REPRESSION:»Seit Wochen wurde Jule fast täglich kontrolliert«

Frankfurt am Main: Linke Aktivistin wird anlasslos von Polizei bedrängt. Ein Gespräch mit Jakob Dautzenberg junge Welt 15.9.23

Jakob Dautzenberg (Name geändert) ist aktiv beim Presseteam des »Solibündnisses Jule Liebig«

Demonstration: Sonnabend, 23. September, 15 Uhr, Kaisersack, Frankfurt am Main

Jule Liebig ist Pressesprecherin der Hausbesetzung in der Günderrodestraße 5 in Frankfurt am Main. Sie sieht sich zu Unrecht von staatlicher Repression überzogen – inwiefern?

Seit sieben Wochen wurde Jule fast täglich von Streifenpolizistinnen und Streifenpolizisten kontrolliert sowie durch Zivilbeamte überwacht. Ein weißer Pkw stand ständig vor ihrem Haus, verfolgte sie auf Schritt und Tritt. Selbst nachts um drei! Meist kontrollierten die Beamtinnen und Beamten immer dann, wenn begleitende Personen sie wieder verlassen hatten, auf der Straße oder im Park. Nur zweimal war das nicht der Fall; ein Mal mit ihrer Mutter, ein anderes Mal mit ihrer Großmutter. Mal fragten sie nach ihrem Personalausweis; mal wurde sie von Beamtinnen durchsucht, was bis zu einer dreiviertel Stunde dauern konnte. Uniformierte klingelten in der Nachbarschaft und erkundigten sich über sie.

Das muss belastend für sie sein …

Ja, klar. Es machte sie aber auch widerständiger: Die Öffentlichkeit muss davon erfahren, wenn eine 18jährige aufs Schlimmste drangsaliert wird. Also informierte sie uns und wir machten es öffentlich. Wir hoffen, dass die Polizei solche Überwachungen in Zukunft unterlässt.

HAU Klasse-Schwerpunkt
Hat sich etwas verändert, nachdem Sie den Fall öffentlich gemacht haben?

Diese Tortur ans Tageslicht zu bringen, hatte Erfolg. Seit etwa einer Woche gibt es keine Kontrollen mehr. Unsere Öffentlichkeitsarbeit ging mit einer Eilklage beim Frankfurter Verwaltungsgericht einher. Dabei ging es darum, Akteneinsicht zu erhalten, ob ein Verfahren gegen Jule läuft. Das war nicht der Fall. Wir müssen davon ausgehen, dass die Schikane nur der Einschüchterung einer linken Aktivistin, die Pressearbeit macht, dienen sollte. Seitens der Polizei leugnete man die rechtswidrigen Kontrollen. Das Verwaltungsgericht setzte der Polizei und dem Landeskriminalamt eine Frist, Stellung zu nehmen. Jule ist nach eigener Auskunft innerhalb weniger Wochen mehr als 30mal kontrolliert worden, und die Polizei will davon angeblich nichts wissen.

Wie werten Sie es, dass nun ein Polizeisprecher auf Anfrage der Frankfurter Lokalpresse erklärte, man habe erst kürzlich von den Vorwürfen erfahren und werde nun intern prüfen?

Nach dem Echo, das der Polizeiskandal nach sich zog, war eine Stellungnahme unausweichlich. Wie wenig von einer internen Überprüfung der Frankfurter Polizei zu erwarten ist, gerade wenn es um die Verfolgung linker Strukturen geht, war bereits in der Vergangenheit zu erfahren. Dass es an Aufklärungsbereitschaft mangelt, wurde etwa auch im Fall des »NSU 2.0« offensichtlich. Bis heute ist die Rolle des 1. Polizeireviers in Frankfurt im Fall der Anwältin Seda Başay-Yıldız ungeklärt. Ende 2018 wurde bekannt, dass gegen sie gerichtete rechte Drohbriefe nichtöffentliche Daten zu ihr und ihrer Familie enthielten, die zuvor von einem Polizeicomputer dort abgefragt wurden.

Wer steht für das Vorgehen politisch in der Verantwortung?

Mutmaßlich wird all das koordiniert. Wir müssen davon ausgehen, dass das LKA und das Landesamt für Verfassungsschutz die Hände im Spiel haben. Es ist ungeheuerlich: Das LfV hat im vergangenen Jahr in Hessen 1.730 Personen zur extremen Rechten gezählt, 880 davon schätzt die Behörde als gewaltorientiert ein. Die Zahl der mit Haftbefehl gesuchten untergetauchten Neonazis steigt bundesweit seit Jahren an. Da hätte man wahrlich genug zu tun. Statt dessen drangsalieren Beamte sieben Wochen lang eine 18jährige Pressesprecherin, gegen die kein Strafverfahren läuft. Für die falsch gesetzten Prioritäten steht Hessens Innenminister Peter Beuth von der CDU in der Verantwortung. Wir fordern, Repressionen, die in der ganzen Republik gegen linke Strukturen laufen, endlich einzustellen und statt dessen den Blick nach rechts zu wenden, wo massenhaft gewaltbereite Neonazis völlig unbehelligt bleiben. Und wir fordern die Frankfurter Polizei auf, bei unserer für den 23. September geplanten Demonstration polizeiliche Provokationen zu unterlassen.