Ergenekon-Verfahren in der Türkei der Vor­wurf laut wurde, die türkische Polizei selbst sei für einige der Anschläge ver­ant­wortlich, die der DHKP-C  zugeschrieben wer­den. Ob diese Vor­würfe beim BKA prob­lema­tisiert wor­den seien, wollte Recht­san­walt Meis­ter wis­sen. Nicole S. wich aus und gab an, sich mit Ergenekon nicht befasst zu haben. Richter Schreiber kam ihr an dieser Stelle zu Hilfe und bean­standete die Frage des Anwalts als „zu unkonkret“, er habe nicht aus­ge­führt, ob es bei diesen Vor­wür­fen um die von Nicole S. erwäh­neten Anschläge ginge. Meis­ter kündigte sein­er­seits daraufhin Konkreteres für die kom­menden Ver­hand­lungstage an. Die Zeu­gin kam let­ztlich um eine Beant­wor­tung der Frage nach der Ein­schätzung des BKA hin­sichtlich des sog. „tiefen Staates” herum.
Span­nend wurde es bei den nach der Mit­tagspause von RA Meis­ter gestell­ten Fra­gen, die sich auf BKA-Erkenntnisse aus der V-Mann-Tätigkeit von Alaat­tin Ateş bezo­gen. Ateş war im Jahr 2002vom türkischen Geheim­di­enst MIT und auch vom Bun­desnachrich­t­en­di­enst (BND) ange­wor­ben wor­den. Er erhielt über die Jahre laut Presse­berichten hohe Sum­men vom deutschen Staat für seine Tätigkeit für alle Seiten: Bis kurz vor seiner Ver­haf­tung im Jahr 2010 war Ateş ange­blich ein wichtiger DHKP-C-Kader in Deutsch­land. 2011 wurde Alaat­tin Ateş auch nach § 129b verurteilt, er kam aber äußerst glimpflich davon: Es blieb bei einer Bewährungsstrafe, seine Tätigkeit für denBND wurde strafmildernd angerechnet.
„Dazu habe ich keine Aussagegenehmigung“
Doch die Befra­gung der Zeu­gin hatte dann etwas vom alljährlichen „Din­ner for One“: Die Zuschauer*innen wis­sen genau was kommt – und müssen doch jedes mal wieder lachen, wenn But­ler James über den Leop­ar­denkopf stolpert. Auch den Beobachter*innen des Prozesses erg­ing es so, als die BKA-Beamtin beinahe bei jeder Frage des Recht­san­walts monoton antwortete: „Dazu habe ich keine Aussagegenehmigung“.

So ließ Nicole S. Meis­ters Nach­fra­gen zur Bedeu­tung des Dop­pela­gen­ten in den Rei­hen derDHKP-C für das Struk­turver­fahren unbeant­wortet. Sie berief sich sowohl für alle den Fall Ateşbetr­e­f­fenden Punkte, als auch auch bei einer Frage des Anwalts, die sich auf eine Antwort der Bun­desregierung auf eine par­la­men­tarische Anfrage Ulla Jelp­kes (MdB die LINKE) bezog, auf ihre fehlende Aus­sage­genehmi­gung. Dem­nach kommt es regelmäßig zum Aus­tausch zwis­chen der mit der DHKP-C befassten BKA-Abteilung und dem türkischem Geheim­di­enst – u.a. fand auch drei Wochen vor Lat­ifes Ver­haf­tung, auf dem Höhep­unkt des Gezi-Aufstandes – ein solches Tre­f­fen statt. Meis­ter wollte von Nicole S. wis­sen, ob sie auch per­sön­lich an solchen Tre­f­fen teilgenom­men habe.
Bei anderen Fra­gen zog sich die BKA-Beamtin auf poli­tis­ches Desin­ter­esse oder auf Unwis­sen zurück. Doch es war wenig glaub­würdig, dass sich eine lei­t­ende Ermit­t­lerin weder mit poli­tis­chen Zusam­men­hän­gen rund um ihr Objekt der Ermit­tlun­gen, noch mit anderen Veröf­fentlichun­gen zu „ihrem” Thema auseinan­der­setzt. So kann Nicole S. nicht ent­gan­gen sein, dass das Beken­nt­nisvideo Nr.444 zur Geisel­nahme des Staat­san­waltes eine virale Ver­bre­itung im Inter­net fand, die der türkische Staat durch Zen­sur­maß­nah­men zu ver­hin­dern suchte. Derzeit läuft beispiel­sweise in der Türkei ein Ver­fahren gegen 18 Journalist*innen in dieser Sache. Gle­ich­wohl befand Nicole S. wieder­holt, dass die Veröf­fentlichung des Videos auf einer Inter­net­seite deren Nähe zur DHKP-Cbelege. Ebenso gab sie an, über die Legal­ität der im Mai vom Bun­desin­nen­min­is­ter ver­bote­nen Zeitung «Yürürüs» in der Türkei und anderen Län­dern nicht Bescheid zu wissen.
Tin­gel­tour wird am 27.8. fortgesetzt

Als Nicole S. durch die anwaltliche Befra­gung zunehmend in die Enge geriet und die Heit­erkeit im Gerichtssaal angesichts ihres sub­op­ti­malen Auftritts unüber­hör­bar wurde, kam ihr Richter Schreiber erneut zu Hilfe. Er fauchte die Prozess-Öffentlichkeit an und dro­hte mit Ord­nungs­geldern und «Schlim­merem», wenn er noch ein­mal ein Lachen oder son­stige Kom­men­tierun­gen höre. Das Spek­takel am siebten Ver­hand­lungstag endete mit dieser an die Zuschauer*innen gerichteten Dro­hung.

Nach der Prozess­pause geht es am 27. August mit Zeu­gen­vernehmungen von weit­eren BKA-Beamten weiter: Die Truppe des Bun­deskrim­i­nalamts befindet sich mit den Aus­sagen zum «Struk­turver­fahren» auf soet­was wie einer «Deutsch­land­tour» – nach Stuttgart heißt der näch­ste Stopp nun Düs­sel­dorf. Bei jedem Ver­fahren gegen ver­meintliche Unterstützer*innen der DHKP-C tin­geln die BKA-Beamt*innen durch die Gerichtssäle und spulen dabei ein immer­gle­iches Pro­gramm ab – inklu­sive der Geschichte von den fehlen­den Aus­sage­genehmi­gun­gen. Wir dür­fen ges­pannt sein, ob die näch­sten Auftritte dann besser ein­studiert sind als der von Nicole S.

Tingelnde BKA-Zeug*innen