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Neues zum Freiburger Hungerstreik

Wie vor wenigen Tagen berichtet, befinden sich seit dem 03.Juli 2015
zwei Sicherungsverwahrte in einem unbefristeten Hungerstreik.
(https://freedomforthomas.wordpress.com/2015/07/04/pressemitteilung-erneuter-hungerstreik-hs-in-sicherungsverwahrung-sv)

Die Forderungen
Herr H., der schon 2014 mit einem Hungerstreik Schlagzeilen machte
(https://freedomforthomas.wordpress.com/2014/11/08/hungerstreik-in-jva-freiburg-beendet/)und
gegen die Haftbedingungen in der Freiburger Sicherungsverwahrung
protestierte, sowie Herr P., fordern, dass VertreterInnen des
Justizministeriums, sowie des Landgerichts Freiburg in der JVA
erscheinen, um zusammen mit anderen Mitverwahrten die desolate Situation
in der SV-Anstalt zu erörtern.

Sie kritisieren, dass Fehlen jeglicher Aussenorientierung. Was heißt
das? Während in anderen SV-Anstalten z.B. therapeutisch kooperative
Insassen motiviert werden durch zusätzliche Ausführungen, d.h. Unter
Bewachung gehen sie in die Innenstadt einkaufen (so z.B. JVA
Schwalmstad), gibt es in der Freiburger SV keinerlei Anreiz- oder
Motivationssystem.
Ferner fehle es an einer realistischen Entlassungsperspektive für die
allermeisten Insassen, obwohl das Bundesverfassungsgericht in einem
Urteil vom 04.Mai 2011 gefordert habe, die Anstalten müssten zwingend
alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, um möglichst rasche
‚Entlassreife‘ herzustellen.

Aufmerksam machen wollen sie auch auf den bloßen Verwahrcharakter; so
starb erst am 11.11. 2014 ein Mitverwahrter, dessen Tod dann zu
umfangreichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft
Stuttgart(http://community.beck.de/gruppen/forum/todesermittlungen-in-sicherungsverwahrung),
sowie einer Anfrage der CDU-Landtagsfraktion(Drucksache15/6867, abrufbar
unter (http:www.landtag-bw.de/), führte. Weitere Verwahrte vegitierten
hier vor sich hin: der eine kote und nässe sich fast täglich ein, ein
anderer lebe in einer meist total vermüllten Zelle. Beiden Verwahrten
müsste ein anderer Verwahrter deshalb, manchmal täglich, die Zelle
putzen und teilte ihnen die Wäsche zu.

Zwanzig weitere Sicherungsverwahrte haben in einer
‚Solidaritätserklärung‘ sich der Kritik der beiden Hungerstreikenden
angeschlossen und die Unterschriftenliste an Herrn Dr. Lasotta (Mitglied
des Landtags) gesandt und ihn gebeten sich einzuschaĺten.
Selbst Sicherungsverwahrte die lediglich wegen
Betäubungsmittelstraftaten verurteilt wurden, würden keine echte
Perspektive bekommen: so habe im Fall des Herrn D. das Landgericht
Freiburg schon vor fünf Monaten empfohlen, Herr D. solle Arbeit
zugeteilt werden, damit er einen regelmäßigen Tagesablauf erlerne und
nach einigen Monaten könne man erwägen ihn in eine  andere JVA zu
verlegen, wo er an einer Diamorphin-Substitution (Heroin-Ersatzstoff)
teilnehmen und hernach eventuell entlassen werden könne. Noch heute
wartet Herr D. auf die Chance arbeiten zu können!

Wenn also, so die beiden Protestierenden und viele weiter
Untergebrachten, selbst jemanden mit einem Delikt wie diesem, keine
echte Chance erhalte, dann gelte dies um so mehr für die hier sonst
inhaftierten Gewalt- und insbesondere die Sexualtäter. Wie wohl jeder
seine Strafe abgesessen habe, werde man wie ein Strafgefangener
behandelt, mit maximalen Sicherungsmaßnahmen – erst recht seit vor
wenigen Wochen der ehemalige Chef der Isolations-/Sicherheitsabteilung
der Strafhaft, Herr Amtsinspektor H. in die SV-Anstalt versetzt wurde
und umgehend mit intensiven Zellenkontrollen und weiteren Maßnahmen von
sich reden machte.

Für Versuche der Kontaktaufnahme verwies Herr H. auf seine Freiburger
Rechtsanwältin Frau Gröbmayr.

Die Reaktion der Haftanstalt
Zuerst probierte es man mit ignorieren, dann wurden Dokumentationsmappen
Station angelegt: es wird von dem uniformierten Dienst schriftlich jeden
Tag dokumentiert, wann Nahrung angeboten und abgelehnt wurde. Am 07.Juli
2015 mussten die beiden dann zum Arzt, wo sie ihm eine
Patientenverfügung übergaben. Insbesondere Herr H. betont, er wolle sich
unter keinen Umständen zwangsernähren  und zwangsbehandeln lassen. Dies
dokumentierte dann der Anstaltsarzt Herr S. In den Akten.

