Musiker als Terrorist verhaftet

Schlag gegen angebliche Mitglieder von antiimperialistischer Vereinigung aus der Türkei in Deutschland. Auch Grup-Yorum-Mitglied in Haft

Im Januar 2016 begeisterten Ihsan Cibelik und seine Musikerfreunde von der anatolischen Band Grup Yorum bereits zum zweiten Mal die Gäste der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin mit ihren kämpferischen sozialistischen Liedern in türkischer und kurdischer Sprache. Am Mittwoch wurde der als politischer Flüchtling im deutschen Exil lebende Cibelik vor seiner Wohnung in Bochum aufgrund eines Haftbefehls der Bundesanwaltschaft unter Terrorismusanschuldigung festgenommen.
Der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe ordnete am Mittwoch nachmittag Untersuchungshaft gegen den Musiker sowie zwei weitere am Montag und Dienstag in Heidelberg und Hamburg festgenommene türkeistämmige linke Aktivisten an. Laut Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes (GBA) vom Donnerstag werden die drei verdächtigt, Mitglieder der als ausländische terroristische Vereinigung nach dem Strafrechtsparagraphen 129 b eingestuften Revolutionären Volksbefreiungspartei/-front (DHKP-C) zu sein. Die in Türkei auch bewaffnet kämpfende antiimperialistische Organisation mit marxistisch-leninistischem Selbstverständnis, deren Wurzeln bis zur Jugend- und Studentenrevolte von 1968 zurückreichen, ist bis heute in einigen Istanbuler Armenvierteln verankert. Ihre Vorgängerin Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) ist in Deutschland seit 1989 verboten, das Verbot fand auch auf die DHKP-C Anwendung. Mutmaßliche DHKP-C-Mitglieder wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, so der derzeit in Hamburg eine Strafe von sechs Jahren und neun Monaten absitzende Musa Asoglu.
Cibelik war Grup Yorum bereits kurz nach deren Gründung Mitte der 80er Jahre beigetreten und ist heute eines der ältesten Mitglieder dieser in verschiedenen Besetzungen auftretenden Formation, die über 20 Alben produziert hat. Seit 2016 ist es der Gruppe, die davor bei kostenlosen Volkskonzerten in Istanbul Hunderttausende Zuschauer versammeln konnte, nicht mehr erlaubt, in der Türkei aufzutreten. Mehrfach wurde das Idil-Kulturzentrum nach Auftritten der Band in Istanbul von der Polizei gestürmt, Musiker wurden zusammengeschlagen und inhaftiert und ihre Musikinstrumente zertrümmert. Dagegen wehrten sich Bandmitglieder mit Hungerstreiks, in deren Folge vor zwei Jahren die Sängerin Helin Bölek und der Musiker Ibrahim Gökcek starben. Auch in Deutschland wurde in den letzten Jahren mehrere Auftritte der Band verboten. Nach Ansicht der Bundesregierung handelt es sich bei Grup Yorum um einen integralen Bestandteil der DHKP-C.

Die Bundesanwaltschaft beschuldigt Cibelik, auf dessen Ergreifung das türkische Innenministerium ein Kopfgeld von 300.000 Türkischen Lira ausgesetzt hat, seit 2015 als »Regionalverantwortlicher« der DHKP-C in Süddeutschland für Finanzen, Mitgliederschulungen sowie die Durchführung von »Propagandaaktivitäten«, aber auch für die Beschaffung gefälschter Ausweispapiere und konspirativer Wohnungen zuständig gewesen zu sein. Bei der ebenfalls in Untersuchungshaft genommenen Özgül E. soll es sich laut GBA um die »Deutschlandverantwortliche« der DHKP-C handeln. Ihr wird unter anderem die Organisation eines Grup-Yorum-Konzertes im Juni 2014 in Oberhausen vorgeworfen. Serkan K. soll als verantwortlicher Kader der DHKP-C in Hamburg, Bremen und Berlin tätig gewesen sein.
Dass die Haftbefehle gerade zum jetzigen Zeitpunkt vollstreckt wurden, könnte mit außenpolitischen Erwägungen zusammenhängen. Ende letzter Woche hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ein schärferes Vorgehen gegen Exilstrukturen der Arbeiterpartei Kurdistans PKK und der DHKP-C als Bedingung für die Zustimmung zum NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands benannt.
Von Nick Brauns, junge Welt 20.5.22