REPRESSION GEGEN LINKE: »Meine Wohnung haben sie mit dem SEK gestürmt«

Fällen eingestellt worden. Ein Gespräch mit Halil Simsek
Halil Simsek ist Aktivist und Sprecher der Gruppe Roter Aufbau Hamburg

Nach mehr als drei Jahren sind Ermittlungen gegen Sie und 23 weitere vermeintliche Aktivisten des »Roten Aufbaus Hamburg« wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach Paragraph 129 des Strafgesetzbuches eingestellt worden. Hat Sie das überrascht?

Die Urteile der Klassenjustiz und der bürgerlichen Repressionsorgane sind oft willkürlich, daher waren wir auf alles eingestellt. Wer für eine bessere und gerechtere Welt eintritt, wird immer auch mit Repression konfrontiert, welche stets die herrschende Ordnung verteidigt. Als revolutionärere Kommunisten und Kommunistinnen bleiben wir unversöhnlich diesem Staat gegenüber. Ich setze keine Hoffnungen in ihn, daher bin ich von seinem Handeln auch nicht besonders überrascht. Vor allem wird der Paragraph 129 als politisches Instrument benutzt, daher kann eigentlich immer alles rauskommen.

Gegen einzelne Beschuldigte wird weiter ermittelt. Worum geht es in diesen Fällen?

Die Fälle reichen von Ermittlungen wegen Graffiti bis zum Aufruf, faschistische Demonstrationen mit allen Mitteln zu verhindern. Insgesamt wurden uns 17 Tatkomplexe vorgeworfen. Dabei hatte dies häufig ein Muster: Der Rote Aufbau hat zu einer politischen Aktion aufgerufen, dann gab es dort Auseinandersetzungen, und man konnte nachweisen, dass bestimmte uns zugerechnete Personen vor Ort waren. Die meisten »Straftaten« konnten sie jedoch nicht einzelnen Leuten nachweisen und auch nicht, dass überhaupt Leute aus unseren Zusammenhängen daran beteiligt waren.

Von Anfang an war kritisiert worden, dass die Behörden sich mit den Ermittlungen vor allem Befugnisse für ein Ausspähen und Überwachen der Gruppe verschaffen wollten.

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Nicht ohne Grund wird Paragraph 129 auch »Schnüffelparagraph« genannt. Er dient vor allem dazu, dass die Polizei sämtliche Befugnisse bekommt und Monate respektive Jahre linke Strukturen durchleuchten kann. Dies scheint ausgeschöpft, und nun haben sie festgestellt, dass sie uns trotz erheblicher Ermittlungsanstrengungen keine ausreichende Anzahl an Straftaten nachweisen können, die aufzeigen würden, dass der Rote Aufbau darauf ausgerichtet ist, Straftaten zu begehen. Die Polizei gibt jetzt zu, diese hätten eine untergeordnete Bedeutung.

Es gab während der Zeit der Ermittlungen immer wieder Repressalien gegen einzelne. Wie sahen die aus?

Meine Wohnung haben sie mit dem SEK gestürmt und mich mit gezogener Waffe aus dem Bett geholt. Dabei haben sie neben der Tür auch die Fußböden in allen Zimmern zerstört. Sie wollten hohen Sachschaden anrichten. Bei allen wurde sämtliche Technik beschlagnahmt. Diese mussten wir ersetzen, mit den Kosten für die Anwälte war dies eine große finanzielle Belastung. Dann haben sie auch Leute bei der Arbeit »besucht«, um Druck aufzubauen. Einzelne wurden zu Geldstrafen verurteilt. Die permanente Überwachung hat natürlich auch ihre Wirkung auf jeden einzelnen.

Haben die Verfahren die Gruppe geschwächt? Welche Bilanz ziehen Sie?

Repression zeigt immer auch eine Wirkung, weil sie einzelne trifft und da kann man zwar kollektiv entgegenwirken, aber die individuelle Belastung nicht komplett abfedern. Nach solchen Ereignissen ist es also normal, dass einzelne wegbrechen. Wir haben dies aber auch genutzt, um unsere Strukturen besser aufzubauen und aus den Fehlern zu lernen. Dieses Wissen haben wir in über 20 Veranstaltungen weitergegeben.

Schlussendlich sind wir trotz der ganzen Kosten und persönlichen Einschnitte als Bewegung gestärkt daraus hervorgegangen. Politische Praxis gilt es immer weiter zu professionalisieren. Der Hamburger Aufstand jährt sich zum 100. Mal, die KPD ist leider gescheitert. Wir sehen uns in ihrer Tradition und wollen uns immer noch nicht mit Kapitalismus, Krieg und Krise abfinden. Als Kommunisten und Kommunistinnen arbeiten wir an der Überwindung dieser Verhältnisse. Es gilt weiterzumachen!

junge Welt 23.10.23