GEFÄNGNISBRIEFE

Nicht nur Geschichte
Zwei Neuerscheinungen mit Stimmen von politischen Gefangenen aus den 70er und 80er Jahren
Von Ron Augustin junge Welt 28.2.22
Gerti Wilford (Hrsg.): Ingrid Schubert. Briefe aus dem Knast 1970–1977. Edition Cimarron, Brüssel 2022, 254 Seiten, 12 Euro
Gisela Dutzi (Hrsg.): Briefwechsel Christa Eckes Hüseyin Celebi. April 1988–Dezember 1989. Edition Cimarron, Brüssel 2021, 200 Seiten, 12 Euro
Die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts war gekennzeichnet durch heftige politische und militärische Auseinandersetzungen, die dem Euphemismus des »kalten« Kriegs hohnsprechen. Die Umbrüche im weltweiten Prozess der Dekolonisierung gaben auch der Linken in den kapitalistischen Zentren neue Impulse und führten zu einem Aufbruch von bis dahin ungeahnten Dimensionen. In einem Zeitraum von etwa 30 Jahren wuchs eine zwar zersplitterte, aber weit verbreitete antikapitalistische Linke heran, die sich als undogmatisch, antiautoritär, unabhängig von den traditionellen Arbeiterparteien verstand. Ihre Diskussionen, Initiativen und Kämpfe haben Spuren hinterlassen, die nicht mehr wegzukriegen sind.
Das neuerlich wieder aufgekommene Interesse für diese Auseinandersetzungen scheint nicht an allen linken Buchverlagen vorbeigegangen zu sein. Neben den Versuchen, verschiedene Entwicklungen dieser Zeit »aufzuarbeiten«, sind zwei Bücher erschienen, die die Erfahrungen politischer Gefangener der 1970er und 1980er Jahre in der Bundesrepublik reflektieren.
Der erste Band enthält den Briefwechsel zwischen Christa Eckes aus der RAF und Hüseyin Celebi aus der kurdischen Bewegung, als beide in der Bundesrepublik im Knast waren. Die Korrespondenz entstand 1988/89 während des ersten großen Verfahrens gegen die kurdische Bewegung, mit dem das Verbot der PKK in Deutschland vorbereitet wurde, und des letzten kollektiven Hungerstreiks der Gefangenen aus der RAF. Es war die Zeit des »neoliberalen« Rollbacks, in der die beiden Gefangenen ihre Erfahrungen mit Knast und Justiz austauschten und über die Situation der kurdischen, türkischen und deutschen Linken nachdachten.

In einem zweiten Band sind Briefe des RAF-Mitglieds Ingrid Schubert an ihre Schwester zusammengestellt. Sie stammen aus dem Zeitraum 1970 bis 1977, als der Kampf der politischen Gefangenen anfing, sich zu konkretisieren. Die Briefe zeigen, woran Ingrid Schubert gearbeitet hat, was ihr wichtig war und womit sie sich in der Knastsituation täglich herumschlagen musste, aber auch, wie sie ständig um einen sinnvollen Austausch mit der Familie bemüht war. Abgesehen von den Versuchen, mit den anderen Gefangenen aus der RAF zusammenzukommen, ist das der rote Faden. In den Briefen und Begleittexten sind auch zahlreiche Informationen zu den Kämpfen dieser Zeit und der Eskalation 1977 zu finden.
Beide Briefesammlungen sind sehr persönlich, aber vermitteln zugleich beispielhaft, weshalb der kollektive Kampf der Gefangenen gegen die Isolation und für ihre politische Identität so stark war und jahrzehntelang eine solche Resonanz gefunden hat. Und weshalb er, wie die Gefangenenbewegungen in anderen Ländern, eine so nachhaltige Wirkung auf andere Kämpfe im In- und Ausland gehabt hat. Schließlich ist er nicht nur Geschichte: Viele aus dieser Zeit – in Spanien, Frankreich, Italien, USA, Türkei usw. – sind, zum Teil seit mehr als 40 Jahren, immer noch im Gefängnis.