REPRESSION GEGEN PALÄSTINA-BEWEGUNG

»Dann werde ich gerne kriminalisiert«
Berlin: Landeskriminalamt besucht Palästina-Aktivisten nach Social-Media-Beitrag. Ein Gespräch mit Salah S.

Salah S. ist Palästinenser und aktiv bei »Pa_allies« in Berlin

Demonstration: »Solidarität mit Palästina«, Sa, 23.12, ab 14 Uhr, Mehringplatz Berlin

Sie haben am Donnerstag morgen einen Instagram-Post verfasst. Noch am selben Tag kamen drei Mitarbeiter des Landeskriminalamts (LKA) bei Ihnen vorbei und haben Sie »gewarnt«. Was hatten Sie geschrieben?

Ich habe einen Aufruf verfasst, um darauf aufmerksam zu machen, dass am Roten Rathaus die israelische Flagge gehisst ist, und dass der Oberbürgermeister sich einseitig zu Israel bekennt, aber nie über die Situation der Palästinenser spricht. Daher habe ich Berliner dazu aufgefordert, sich beim Roten Rathaus zu melden und nachzuhaken, warum das die Politik des Rathauses ist.

Und deswegen wurden Sie vom LKA besucht?

Genau. Die Beamten standen vor meiner Tür, wollten herein und sagten, sie seien wegen eines Social-Media-Beitrags gekommen. Sie erklärten mir, es gehe explizit um diesen Aufruf. Zunächst erklärte man, der Post würde »fast schon in Richtung Gewaltverherrlichung gehen«. Dann bestätigten die Beamten mir aber, in dem Beitrag sei »kein krimineller Inhalt festzustellen«, er sei auch sonst nicht verwerflich oder rechtlich problematisch. Sie sagten mir sogar, es gehöre zu unseren Bürgerrechten, dass wir uns an unseren Bürgermeister wenden können!

Was war denn dann die Begründung?

Dass ich »als Person polarisierend« sei und dass »die Regierung das Gefühl habe, dass aufgrund meiner Beiträge Menschen gewalttätig werden könnten.« Deswegen habe man »vorbeikommen müssen«. Als ich sie damit konfrontiert habe, dass sie einfach anrufen oder eine E-Mail hätten schreiben können, stimmten sie sogar zu.

Was wollten die Beamten von Ihnen?

Sie sagten, sie »müssten mich warnen«. Außerdem erklärten sie, sie würden »Informationen über mich in einer Akte sammeln«. Wenn es »so weitergeht«, würden sie bald »wahrscheinlich ein zweites Mal vor meiner Haustür stehen«.

Welcher Zweck sollte mit diesem Besuch verfolgt werden?

Ich denke, das Ziel war, propalästinensische Stimmen zu unterdrücken. Mit solchen Maßnahmen sollen Menschen das Gefühl bekommen, dass »zuviel« Aktivismus zum Thema Palästina gegebenenfalls Konsequenzen haben kann.

Sie sind Anmelder einer für Sonnabend angekündigten propalästinensischen Demonstration in Berlin. Wurden Sie auch deshalb besucht?

In den letzten zwei Monaten habe ich unzählige Demonstrationen angemeldet und bin daher den Behörden bekannt. Ich kann mir gut vorstellen, dass die LKA-Mitarbeiter gekommen sind, weil ich viele Veranstaltungen organisiere. Vielleicht war die Hoffnung, dass ich dann damit aufhöre.

Am Mittwoch wurden in Berlin Razzien wegen eines Onlinebeitrags bei mehreren linken Projekten durchgeführt. Befürchten Sie ähnliches?

Ich habe nichts zu verheimlichen. Es geht nur darum, Menschen einzuschüchtern. Und das hat in Deutschland gut funktioniert: Unmittelbar nach dem 7. Oktober wurden alle propalästinensischen Versammlungen in Berlin unterbunden, die palästinensische Flagge wurde kriminalisiert. Die Repression hat dazu geführt, dass sehr viele Menschen nicht mehr auf die Straße gegangen sind. Dem konnten wir nach und nach entgegenwirken. Jetzt gibt es andere Versuche, die Menschen davon abzuhalten, sich zu engagieren. Der Besuch bei mir fand nicht ohne Grund mitten am Tag statt. Ich denke, die Idee war, dass es zum Beispiel Nachbarn mitbekommen, damit ich bloßgestellt werde. Ähnlich ist es mit den Hausdurchsuchungen: Das sind verzweifelte Einschüchterungsversuche.

Sie wollen trotzdem weitermachen?

Absolut. Das ist meine Botschaft an alle anderen: Geht weiter auf die Straße! Bis jetzt sind über 27.000 Palästinenser durch den Krieg gegen Gaza gestorben. Das mindeste, was wir hier tun können, ist, den Menschen vor Ort Gehör zu verschaffen. Wenn wir dafür kriminalisiert werden sollen, dann werde ich gerne kriminalisiert. Die Position der BRD, sich sogar gegen einen Waffenstillstand auszusprechen, zeigt, dass die Bundesregierung eine der größten Diasporagemeinschaften von Palästinensern außerhalb des Nahen Ostens komplett ignoriert. Deshalb müssen wir zeigen, dass auch wir Teil der Bevölkerung sind, hierhergehören und dass auch unsere Perspektive zählt.
Interview: Jamal Iqrith

junge Welt 23.12.23