ahmet yüskel2020

POLITISCHE JUSTIZ »Das liest sich für mich wie eine versteckte Drohung«

Türkischer Linker muss sich nach jahrelanger Haftstrafe in BRD gegen neue Vorwürfe wehren. Ein Gespräch mit Ahmet Düzgün Yüksel
Ahmet Düzgün Yüksel ist ­Rechtsanwalt

Sie waren mehr als sechs Jahre in Stuttgart-Stammheim inhaftiert.

Ihnen wurde vorgeworfen, Funktionär der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front DHKP-C gewesen zu sein und für die türkische Organisation in der BRD gearbeitet zu haben (jW berichtete). Wie kam es damals dazu?

Ich wurde im Jahr 2006 verhaftet und im Rahmen eines gigantischen Prozesses, der 168 Sitzungen dauerte, verurteilt. Hintergrund ist der Paragraph 129b Strafgesetzbuch: Mir wurde die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Konkret wurden mir das Organisieren von rechtlich zugelassenen Kundgebungen und Konzerten, Rechtsberatung zu juristischen Aspekten der DHKP-C und ähnliche Aktivitäten zur Last gelegt. Ich war drei Jahre und neun Monate in Isolationshaft, davon die meiste Zeit in Stammheim. Insgesamt war ich sechs Jahre und sieben Monate im Gefängnis, da Bewährung abgelehnt wurde. Ich habe in der Zeit verschiedene gesundheitliche Probleme gehabt, einige von ihnen dauern immer noch an.

Auch Jahre nach Ihrer Freilassung unterliegen Sie Repressalien. Wie sehen diese aus?

Zuerst wurde mein Asylrecht aufgehoben. Ich lebe derzeit mit einer Duldung in Deutschland. Nach meiner Freilassung wurden mir außerdem für die Dauer von fünf Jahren Meldeauflagen auferlegt, die als Führungsaufsicht bezeichnet werden. Ich darf nach diesen Auflagen die Stadt Bielefeld nicht verlassen, darf kein Unternehmen gründen oder in meinem Fach als türkischer Rechtsberater arbeiten. Ich habe diese grausame Praxis vier Jahre lang ausgehalten. Die Verpflichtung, mich bei der Polizei zu melden, war in den ersten Monaten auf einmal pro Woche festgesetzt worden. Als ich in Mannheim bei einer Podiumsdiskussion zum Kampf gegen Drogen teilgenommen hatte, hieß es, ich müsse nun alle zwei Tage kommen.

Ihnen wird seitens der Behörden vorgeworfen, diese Meldeauflagen vor zwei Jahren insgesamt viermal verletzt zu haben. Warum wurden für eine Verhandlung darüber Ende Oktober zwei ganze Prozesstage am Amtsgericht Bielefeld anberaumt?

Das Ganze kommt mir vor wie ein Theaterstück. Als ich zur Polizei ging, um den Auflagen nachzukommen, haben die Beamten das zunächst noch in ihren Akten festgehalten. Offensichtlich haben sie das später nicht mehr dokumentiert. Natürlich sind die Polizisten auch nur Menschen und können etwas vergessen. Aber mittlerweile ist mir klar, dass die Bundesanwaltschaft, die sich nach wie vor um meinen Fall »kümmert«, das zu einem Problem für mich machen will. In der Folge fing ich selbst an, einen Kalender zu führen und dort meine Besuche bei der Polizei zu vermerken.

Unter dem Druck der Bundesanwaltschaft reichte der örtliche Staatsanwalt den Fall ein und behauptete sinngemäß, die Behörden hätten keine Eintragung vergessen, also müsste es mein Fehler sein. Die zuständige Richterin hatte die Anklage zunächst zugelassen. Nach den Beweisen, die wir dem Gericht vorlegten, war sie von der Absurdität der Vorwürfe offenbar überzeugt und bot an, den Fall abzuschließen. Dem widersetzte sich aber die Staatsanwaltschaft hartnäckig.

Rechnen Sie mit einer Klärung des Sachverhaltes?

Wenn die Gesetze richtig umgesetzt werden, werde ich freigesprochen – ich bin zu hundert Prozent im Recht. Ich bin auch zuversichtlich, weil die Richterin ihre Arbeit gewissenhaft zu machen scheint. Das heißt, sie wendet das Gesetz an und sucht nach Beweisen. Die Staatsanwaltschaft wiederum hat einen Bericht vorgelegt, der sich wie eine versteckte Drohung liest. Auch wenn es nicht genau so gesagt wird, steht da für mich zwischen den Zeilen, dass ich bestraft werden soll, weil ich mit der DHKP-C sympathisieren würde. Jedes Land hat eine bürokratische geheime Sprache, das kenne ich gut. In diesem Fall werden neun Polizisten und drei Zeugen der Verteidigung angehört. Es wird interessant zu sehen sein, wie der Prozess verläuft.

Interview: Henning von Stoltzenberg

junge Welt 20.10.2020