Rede anlässlich des Prozesses vom 21./22. Februar 2022 (Basel Nazifrei & G20)

Wir – die revolutionäre antifaschistische Bewegung – kennen diesen Vorplatz des Strafgerichts in Basel unterdessen ja wirklich zu Genüge. Aus der ganzen Schweiz kamen wir während der letzten eineinhalb Jahren immer wieder hier hin um unsere angeklagten Genoss_innen zu unterstützen. Dabei ist es uns gelungen, diesen verregneten Vorplatz und diesen düsteren Gerichtssaal dem Feind ein Stück weit zu entreissen. Es ist uns gelungen, diesen Vorplatz mit unseren Perspektiven und Inhalten, mit unserer Kraft und Solidarität zu füllen.

Aus anarchistischer Perspektive wurde über das Verhältnis zwischen bürgerlicher Justiz und revolutionärer Identität gesprochen, aus feministischem Blickwinkel der gemeinsame Kern von Patriarchat und Faschismus beleuchtet, in marxistischen Begriffen der historische Charakter der Klassenjustiz beschrieben – um nur einige Eckpfeiler eines breiten Feldes zu erwähnen. Und dabei immer im Zentrum, die Solidarität als weit mehr denn freundschaftliche Unterstützung: die Solidarität als Waffe eben dieser Rückeroberung feindlichen Territoriums.

Wir blieben aber nicht auf diesem Vorplatz stehen. Im Gegenteil. Als Bewegung verfolgen wir unsere eigene Agenda! Wir diskutieren, wir vernetzen uns, organisieren Demos und Aktionen, dringen von Strassen, Wänden und Bildschirmen ins Bewusstsein der Gesellschaft.

Heute, zweieinhalb Jahre nachdem uns Cabreras Bullen aus den Betten geholt haben, besteht kein Zweifel daran: Die antifaschistische Bewegung ist stärker als zuvor: Sie ist breiter abgestützt, besser organisiert, sie ist selbstbewusster, und – kleiner Scherz – sogar reicher als zuvor. Spiess umgedreht, Ziel erreicht: Natürlich wäre es schön diese Rede hier schon wieder zu beenden. Doch weder die Rede noch die Kampagne kann hier beendet sein, denn natürlich ist Cabrera nur ein kleines Fischlein, dieser Gerichtsaal nur eine ziemlich unbedeutende Station in unserem eigentlichen Kampf.

Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich behaupte, die revolutionäre antifaschistische Bewegung stehe global vor der grössten Herausforderung und in der schwersten historischen Verantwortung seit der Niederschlagung des NS-Faschismus. Diese historische Herausforderung bezieht sich natürlich nicht auf jene 30 Junge-Tat Prügelknaben vom letzten Samstag, sie bezieht sich auch nicht auf die Erdogans, Zemmours, Bolsonaros und Trumps dieser Welt – sie bezieht sich auf den Zustand der Welt, der diese Monster hervorbringt.

Was aber ist dieser Monster gebärende Zustand der Welt? Am besten ist er wohl mit dem Wort «Krise» beschrieben. Krise nicht im umgangssprachlichen Sinne eines isolierten Aussetzers, sondern im umfassenden Sinn einer historischen Phase. Krisen sind Phasen des Übergangs. Sie sind der brüchige Zwischenzustand, wenn das Alte nicht mehr verhält und das Neue noch nicht trägt. Ob mit dem Scheitern der Welthandelsrunde in Doha 2006, dem Einbruch des Finanzsystems 2008 oder den Pariser und Athener Vorstadt-Revolten der späten Nullerjahre: Es spielt keine Rolle, wo wir den Beginn dieser Phase sehen, wichtig ist die Feststellung, dass der Kapitalismus in seiner demokratisch-neoliberalen Form an Grenzen gestossen ist, die er nicht lösen kann. Auf dieser Grundlage der fundamentalen Krise, explodieren seither – in immer schwerer voraussehbarer Gestalt – die Widersprüche, sowohl zwischen den imperialistischen Blöcken, wie zwischen den Klassen.

