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»Wir kämpfen für das Leben«

In Nordsyrien haben sich Deutsche einer linken kurdischen Miliz angeschlossen
In Rojava kämpfen Hunderte Ausländer gegen den Islamischen Staat. Viele Freiwillige verteidigen damit ein von den Kurden neu geschaffenes Gesellschaftssystem.
Von Sebastian Bähr nd 26. Mai 2017
Ein dunkler Raum in dem soziokulturellen Zentrum »Buntes Haus« in Celle: in der Mitte liegen zwei Blumensträuße, der Eingang wird von einem stämmigen Kurden in gelber Weste überwacht. An den Wänden befinden sich rund 30 Porträts mehrheitlich junger Männer. Texttafeln erklären: Die Kämpfer auf den Fotos sind ausländische Freiwillige, die in Nordsyrien im Krieg gegen den Islamischen Staat (IS) gefallen sind. Briten und US-Amerikaner finden sich unter den Gesichtern, aber auch vier Deutsche. Über den Bildern hängen Wimpel der YPG, der syrisch-kurdischen »Volksverteidigungseinheiten«. Die Miliz gehört zur linken »Partei der Demokratischen Union« (PYD) und ist stärkste militärische Kraft in »Rojava«. Der Name der seit 2013 selbstverwalteten Gebiete südlich der türkischen Grenze bedeutet in der kurdischen Sprache »der Westen«.

Der Zeigefinger von Marius Stern*, ein hochgewachsener Mann mit Kapuzenpullover und Basecap, wandert über die Porträts. »Der wurde von einem Scharfschützen erschossen. Der ist auf eine Mine getreten. Und die beiden sind ums Leben gekommen, als die Türkei uns bombardiert hatte.« Die Anspannung ist dem Berliner anzumerken, als er auf seine gefallenen Gefährten blickt. Stern ist Ende 30 und seit 15 Jahren militanter Antifaschist. Elf Monate hat er insgesamt in Rojava gekämpft. Jetzt besucht er die erste Gedenkfeier in Deutschland für die verstorbenen Freiwilligen. Rund 200 Gäste sind erschienen, darunter knapp die Hälfte Kurden.
Bei ausländischen Syrienkämpfern denken die meisten Menschen zuerst an ausgereiste Dschihadisten. Doch seit 2014 befinden sich auch Hunderte Anti-IS-Milizionäre in Rojava. Sie kämpfen auf Seiten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sowie innerhalb der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten als Teil der Syrischen Demokratischen Kräfte. Die Allianz ist Bündnispartner der USA und Russlands. »Als Kobane vom IS belagert wurde, war das Thema in meinem Leben 24 Stunden am Tag präsent«, sagt Stern. Politisch habe der Antifaschist zu jener Zeit eine Perspektivlosigkeit empfunden. Er begann sich auf die Ausreise vorzubereiten. Wollte aufhören »nur noch zuzuschauen«.
Wie viele Ausländer genau in Nordsyrien sind, ist schwer zu sagen. Die Bundesregierung erklärte im April in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der LINKEN-Abgeordneten Ulla Jelpke, dass sie von 204 Kämpfern aus Deutschland Kenntnis hat, davon 69 mit deutscher Staatsbürgerschaft, die sich der linken, syrisch-kurdischen Miliz YPG beziehungsweise der PKK angeschlossen haben. 120 von ihnen seien wieder zurückgekehrt. »Rekrutierungs- und Ausreisefälle« mit Bezug zu den dazugehörigen Parteien werden »zahlenmäßig erfasst«, heißt es. Laut dem aus Nordrhein-Westfalen stammenden Rückkehrer Daniel Freudenreich*, kämpfen derzeit insgesamt rund 300 bis 400 Internationalisten gemeinsam mit den Kurden.
Die Gründe der Anti-IS-Kämpfer für ihren Aufenthalt in Syrien sind unterschiedlich. Das Geld wird es aber wohl nicht sein. Lediglich 90 Dollar erhält man als Monatssold bei der YPG. Abseits diffuser persönlicher Motive ist es oftmals das Gesellschaftsmodell in Rojava, dass die Freiwilligen fasziniert. Viele der Kämpfer haben einen linksradikalen Hintergrund und betrachten die von den Kurden geschaffenen Strukturen als revolutionär: Verschiedene Ethnien und Religionen werden in den kontrollierten Gebieten in basisdemokratischen Räten nach ihrem Bevölkerungsanteil organisiert. Frauen gelten als gleichberechtigt und finden sich nach festen Quoten in der Verwaltung, Polizei und Armee. Wirtschaftlich orientieren sich die seit Assads Abzug neu gebildeten Institutionen an ökologischen Prinzipien und kooperativen Produktionsbedingungen.
