Für immer getrennt

Mumia Abu-Jamal wurde Teilnahme an Bestattung seiner Ehepartnerin Wadiya Jamal verweigert

Vor einer Woche waren an dieser Stelle die Worte des US-Journalisten Mumia Abu-Jamal zu lesen, mit denen er sich von seiner Frau Wadiya verabschiedet hatte, die am 27. Dezember plötzlich gestorben war. Abu-Jamal, seit über 41 Jahren politischer Gefangener im US-Bundesstaat Pennsylvania, durfte nicht an ihrer Bestattung teilnehmen. Die Anstaltsleitung des Mahanoy-Gefängnisses hatte den Antrag des 68jährigen Bürgerrechtlers auf eine von Justizwachtmeistern begleitete Ausführung zur Beerdigung rigoros abgelehnt. Die Qualität eines Gesellschaftssystems und sein Verhältnis zu den Menschenrechten zeigt sich auch daran, inwieweit es inhaftierten Hinterbliebenen ermöglicht, bei ihren verstorbenen Angehörigen zu sein und um sie zu trauern.

Abu-Jamal wurde wegen eines Polizistenmordes in einem rassistischen Prozess zunächst zum Tode, dann zu lebenslanger Haft verurteilt. Aufgrund der von seiner Verteidigung längst erbrachten Unschuldsbeweise kann er gar nicht der Täter gewesen sein, er war vielmehr selbst Opfer rassistischer Polizeigewalt. Bei allen Entscheidungen der US-Justiz galt immer die berüchtigte »Mumia-Ausnahme«, mit der sogar höchstrichterliche Entscheidungen negiert wurden, wenn es darum ging, die Rechtsbrüche von Polizei und Justiz zu legitimieren. Doch diesmal gab es keine Ausnahme von der ungeschriebenen Regel des US-Sicherheitsapparats, die jedem gegenüber Härte und Unnachgiebigkeit vorschreibt, der je etwas mit der legendären Black Panther Party zu tun hatte: Abu-Jamal konnte am 30. Dezember nicht mit Familie und Freunden am Sarg seiner Frau trauern, sondern die Trauerzeremonie lediglich eine Stunde lang vom Knast aus per Zoom-Videoschaltung verfolgen.

Seiner Unterstützerin Johanna Fer­nandez von der Kampagne »Bring Mumia Home« sagte er hinterher, er wünschte, Wadiya hätte »den Überschwang an Liebe sehen können«, der ihr auf der Feier von den vielen Anwesenden entgegengebracht wurde. Die zahlreichen schriftlichen Beileidsbekundungen zeigen, dass Wadiya Jamals Tod unerwartet kam. Das New Yorker »Malcolm X Commemoration Committee« schrieb, es habe »fassungslos und mit gebrochenem Herzen von ihrem plötzlichen Tod erfahren«.

Wadiya Jamal hat die meiste Zeit ihres Erwachsenenlebens für die Freiheit und das Leben ihres Mannes gekämpft, bis ein Herzinfarkt sie drei Monate vor ihrem 70. Geburtstag selbst aus dem Leben riss. Eine Gerichtsentscheidung elf Tage zuvor hatte erneut ihre Hoffnung genährt, ihr Mann könnte doch noch einen neuen Prozess kommen, der ihm endlich die Gefängnistore öffnet. Abu-Jamals langjährige Unterstützerin Betsey Piette beschrieb »Wawa, wie sie gerne genannt wurde«, am 4. Januar in Workers World »als hingebungsvollen Familienmenschen«. Diese Eigenschaft sei für sie »Anlass zur Freude, aber auch zu großem Kummer« gewesen, seit sie in der Folge von Abu-Jamals Verhaftung am 9. Dezember 1981 durch Gefängnismauern von ihm getrennt wurde.

In der Trauergedenkschrift wurde Wadiya Jamal als »lebhaft und freimütig« beschrieben. Sie habe oft im Mittelpunkt der Zusammenkünfte gestanden, an denen sie mit klugen Beiträgen teilnahm, um »auf die Ungerechtigkeiten gegen die schwarze Bevölkerung aufmerksam zu machen«. Für ihre Enkel, Neffen und Nichten habe sie Filmabende zum Thema veranstaltet. Die ganze Nachbarschaft habe sie als ihre »Tante« verehrt, deren Haus »ein sicherer Ort für alle war, die Liebe und Zuneigung brauchten«. Im Gespräch mit Fernandez merkte Abu-Jamal an, der Dezember sei für Wadiya und die ganze Familie immer eine »dunkle Zeit« gewesen, seit ihre jüngste Tochter Samiya im Dezember 2015 mit 36 Jahren nach einem langen Kampf gegen den Krebs gestorben war. Wadiya Jamal wurde nun neben ihrer Tochter beigesetzt.

Die in Paris lebende US-Schriftstellerin Julia Wright sah sie in einem spontan verfassten Gedicht weiter »in Mumias Zelle« als seine »Seelenwächterin«, mit der »er das Brot bricht«, und wenn sich endlich seine Zellentür öffne, sei sie es, die »ihn zu uns führen wird, auf seinen ersten freien Schritten nach so langer Zeit«.

In dem von ihm geschriebenen »Sad Love Song« hatte der so Beschützte seiner Frau Wadiya 2009 seine unverbrüchliche Liebe erklärt. Das Lied trug er dem Hamburger Schauspieler und Gewerkschafter Rolf Becker vor, als dieser ihn in jenem Herbst im Todestrakt besuchte. »Mit seiner weichen, melodisch-zarten Stimme«, so Becker im jW-Interview, sang Abu-Jamal hinter der Trennscheibe sein Lied für Wadiya: »Es gibt kein stärkeres Lied / als dein Echo in meinem Herzen / Es gibt kein traurigeres Lied / als unser beider Trennung / Denn es gibt kein schöneres Lied /als ein Liebeslied / Ein Lied von mir für dich!«

Von Jürgen Heiser

https://www.jungewelt.de/artikel/442413.politische-gefangene-für-immer-getrennt.html