»Klar ist, daß in Richtung Mord ermittelt werden muß«

»Klar ist, daß in Richtung Mord ermittelt werden muß«

| Ein Gespräch mit Anett Zeidler |
| Anett Zeidler ist Mitglied im Verein »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« in Berlin. |

Am heutigen Donnerstag wird das Verfahren zum Fall Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 in der Zelle Nummer fünf des Polizeireviers Dessau den Feuertod starb, vor dem Landgericht Magdeburg fortgesetzt.

Ihre Initiative hat eine Kampagne gestartet, um die Richterin aufzufordern, einen unabhängigen Brandsachverständigen hinzuzuziehen – warum?
Damit läßt sich klären, welchen Verlauf der Brand in der Zelle genommen hat. Es ist rekonstruierbar, ob es mehr als nur eines Brandherdes bedurft hätte, um so qualvoll wie Oury Jalloh umzukommen. Er verbrannte bei einer Temperatur von 800 Grad Celsius auf einer feuerfesten Matratze, an Händen und Füßen gefesselt. Die Staatsanwaltschaft ging davon aus, daß er sich mit seiner rechten Hand selbst mit einem Feuerzeug angezündet hat, weil die rechte Seite seines Körpers intensivere Verbrennungen aufweist als die linke. Dennoch waren auch Finger seiner linken Hand verbrannt. Deshalb ist zu vermuten, daß es mehrere Brandherde gegeben haben kann.

Zudem wurde die Lache einer bisher unbekannten Flüssigkeit entdeckt – war es Wasser oder ein Brandbeschleuniger? Letzteres könnte darauf hindeuten, daß an diesem Tag im Revier tätige Polizisten oder Polizistinnen Oury Jalloh umgebracht haben. Der bisherige Brandgutachter arbeitete nach einer Vorgabe, die auf der Selbstmordthese basierte. Im Revisionsprozeß sagte er aus, Versuche mit verschiedenen Ansätzen seien notwendig. Eine Anwältin der Nebenklage hat bereits im Januar einen Beweisantrag gestellt: Ermittlungen müßten auch ein Verbrechen des vorsätzlichen Mordes in Erwägung ziehen. Wir wünschen uns insofern, daß sich viele an unserer E-Mail- und Faxkampagne beteiligen. Ein Musterschreiben gibt es auf unserer Webseite.

Sie fordern weiterhin lückenlose Aufklärung?
Wir fürchten, daß das Gericht es bei den benannten drei Terminen, am heutigen Donnerstag, dem 6. und 13. März, belassen will. Für uns fängt der Prozeß aber jetzt erst richtig an. Erstmals ist klar, daß in Richtung Mord ermittelt werden muß, was wir seit sieben Jahren fordern.

Die Anklage gegen den Polizisten Andreas Schubert wurde auf »fahrlässige Tötung« erweitert. Könnten Sie mit diesem Ergebnis der Kämpfe der Flüchtlingsorganisationen um einen fairen Prozeß nicht zufrieden sein?
Nein, vermutlich muß er nur als Bauernopfer herhalten. Schubert ist schwer krank, arbeitet nicht mehr im Dessauer Polizeirevier, wird bald verrentet. Am Tag, als Oury Jalloh starb, war er diensthabender Gruppenleiter und wird deshalb zur Verantwortung gezogen. Laut Aussage der Polizistin Beate H. soll er nicht rechtzeitig in die Zelle gegangen sein und den Alarm mehrmals weggedrückt haben. Sie zog ihre Aussage aber wieder zurück. Seltsamerweise hat niemand Oury Jalloh schreien gehört, Zeugen und Zeuginnen widersprechen sich ständig, ihre Aussagen sind wenig vertrauenswürdig. Wichtig ist deshalb ein objektives Brandgutachten. Außerdem ist endlich zu klären, welche Flüssigkeit sich damals auf dem Boden befunden hat.

Im Mustertext der Faxkampagne heißt es, Schubert sei auch angeklagt, weil deutlich geworden sei, daß die Ingewahrsamnahme von Oury Jalloh keine Rechtsgrundlage gehabt habe. Wie das?
Zwei Arbeiterinnen der Stadtreinigung riefen am 7. Januar 2005 bei der Polizei an und sagten, sie seien von Oury Jalloh belästigt worden. Später sagten sie aus, er habe sich nur ein Handy ausleihen wollen. Möglicherweise haben die Frauen »den Schwarzen« gesehen und nach gängigem rassistischen Muster automatisch gedacht: Er will uns überfallen oder vergewaltigen.

Wie kämpfen die Initiativen weiter um Aufklärung?
An allen genannten Terminen wird zur Prozeßbeobachtung und Kundgebung aufgerufen. Außerdem soll am Samstag, 25. Februar, eine Großdemo in Dessau stattfinden.

Interview: Gitta Düpertha, junge Welt 16.2.2012