Neues Versammlungsgesetz in Aktion: Polizei überwacht Diskussionsveranstaltung engmaschig. Ein Gespräch mit Gizem Koçkaya
Interview: Henning von Stoltzenberg
Gizem Koçkaya ist Sprecherin der Bündnisse »Heizung, Brot und Frieden Duisburg« und »Duisburg stellt sich quer«
Sie haben vorletzte Woche bei einer Veranstaltung Besuch von der Polizei gehabt. Wie kam es dazu?
Besuch ist gut. Die Bündnisse »Duisburg stellt sich quer« und »Heizung, Brot und Frieden« hatten zu einer Veranstaltung mit dem Titel »Antipalästinensischer Rassismus und Repression in Deutschland« in den Jugend- und Kulturverein im Stadtteil Marxloh eingeladen. Referiert hat einerseits Leon Wystrychowski zum Thema »Palästinenserfeindlichkeit – eine deutsche Tradition?«. Der zweite Referent war Zaid Abdulnasser, der ehemalige Sprecher von Samidoun, des inzwischen verbotenen palästinensischen Solidaritätsnetzwerkes für politische Gefangene. Er berichtete über die erlebte Repression gegen Samidoun. Das hat den Behörden offensichtlich nicht gepasst. Um halb sieben, als wir gerade beginnen wollten, fuhren acht Mannschaftswagen vor und bauten sich vor dem Verein auf.
Wie ging es dann weiter?
Der Einsatzleiter fragte nach einer Veranstaltungsleiterin, zu der hab ich mich dann erklärt. Daraufhin bekam ich einen 22seitigen Bescheid ausgehändigt, in dem uns verboten wurde, zu Gewalt und Straftaten aufzurufen, insbesondere gegen die israelische Bevölkerung und einiges mehr. Als ob wir das vorgehabt hätten. Das ist wirklich eine dreiste Unterstellung, und ich behaupte, das hat die Polizeibehörde ganz bewusst so formuliert. Beide Referenten und ihre politische Tätigkeit sind darin erwähnt.
Die Veranstaltung konnte dann ungehindert starten?
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Eben nicht, denn in dem Bescheid stand, dass unser Diskussionsabend nach Paragraph 2 des neuen NRW-Versammlungsgesetzes eine öffentliche Versammlung sei. Das ist jetzt so, wenn offen zu Veranstaltungen eingeladen wird. Deswegen forderte die Einsatzleitung, dass die Polizei in Gestalt von zwei Zivilbeamten an dem zur Versammlung erklärten Diskussionsabend teilnehmen könne. Sie sollten etwaige Straftaten dokumentieren. Damit nicht genug, sollten die Türen des Kulturvereins trotz Minusgraden geöffnet bleiben, um die Beamten zu schützen.
Haben Sie sich darauf eingelassen?
Wir haben selbstverständlich dagegen protestiert. Es gab eine Diskussion mit den Beamten, aber letzten Endes haben wir das zugelassen, um zu deeskalieren und die Veranstaltung, vor allem aber die 50 Besucherinnen und Besucher nicht zu gefährden. Ich hatte den Eindruck, dass die Einsatzkräfte ziemlich auf Krawall gebürstet waren. Es wurde auch versucht, einen Jugendlichen herauszugreifen, weil er der Polizei angeblich den Zutritt verweigert haben sollte.
Konnten die Referate und die anschließende Diskussion ungehindert stattfinden?
Nein. Wir wurden zwar dann nicht mehr direkt unterbrochen, aber eine politische Diskussion unter den Augen und Ohren der Polizei, die alles kritisch beäugt und nur auf ein falsches Wort lauert, ist nicht frei. Das war eine eindeutige Einschränkung der Meinungsfreiheit. Das Auftreten der Polizei vor der Tür hat auch dafür gesorgt, dass manche Menschen nicht hineingekommen sind, um sich politisch zu informieren. Ehrlich gesagt, habe ich so etwas bei einer Versammlung in einem geschlossenen Raum noch nicht erlebt. Eine betagte Genossin verglich die Situation später mit dem Gebaren der Polizei in den fünfziger Jahren gegenüber Saalveranstaltungen der KPD vor ihrem Verbot.
Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Erstens war es absolut richtig und bleibt weiter notwendig, sich gegen dieses neue Versammlungsgesetz in NRW zu engagieren, sowohl politisch als auch juristisch. Denn genau das, was wir vorausgesagt und wogegen wir protestiert haben, ist eingetreten. Jegliche dem Staat missliebige Veranstaltung kann mit diesem Instrument bestens überwacht, drangsaliert oder auch unterbunden werden. Zweitens werden wir uns das nicht gefallen lassen, sondern weiterhin für die Rechte der palästinensischen Bevölkerung auf die Straße gehen und gegen Krieg und Repression demonstrieren. Am 19. Dezember machen wir eine weitere Veranstaltung in Marxloh. Dort ordnen wir das Geschehene gemeinsam mit Rechtsanwälten und Initiativen ein und überlegen, wie wir weiter vorgehen werden. Wer uns einschüchtern wollte, hat das Gegenteil erreicht.
junge Welt 18.12.23