Protestmarsch der Flüchtlinge erreicht Berlin: 600 Kilometer zu Fuß, um menschliche Behandlung einzufordern. Gespräch mit Houmer Hedajatzadeh
Houmer Hedajatzadeh, iranischer Herkunft, aus Regensburg ist Sprecher des Flüchtlingsprotestmarschs nach Berlin
Der am 8. September in Würzburg nach Berlin aufgebrochene Protestmarsch von 30 Flüchtlingen erreicht am heutigen Freitag Berlin. Geplant ist um 12.30 Uhr eine Willkommensaktion auf Glienicker Brücke – was soll dort stattfinden und wie ist der Kampf um bessere Lebensbedingungen bislang in der Öffentlichkeit angekommen?
Wir sind diese 600 Kilometer gelaufen, um die Gesetze zu brechen. Wir haben sowohl die Residenzpflicht verletzt, die unsere Bewegungsfreiheit auf Landkreise einschränkt, als auch die Pflicht, uns in den Lagern aufzuhalten. Ziel unseres Protestes war, den Inhalt dieser diskriminierenden Sondergesetze, mit denen man uns Flüchtlingen in Deutschland das Leben schwer macht, der Öffentlichkeit bekanntzumachen. Das haben wir geschafft!
Viele regionale Zeitungen und Radiostationen haben während unseres Marsches darüber berichtet, wie unsere Rechte mit Füßen getreten werden. Auf der Glienicker Brücke werden wir Berliner Aktivisten treffen und in der Nacht von Freitag auf Samstag wollen wir im Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin übernachten. Das alles mußte sehr spontan organisiert werden, weil wir auf unserem Fußmarsch nur von einem Tag auf den anderen planen konnten. Aber so ähnlich ist es ja ansonsten in unserem Leben auch. Wir wissen nie, was morgen ist, weil wir nicht arbeiten dürfen, wenig Geld erhalten und keine Zukunftsperspektive entwickeln können. Im Hintergrund lauert stets die Drohung der Abschiebung. Daß man uns mitten in der Nacht verhaftet und uns wie Verbrecher ins Gefängnis steckt oder von der Polizei außer Landes schaffen läßt. Wir fordern ein selbstbestimmtes Leben in Würde und die Abschaffung aller Sondergesetze, die uns ausgrenzen.
Was ist nach der Ankunft in Berlin weiter geplant?
Am Samstag werden wir das letzte Teilstück des Marsches vom Otto-Suhr-Institut in Berlin-Dahlem zum Protestcamp auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg zurücklegen. Dort werden auch die parallel zu uns eintreffenden Flüchtlinge eintreffen, die mit dem Bus nach Berlin kommen. Zugleich mobilisieren wir in allen Lagern dafür, sich anzuschließen, denn wir müssen uns jetzt alle gemeinsam wehren. Für Samstag, 13. Oktober, planen wir eine Demonstration zum Deutschen Bundestag. Treffpunkt ist um 15 Uhr am Oranienplatz.
Welche Bilanz ziehen Sie nach dem Marsch – hat er den gewünschten Erfolg gehabt?
Wir haben einen Monat lang Leute auf öffentlichen Plätzen über die uns zugemuteten miserablen Lebensbedingungen informiert. Viele wissen nun über unsere Situation Bescheid. Die Medien interpretieren dies allerdings häufig auf ihre Weise. Zum Beispiel haben einige so berichtet, als ob unser Protest nur auf iranische Flüchtlinge reduziert sei. Was nicht stimmt: Asylsuchende aus allen Ländern beteiligen sich.
Oder es wird versucht, einen Keil zwischen uns und die Unterstützer zu treiben – so als wären wir uns nicht einig. Auch das ist falsch. All das wirkt auf uns, als wollten die Medien einen Weg suchen, um bloß nicht über den eigentlichen Skandal berichten zu müssen: Daß wir per Gesetz als Menschen zweiter Klasse abgestempelt sind und auch so behandelt werden.
Wie soll es mit dem Protest weitergehen?
Der Fußmarsch war nach dem Hungerstreik in Würzburg im März nur eine weitere Aktion in unserem Kampf um bessere Lebensbedingungen. Wir werden solange weitermachen, bis die Residenzpflicht, der erzwungene Lageraufenthalt und die unmenschliche Abschiebepolitik abgeschafft sind.
Sie fordern zudem die Bürgerinnen und Bürger dazu auf, die Flüchtlingslager an Ort und Stelle zu besuchen. Was erwarten Sie sich davon?
Das ist Teil eines Vorschlags, wie man uns unterstützen kann. Wir wollen, daß Deutsche uns wahrnehmen und direkte Beziehung zu uns aufnehmen. Denn die Gesetze der Residenz- und Lagerpflicht sind aus unserer Sicht eigens dazu gemacht, um uns von der Bevölkerung zu isolieren. Das wollen wir durchbrechen.