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»Haben Aufklärung selbst in die Hand genommen«

Außerparlamentarischer Untersuchungsausschuss beschäftigt sich mit den Ereignissen um den G-20-Gipfel. Gespräch mit Jan U.
Kristian Stemmler junge Welt 5.2.18

Der »Außerparlamentarische Untersuchungsausschuss G 20« zum Gipfel Anfang Juli in Hamburg hat sich im November 2017 konstituiert. Wer macht da mit, was war der Anlass, und was ist das Ziel?

Wir sind ein Zusammenschluss aus Einzelpersonen und Gruppen unter anderem aus dem Hamburger »Recht auf Stadt«-Netzwerk, dem Archiv der Sozialen Bewegungen, dem Ermittlungsausschuss, dem Gängeviertel e. V., »St. Pauli selber machen«, dem Flüchtlingsrat Hamburg und dem Medienzentrum FC/MC. Es geht darum, die Vorgänge rund um den G-20-Gipfel aufzuarbeiten. Da von offizieller Seite keine Aufklärung zu erwarten ist – und schlimmer noch: Da diese aktiv behindert wird, haben wir das nun selbst in die Hand genommen.

Im Gegensatz zum Sonderausschuss in der Bürgerschaft bekommen Sie keinerlei offizielle Unterlagen zu den Vorgängen wie Einsatzbefehle oder Funkprotokolle auf direktem Weg. Wie kommen Sie an Informationen?

Schon der Sonderausschuss der Bürgerschaft hat nicht die umfangreichen Rechte wie ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Und wir kommen überhaupt nicht an offizielle Unterlagen heran. Deshalb ist der G20ApUA auf die Mitwirkung der Bevölkerung angewiesen, auf die Hilfe von Personen, die geschädigt wurden, und auch auf Hinweise von Polizisten, denen die Ereignisse der Gipfelwoche nicht mehr aus dem Kopf gehen. Manches kommt auch in den Prozessen ans Licht, insbesondere wenn Anwälte bei widersprüchlichen Zeugenaussagen nachhaken.

Wie sieht Ihre Bilanz des Gipfels aus?

Der ApUA steht noch ziemlich am Anfang seiner Arbeit. In den bisherigen Prozessen wird die Gewalt nur auf seiten der Demonstranten gesehen und diese werden unverhältnismäßig hart bestraft. Schon im Vorfeld des G-20-Treffens wurde versucht, den Protest zu delegitimieren und zu kriminalisieren. Und das ist auch danach weitergegangen. Auf der anderen Seite gibt es zwar 115 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten, aber bislang wurde noch keine einzige Anklage erhoben, etwa 20 Verfahren jedoch eingestellt.

Sie beobachten so gut wie alle G-20-Prozesse seit Ende August 2017. Oft wird schon die Verhandlungsführung kaum rechtsstaatlichen Maßstäben gerecht. Wie erleben Sie das?

Immer wieder werden Strafprozessordnung und Rechtsstaatlichkeit missachtet. Da werden Angeklagte ohne anwaltlichen Beistand dem Haftrichter vorgeführt, sprechen Polizeizeugen ihre Aussagen vor Prozessbeginn ab, werden Akten manipuliert. Auch andere Gruppen und Organisationen wie der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein, auch RAV genannt, Amnesty International oder das Grundrechtekomitee üben an diesen Vorgängen scharfe Kritik. Einige Verteidiger sprechen sogar von »Aussagekomplotten«.

Warum macht die Justiz sich so zum willfährigen Vollstrecker? Ist das die Rache für die Riots beim G 20?

Zahlreiche Politiker, darunter Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, SPD, riefen schon kurz nach dem Gipfel nach harten Strafen gegen die inhaftierten Demonstranten. Das macht auf uns den Eindruck, dass damit Druck auf die Justiz ausgeübt werden sollte. Trotz dürftiger Beweislagen oder auch komplett fehlender Beweise wurden bisher alle Angeklagten zu hohen Strafen verurteilt. Dies könnte auch damit zusammenhängen, dass die massive Polizeipräsenz während des G-20-Gipfels samt der Einsatzmaxime der harten Linie, genannt »Hamburger Linie«, im nachhinein gerechtfertigt werden muss. Die Angeklagten, die jetzt vor Gericht stehen, sollen offensichtlich exemplarisch für den Widerstand abgeurteilt werden. Die stellvertretende Vorsitzende des RAV, Franziska Nedelmann, nennt dies »Feindstrafrecht«.

Womit kann man dem G20ApUA am ehesten helfen, und wie kann man Kontakt aufnehmen?

Personen, die Beobachtungen gemacht oder Informationen gesammelt haben, sollen sich gerne per Mail bei uns melden. Wir nehmen dann zu ihnen Kontakt auf, um alles weitere vertraulich zu besprechen.

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