RAF-Prozeß in Stuttgart fortgesetzt

Nebenkläger will ehemaligen Bundesanwalt als Zeugen vernehmen lassen

Von Claudia Wangerin, Stuttgart

Im Prozeß gegen Verena Becker wegen des Attentats auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine beiden Begleiter im Jahr 1977 haben am Freitag drei weitere ehemalige Mitglieder der »Roten Armee Fraktion« (RAF) vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart die Aussage verweigert.

Nebenkläger Michael Buback, dessen Vater bei dem Anschlag ums Leben kam, will unterdessen eine Interview-Aussage des ehemaligen RAF-Mitglieds Knut Folkerts überprüfen. Dieser hatte am Donnerstag ebenfalls vor Gericht geschwiegen und bei Prozeßbeteiligten für Unverständnis gesorgt, da er der Öffentlichkeit via Spiegel-Gespräch etwas mitzuteilen habe, aber nicht der Justiz. 2007 hatte Folkerts dem Journalisten Michael Sontheimer gesagt: »Der Bundesanwalt Wolfgang Pfaff zum Beispiel, der 1980 die Anklage in meinem Prozeß vertrat, nach der ich der Todesschütze von Buback gewesen sei, kannte seit 1982 die Aussage von Verena Becker gegenüber dem Verfassungsschutz, nach der ich an dem Attentat nicht beteiligt war.« Michael Buback sprach sich am Freitag vor Gericht dafür aus, Pfaff als Zeugen zu vernehmen. Buback verdächtigt Becker, die tödlichen Schüsse abgegeben zu haben, und will den Umfang ihrer Kontakte zum Verfassungsschutz prüfen.

Die 58jährige hat von 1977 bis 1989 wegen anderer Taten eine Haftstrafe verbüßt und ist in diesem Fall als Mittäterin angeklagt. Wegen ihrer Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz wurde sie 1983 vom Kollektiv der RAF-Gefangenen ausgeschlossen.

Diese hatten sich in ihren Prozessen zur gemeinsamen Verantwortung für Anschläge bekannt, aber zu individuellen Tatbeiträgen geschwiegen. Dieses Prinzip wurde auch nach der Auflösung der RAF, nach zum Teil über 20jährigen Haftstrafen und politischer Selbstkritik von Beteiligten beibehalten. RAF-Aussteiger konnten nur darüber spekulieren, wer am 7. April 1977 auf Buback und seine beiden Begleiter geschossen haben könnte. Verena Becker hat sich entschlossen, im aktuellen Prozeß zu schweigen.

Sieglinde Hofmann, Rolf Clemens Wagner und Irmgard Möller, die am Freitag als Zeugen geladen waren und bereits Haftzeiten von 18 bis 24 Jahren hinter sich haben, hatten ihr Schweigen vor dem Verhandlungstermin angekündigt. Trotzdem wurden ihnen sämtliche Einzelfragen gestellt, die das Gericht für wesentlich hielt. Angefangen bei der Lebensphase vor dem Beitritt zur RAF und dem Zeitpunkt der Bekanntschaft mit Verena Becker. Hofmann und Wagner wurden außerdem nach Aufenthalten der Gruppe im Jemen kurz vor der »Offensive 77« sowie Treffen im Harz und in den Niederlanden gefragt.

Irmgard Möller, die sich von 1972 bis 1995 in Haft befand, fragte der Vorsitzende Richter Hermann Wieland sogar, wo und mit wem sie inhaftiert gewesen sei sowie nach den Haftbedingungen. »Das ist alles aktenkundig, aber ich sage dazu nichts«, war die vorhersehbare Antwort. Da umstritten ist, ob es den RAF-Gefangenen möglich war, aus der Haft heraus Direktiven an die Illegalen zu übermitteln, stritten Nebenklage und Verteidigung, ob auch Irmgard Möller vom Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen könne, das nach Paragraph 55 der Strafprozeßordnung dann gilt, wenn die Gefahr besteht, sich durch Aussagen selbst zu belasten.

Die Vereidigung argumentierte, Gericht und Bundesanwaltschaft hätten den RAF-Kronzeugen Peter-Jürgen Boock bisher als glaubwürdig eingestuft; und dieser habe eine solche Kommunikation zwischen Gefangenen und Illegalen für möglich gehalten. Daraus ergebe sich für Möller die Gefahr einer Selbstbelastung und somit ein Auskunftsverweigerungsrecht. Im folgenden Wortgefecht ging es um Konsequenzen, denn die Verteidigung zweifelt nach wie vor an der Glaubwürdigkeit Boocks. Das Gericht müsse aber seiner eigenen Logik treu bleiben, kommentierten Prozeßbeobachter der Roten Hilfe das Geschehen. »Bedenklich finde ich auch, wenn ein Richter ständig betont, daß es höhere Werte als Recht und Gesetz gibt«, sagte ein Sprecher der Gruppe. Wieland hatte bei der Vernehmung der Zeugen mehrfach auf moralische Pflichten verwiesen, die aus der Haft Entlassene gegenüber der Gesellschaft hätten. Irmgard Möller wurde nach einer Beratungspause »für heute« ein Auskunftsverweigerungsrecht zugestanden.