Zur Verteidigung dieser regional besonderen Politik gründeten hauptsächlich aus der Türkei stammende Gruppen im Juni 2015 nach dem Vorbild der Internationalen Brigaden in Spanischen Bürgerkrieg das »Internationale Freiheitsbataillon«, zudem gibt es die Organisation »YPG International«. Griechen, Türken und Spanier haben sich in eigenen Einheiten zusammengeschlossen. Briten gründeten die nach einem verstorbenen kommunistischen Gewerkschafter benannte »Bob Crow Brigade«, Franzosen die nach einem verstorbenen Widerstandskämpfer und Gewerkschafter benannte »Henri Krasucki Brigade«. Anarchisten aus ganz Europa riefen eine eigene Einheit aus, auch ein »Antifaschistisches Bataillon« ist entstanden.
Auf der Trauerfeier im »Bunten Haus« verstummen für einen Moment die Gespräche. Vor der Bühne stehen Dutzende Besucher und schweigen. Einige recken ihre Hand mit zwei Fingern in die Luft. »Wir müssen darauf achten, dass unser Gedenken nicht zu einem Kult verkommt«, sagt der Veranstaltungssprecher Yilmaz Kaba. »Wir werden an die Gefallenen erinnern, wie sie auch wirklich waren.« Der kurdische Spruch »Sehid Namirin – die Märtyrer sind unsterblich« ist auf einem großen Transparent zu lesen. Wird mit dem Konzept des »Märtyrers« der Tod nicht glorifiziert? Kaba verneint. »Wir kämpfen für das Leben. Natürlich freuen wir uns nicht darüber, wenn jemand stirbt.«
Die Toten werden trotzdem mehr. Die Gefallenen aus Deutschland sind bisher die 19-jährige Ivana Hoffmann, der 55-jährige Günter Hellstern, der 21-jährige Kevin Jochim sowie der 24-jährige Anton Leschek. Eine von dem Organisationsbündnis veröffentlichte Broschüre erzählt von ihrem Leben und Sterben. Was von den vorgestellten Biografien politische Mystifizierung darstellt und was der Realität entspricht, ist für Außenstehende nicht zu erkennen. Revolutionäre Sehnsüchte, die Flucht vor Problemen oder mangelnde Reflexion und Lebenserfahrung spielen kaum eine Rolle. Die Tapferkeit der Toten wird hervorgehoben.
Geschichten wie die von Ivana fallen auf: Ihr Vater stammte aus Togo, die Hobbyfußballerin hatte zwölf Geschwister. Anfangs war sie im Bildungsstreikbündnis aktiv, 2014 zog sie nach einer Radikalisierung nach Rojava. Sie gilt als erste weibliche Freiwillige, die gefallen war. Ihre Mutter Michaela ist bei der Trauerfeier. »Ich bin stolz auf das, was Ivana getan hat«, sagt sie. Andere haben weniger Verständnis. Gegenüber »Spiegel TV« erklärte eine Freundin: »Sie hat ihr Leben geopfert, aber hat sich das gelohnt?« Zu Ivanas Beerdigung in Duisburg kamen 6000 Menschen, darunter die ehemalige Ko-Vorsitzende der HDP, Figen Yüksekdag.
Bei Anton Leschek sind vor allem die Todesumstände brisant. Die Syrischen Demokratischen Kräfte rückten Ende vergangenen Jahres auf die vom IS gehaltene Grenzstadt Dscharablus vor, doch die Türkei hatte just zu diesem Zeitpunkt mitsamt loyaler Milizen der Freien Syrischen Armee ihren Einmarsch in Nordsyrien begonnen. Die Interventionsarmee steuerte dasselbe Ziel an. Leschek wurde mit 19 Kämpfern laut YPG-naher Quellen bei einem türkischen Bombenabwurf getötet. »Die genauen Umstände sind der Bundesregierung nicht bekannt«, heißt es dazu in der Antwort auf die Anfrage der LINKEN-Abgeordneten Jelpke. Es bestehe keine Veranlassung, den Fall gegenüber der türkischen Regierung zu thematisieren.