Und vor diesem Hintergrund der fundamentalen Krise, der nicht mehr funktionierenden Vermittlung kapitalistischer Herrschaft, ist die derzeitige Wiedererstarkung der faschistischen Bedrohung zu sehen. Denn diese setzt sich aus zwei konvergenten Strängen zusammen, die beide in dieser Krisenhaftigkeit wurzeln: Einerseits von oben, aus dem zunehmenden Rückgriff auf autoritäre Herrschaftsformen, weil die alten bürgerlich-demokratischen Herrschaftsformen immer schlechter greifen. Andererseits von unten, aus der zunehmenden Popularität rassistischer Verschwörungsmythologien als Erklärungsmuster einer immer bedrohlicher und irrationaler erscheinenden Krisenentwicklung.

Warum sag ich das alles? Ich sage das, um zu behaupten, dass es heute nicht reicht, Monster zu jagen. Mehr denn je müssen wir aufs Ganze zielen! Antifaschismus – und das ist die grosse historische Verantwortung – heisst heute mit aller Kraft an einer gesellschaftlich handlungsfähigen revolutionären Perspektive zu arbeiten. Diese revolutionäre Perspektive – nicht abstrakt verstanden, sondern konkret, nämlich als der strategische Strang von der heutigen Defensive in die morgige Offensive – existiert nicht einfach so. Es gilt sie zu entwickeln! Im Bewusstsein, dass die Geschichte in Phasen und Etappen verläuft und im Bewusstsein, dass wir in einer brüchigen Zeit leben und kämpfen, in einer Zeit, in der gesellschaftliche Widersprüche jederzeit umschlagen können, gilt es Wege nach vorne zu finden.

Das heisst natürlich keineswegs, dass die klassische antifaschistische Handarbeit ausgedient hätte. Im Gegenteil! Basel Nazifrei, Zürich Nazifrei, Bern Nazifrei – diese Versprechen zu halten, und damit uns, unsere Mitmenschen und unsere Strukturen zu schützen, wird uns in nächster Zukunft viel Arbeit abverlangen. Und das ist auch gut so! Denn – ich komme zum Kern und Abschluss meiner Rede – blicken wir zurück auf den letzten Samstag in Zürich: Wie Geil. Und in etwas politischeren Kategorien: Wie fundamental wichtig, dass sich gegen Ende einer in verschiedener Hinsicht herausfordernden Pandemie-Zeit nochmal die gesamte Bewegung darauf besonnen hat, dass wir stark sind, wenn wir gemeinsam und entschlossen handeln.

Wir stehen ohne Zweifel vor einer schwierigen Aufgabe. Wir müssen Antworten finden auf Fragen, die wir noch nicht mal genau kennen. Es gilt Formen der Intervention und Organisation zu entwickeln, die einer erst vage erkennbaren historischen Phase entsprechen.
So wenig ich weiss wo entlang unser Weg zum nächsten Kampfzyklus verlaufen wird, so überzeugt bin ich zu wissen, wie wir diesen Weg finden: In genau jener offensiven Einheit nämlich, die den Erfolg vom letzten Samstag ermöglicht hat. Wenn es uns als revolutionäre Kräfte gelingt, im Bewusstsein unserer Differenzen tragfähige Einheiten zu bilden, sind wir stark. Es ist diese Stärke der revolutionären Einheit, die uns erlaubt, in gesellschaftliche Bruchlinien zu intervenieren und darin durch den offensiven Bruch mit Staat und Kapital eine revolutionäre Perspektive zu entwickeln.

Los! Los! Die Zeit drängt! Packen wir es an! Und lassen wir uns dabei nicht von so kleinen Fischlein wie Cabrera aufhalten sondern nutzen wir sie im Gegenteil als willkommene Nahrung auf unserem Weg.