REPRESSIONEN GEGEN ASYLSUCHENDE

»Selbst Seehofer beglückwünscht die Grünen dazu«
Unhaltbare Bedingungen im Abschiebegefängnis in Glückstadt. Umgang mit Asylsuchenden verantwortungslos. Ein Gespräch mit Leni Hintze
Interview: Gitta Düperthal junge Welt 15.5.23

Leni Hintze ist aktiv beim Bündnis »Kein Abschiebegefängnis in Glückstadt und anderswo«

Das Bündnis »Kein Abschiebegefängnis in Glückstadt und anderswo« hat am Samstag vor dem Abschiebeknast in Glückstadt in Schleswig-Holstein demonstriert und dessen sofortige Schließung gefordert. Wie sind die Haftbedingungen dort?

Unser Bündnis kritisiert die schleswig-holsteinische Landesregierung, weil sie dieses Abschiebegefängnis zynisch als »Wohnen minus Freiheit« betitelt. Zu den genauen Zuständen dort können wir nichts sagen, weil uns der Zugang verwehrt wird. Nur wer bereits direkt in Kontakt zu den Gefangenen stand, darf rein. Dieser Knast in der Verantwortung der drei Landesregierungen von Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Schleswig-Holstein hat alle Merkmale eines Gefängnisses: hohe Mauern, Stacheldraht, Schließzeiten, Überwachungskameras und Isolationszellen. Die Gefangenen dort leiden unter dem Freiheitsentzug. Nach mehr als anderthalb Jahren Betrieb und mehr als 200 Inhaftierten darin, sagen wir: Es gibt keine humane Abschiebehaft.

Wie ist die Absicht der Ampelregierung, künftig verschärft abschieben zu wollen, zu bewerten?

Diese Regierung unter Mitwirkung von Bündnis 90/Die Grünen ist derart unter Einfluss von rechten Kräften geraten, dass selbst Horst Seehofer sie dazu beglückwünscht. Das sollte ihnen zu denken geben. Wir wünschen uns eine solidarische Gesellschaft, in der Menschen, die nichts verbrochen haben, nicht eingesperrt werden; auch nicht in das Abschiebegefängnis Glückstadt. Unsere Regierung darf ihnen nicht vorschreiben, wo sie leben dürfen und wo nicht.

Auch Neamah S. ist in Abschiebehaft in Glückstadt. Ihm droht eine Kettenabschiebung: Er soll nach Belgien abgeschoben werden und von dort aus weiter in den Irak. Was ist seine Geschichte?

Wie andere Geflüchtete auch ist Neamah stark traumatisiert. Menschen wie er erleben statt des dringend benötigten Schutzes in der BRD ein unmenschliches Abschiebesystem. Im Irak wird er politisch verfolgt, weil er als Religionskritiker in den Sozialen Medien aktiv ist. Deshalb kam er 2019 nach Belgien. Im Juni 2022 flüchtete er weiter in die BRD, wo er am 15. August 2022 in Rendsburg von neun religiösen Fundamentalisten mit einem Messer schwer verletzt wurde – am Darm und an der Hand. Er befindet sich also hier in gleicher Gefahr wie im Irak. Nach einer Notoperation im Krankenhaus nahm ihn die deutsche Polizei fest und übergab ihn den belgischen Amtskollegen. Dort wurde er im Krankenhaus behandelt und im Anschluss wieder auf die Straße entlassen. Später kam er zum zweiten Mal nach Deutschland, weil er von dem Einreiseverbot mit einer 18monatigen Sperrfrist keine Kenntnis hatte. Sein Asylantrag in Belgien wurde abgelehnt.

Wurden die Täter strafverfolgt?

Er sagt, dass er keinerlei Informationen über die neun Angreifer erhielt. Wir finden es skandalös, dass die Öffentlichkeit von dem Vorgang nichts erfahren hat. Dass das Opfer der Attacke einfach nach Belgien abgeschoben und das Verbrechen unter den Tisch gekehrt werden sollte, finden wir völlig verantwortungslos.

Sie schildern, dass Neamah S. suizidgefährdet ist und dringend Hilfe benötigt.

Im Gefängnis in Glückstadt wurde er anfangs in eine Einzelzelle zur Beobachtung gesperrt, was seine psychische Gesundheit verschlechterte. Mit einem dortigen Arzt habe er darüber gesprochen, sagt Neamah. Uns ist unbegreiflich, wie es sein kann, dass er hier angegriffen wurde, ihm kein Schutz gewährt wird, und er obendrein noch eingesperrt wird. Während der Kundgebung haben wir ihn angerufen, er konnte zu uns sprechen. Wir setzen uns für die Rechte aller Geflüchteten ein, sie haben ihre Gründe, warum sie sich auf die Flucht begeben. Wir müssen sie aufnehmen, willkommen heißen und ihnen Sicherheit bieten. Dass die drei Landesregierungen an einem unmenschlichen Abschiebesystem festhalten wollen, ist fatal. Wir fordern die Kommunen auf, ihren Ermessensspielraum zu nutzen und keine Menschen mehr in Abschiebeknäste zu überführen.