In Berlin haben heute (am 17. Dezember 2011) bis zu 200 Menschen gegen Nazi- und Staatsgewalt demonstriert. Zusammen mit der Initiative Oury Jalloh e.V., die zur Demo aufgerufen hatte, demonstrierten auch zahlreiche Angehörige von Opfern rassistischer Staatsgewalt.
Während die Mordserie der Allianz aus Neonazis und Verfassungsschutz derzeit die Öffentlichkeit beschäftigt, tagte gestern in Magdeburg wieder das Landgericht zum Fall Oury Jalloh. Der lediglich der „Körperverletzung mit Todesfolge“ beschuldigte Dienstgruppenleiter Schubert dürfte das baldige Ende seines Verfahrens schon sehnsüchtig erwarten, zumal bis zum heutigen Tage das Schweigen der Verantwortlichen eine vollständige Aufklärung der Todesumstände unmöglich macht.
Zum gestrigen Prozesstag wurde als Sachverständiger der Morphologe Prof. Dr. med Bohnert in den Zeugenstand gerufen. In seinem Vortrag konnte er zunächst plausibel darstellen, dass Oury Jalloh sich selbst angezündet haben könnte. Von seinem Standpunkt als Mediziner würde die von der Dessauer Polizei verbreitete Version die Verbrennungen des Körpers und die direkte Todesursache erklären. Die anfängliche Brandstelle zur Rechten Oury Jallohs verursachte demnach die fast vollständige Verbrennung des rechten Armes; das über die Gegensprechanlage gehörte Plätschern in der Zelle könne das siedende Unterhautfettgewebe gewesen sein; die Verbrennung der Atemwege lägen daran, dass sich Oury Jalloh über die Flammen gebeugt und die heiße Luft inhaliert hätte und die direkte Todesursache – das Einatmen der Rauchgase in Kombination mit Drogenkonsum – bestätigt die postmortale Verbrennung des Körperäußeren. Brandbeschleuniger im Feuer wären daher auszuschließen.
Ohne Fallkenntnis würde man dem seriös auftretenden Sachverständigen sofort glauben schenken. Kritische Nachfragen der Anwältin der Nebenklage Gabriele Heinecke offenbarten jedoch schnell dessen Parteilichkeit. Dem Vortrag fehlte an entscheidenden Stellen die Substanz.
So gab Prof. Dr. Bohnert erst auf Nachfragen zu, dass sich die vollkommene Amputation (also das Verbrennen) von Teilen der linken Hand nicht durch die von ihm unterstüzte Version erklären ließen. Auch dass er als Morphologe keine Aussagen über eventuell verwendete Brandbeschleuniger und über die Branddynamik treffen könne verschwieg er zunächst und beharrte trotzdem auf seinen Schätzungen der Feuertemperatur: bei geschätzten 30 Minuten Branddauer hätten 800 Grad Celsius für die entstandenen Verbrennungen ausgereicht.
Auch dass gewisse Werte von Kohlenmonoxid und Ruß der Lunge in der Gerichtsmedizin sehr länderspezifisch auf die Todesursache Einfluss nehmen, wollte Prof. Dr. Bohnert erst nach Drängen durch die Nebenklage eingestehen. Was in Bayern beispielsweise als ursächlich für den Tod gilt, muss dann wohl in Sachsen-Anhalt nicht zwangsläufig tödlich sein – oder anders herum. Somit entkräftete er seine gesamte Aussage und die Kompetenz seines Fachbereichs letztendlich auf die Frage der Rechtsanwältin Heinecke hin, ob denn bei gegebenem Befund alles möglich wäre, folgendermaßen: „alles ist nicht möglich“.
Ein weiterer Prozesstag also, der die zahlreichen Opfer grausamer Polizeiwillkür verhöhnt. Wieder einmal wird klar, dass Gerechtigkeit auf der Straße erkämpft wird und nicht im Gerichtssaal eines Systems, dessen Büttel nur die Grausamkeiten erfüllen, die von der kranken Gesellschaft und ihrem Staat verursacht werden.
Die heutige Demonstration hat erneut darauf gesetzt, möglichst viele Menschen für einen solidarischen Kampf und ein solidarisches Leben fernab des gewalttätigen Staates zu gewinnen. Am vorderen Transparent führten Angehörige und Freunde von Oury Jalloh, Slieman Hamade und Dennis J. gemeinsam die Demonstration an – ein Bild, dass nicht nur die Berliner Polizei in Angst und Schrecken versetzt, sondern gleichzeitig zukünftigen Opfern und deren Angehörigen Kraft und Mut geben wird.
Gemeinsam gehen wir in ein neues Jahr des Kampfes um die Gerechtigkeit und das Andenken der Toten. Es gibt viel zu tun! Break the silence!
7. Januar in Dessau: 7. Jahrestag der Ermordung Oury Jallohs
19. Januar in Magdeburg: offiziell letzter Prozesstag
28. Januar in Berlin: gemeinsame und bundesweite Antirepressionsdemo
Tag X: Urteilsverkündung in Magdeburg und Tag des Widerstandes