Am Mittwoch den 08.Juli 2015 fanden auf den vier Stationen der
SV-Anstalt Sondersitzungen mit der therapeutischen Leiterin Frau Dr. S.,
dem Vollzugsleiter Herr Dipl-Sozialpädagogen G., besagtem Amtsinspektor
H., dessen Vertreter und weiteren Vollzugsbeamten, einer
Sozialarbeiterin, sowie einem weiteren Psychologen Herrn Dipl-Psych. M.,
statt.
Mehrere Stunden befragten diese die Verwahrten. Auf der Station auf der
die Hungerstreikenden leben, wurde allerdings vor Beginn des Gesprächs
der Untergebrachte Herr J. weggeschlossen, denn laut Frau Dr. S. Habe
dieser sie in der Vergangenheit u.a. als „Frau Mengele“ bezeichnet und
damit schwer beleidigt.

Das dann folgende eineinhalbstündige Gespräch verlief in relativ
gesittetem Rahmen. Offenbar zu ruhig,denn am Folgetag gab es die
Rückmeldung, dass als Resümee bei der Anstaltsleitung nach allen
Gesprächen angekommen sei, dass doch soweit alles einigermaßen in
Ordnung sei, es gäbe keine ungute Stimmung und die vorgetragenen
Beschwerdepunkte beträfen im wesentlichen Randbereiche.

Es war übrigens direkte Folge des Hungerstreiks, dass es solche
Konferenzen gab. In all den Jahren die nun diese SV-Anstalt existiert,
gab es ein derartiges Gespräch mit allen Verwahrten noch nie.
Beiläufig wurde dann noch mitgeteilt, dass das für den 15.Juli 2015
geplante Grillfest im Hof der SV-Anstalt abgesagt, zumindest verschoben
sei, denn es sei „ethisch nicht vertretbar“ (O-Ton Anstaltspsychologe
M.) im Hof zu grillen, während zwei Verwahrte hungerten.

Ein Beamter des uniformierten Dienstes stellte jedoch die Vermutung in
den Raum, in Wahrheit habe man verhindern wollen, dass angesichts der
aufgeheizten Stimmung 40 oder 50 Verwahrte zeitgleich in den Hof kämen,
dazu noch all die ehrenamtlichen BetreuerInnen die als Gäste eingeladen
waren.
Die Presse
Einer der beiden Hungerstreikenden hatte sich die Telefonnummer eines
SWR-Journalisten ‚genehmigen‘ lassen (auch einer der Kritikpunkte:
Verwahrte dürfen sich weder anrufen lassen, noch beliebige Nummern
anrufen. Man muss sich im Vorfeld schriftlich um die Freischaltung einer
bestimmten Nummer bemühen) und gab dann am 09.Juli 2015 telefonisch ein
Interview.

Der SWR berichtete sodann über deren
Hungerstreik(http://www.swr.de/landesschau-aktuell/bw/suedbaden/justizvollzugsanstalt-freiburg-zwei-insassen-verweigern-essen/-/id=1552/did=15812896/n).
Am 09.07.2015
(http://www.badische-zeitung.de/freiburg/jva-freiburg-sicherungsverwahrte-im-hungerstreik–107474479.html)
berichtete die Badische Zeitung über den Hungerstreik; ließ dort aber sehr ausführlich einen Sprecher des Justizministeriums zu Wort kommen,
der unterstellte, die beiden hätten ja die Möglichkeit gewissermaßen
heimlich zu Essen.

Im übrigen seien der JVA und dem Justizministerium keine Forderungen der
Protestierenden bekannt; dies könnte auf eine fehlende Kommunikation
hindeuten, denn Herr H. hatte sich u.a. an Frau Ministerialdirektorin
Gallner im Ministerium brieflich gewandt und dort die Forderungen
deutlich beschrieben.
Da der Gewichtsverlust der Hungerstreikenden regelmäßig kontrolliert
wird, kann man auch problemlos die Ehrlichkeit der Hungerstreikenden
belegen; und so mag man die Ausführungen des Pressesprechers des
Ministeriums unter Desinformation verbuchen.
Ausblick

Der Mitverwahrte H. wiegt bei 1,78 cm nur noch 61,7 kg; und er äußert
den festen Willen „diesmal“ es durchzuziehen, bis sich jemand von der Aufsichtsbehörde hier einfinde.
Erst vor wenigen Wochen machte die JVA Bruchsal Schlagzeilen, weil – mal
wieder – ein Gefangener starb. Dann wurde vor wenigen Tagen die
ehemalige Anstaltsärztin von der Staatsanwaltschaft wegen des
Hungertodes eines Isolationsgefangenen angeklagt, so dass man vermuten
könnte, der Hausspitze des Justizministeriums, dem SPD-Justizminister
Stickelberger, sei nicht sonderlich an einem neuen Todesfall gelegen,
der nämlich den Fokus der Öffentlichkeit in verstärktem Maße auf die
desolate, hoffnungslose Situation in der SV-Anstalt lenken würde:
Todesfälle 2013 und 2014. 2015 starb dann ein ehemaliger Verwahrter nur
wenige Monate nach seiner Haftentlassung. Einem Verwahrten musste ein
ganzes Bein amputiert werden, einem anderen der Unterschenkel.

Diese Stimmung von Krankheit, Verfall, Siechtum und Tod beherrscht das
Empfinden vieler der Verwahrten; insbesondere derer die keine Chance
haben in absehbarer Zeit lebend entlassen zu werden.

Nicht umsonst werden Sicherungsverwahranstalten ‚Totenhäuser‘ genannt.
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV)
Hermann-Herder-Str.8, D-79104 Freiburg
http://freedomforthomas.wordpress.com