Strenger ist die Bundesregierung mit den nach Deutschland zurückgekehrten Internationalisten. Gegen drei Bundesbürger sowie fünf Ausländer, die sich der YPG angeschlossen haben sollen, wurden Ermittlungen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eingeleitet. Alle diese acht Verfahren seien jedoch eingestellt worden, heißt es in der Antwort der Bundesregierung. Doch werde weiterhin gegen einen Freiwilligen wegen eines Verstoßes gegen das Völkerstrafgesetzbuch ermittelt. Drei Anti-IS-Kämpfer habe man zudem als »relevante Personen« eingestuft, dem Behördenverständnis zufolge Führungsfiguren oder Unterstützer, denen man bedeutende politisch motivierte Straftaten zutraut. Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass die Rückkehrer »Gewaltaktionen oder Anschläge in Europa planen«.
Die Bewertung der Bundesregierung kann sich jederzeit ändern. Erst im März schränkte das Innenministerium das Zeigen von YPG-Symbolen auf Demonstrationen ein. Die verbotenen Zeichen würden laut einer Behördenerklärung vom April von der »PKK ersatzweise für ihre Zwecke verwendet«. Im Gegensatz zur PKK ist die zu der syrischen Miliz gehörende Partei PYD jedoch in Europa und der USA legal. Das Agieren in diesem rechtlichen Graubereich hat für die Rückkehrer Folgen. »Mir wurde mein Reisepass und mein Personalausweis abgenommen«, berichtet der Freiwillige Daniel Freudenreich. Von den Behörden bekam er einen Ersatzausweis. Die Maßnahme versteht der Mittzwanziger als de facto-Ausreiseverbot.
Ganz anders betrachtet die syrische »Partei der Demokratischen Union« die Rolle der Ausländer. Deren Ko-Vorsitzender Salih Muslim reiste extra nach Celle, um den Freiwilligen zu danken. »Wir glauben, dass der Kampf gegen den IS nicht nur Kurden etwas angeht. Wir verteidigen menschliche Werte«, sagt der Politiker. »Wir sind glücklich darüber, dass wir dabei nicht alleine sind. Die Anwesenheit der Internationalisten bedeutet uns viel.« Die LINKEN-Abgeordnete Jelpke unterstützt diese Sicht: »Die ausländischen Freiwilligen in der YPG sollten als mutige Kämpfer gegen den IS gewürdigt und nicht kriminalisiert werden.«
Die Syrischen Demokratischen Kräfte stehen derweil vor den Toren der IS-Hauptstadt Rakka, die Häuserkämpfe könnten bald beginnen. »Eine große Stadt ist ein Fleischwolf, da werden viele Freiwillige sterben«, vermutet Stern. Er grübelt. Orte wie Manbidsch, al-Hawl oder al-Shaddadi sind für die deutsche Öffentlichkeit unbedeutende Käffer in der syrischen Wüste. Für ihn sind es Schauplätze, wo er Freunde verloren hat. »Wenn der Tod ein Gesicht bekommt, dann wird es emotional”, sagt der Antifaschist. Tagebücher schreiben habe ihm beim Verarbeiten seiner Erfahrungen geholfen. Und der Gedanke, dass er nach Syrien gegangen ist, um etwas zu verteidigen. Nicht, um zu töten.
* Namen geändert
Hilfe für die Revolution
Es gibt in Deutschland zahlreiche Probleme. Warum sind Sie 4000 Kilometer nach Syrien gereist, um dort zu kämpfen?
Die Hauptmotivation meiner Reise war nicht, in Syrien zu kämpfen. Ich wollte der Revolution und den Menschen dort helfen. Sicher gibt es in Deutschland viele Probleme. Als Internationalist sehe ich mich aber nicht an einen lokalen Kampf gebunden. Lösungen für gesellschaftliche Missstände können überall erarbeitet werden.
Wie sind Sie nach Syrien gekommen?
Ich bin nach Irak-Kurdistan gereist und habe von da aus zu Fuß illegal die Grenze überquert.
In welchen Operationen waren Sie eingesetzt?
Ich war an der Front von Rakka auf Operation. Wir hatten uns über Wochen auf die Stadt Tabka zubewegt und Teile des Euphrat-Stausees und Staudammes befreit.
Zwei der Gefallenen aus Deutschland waren erst 19 und 21 Jahre alt. Hatten diese Freiwilligen ausreichend über Ihre Rolle vor Ort nachgedacht?
Es ist natürlich immer traurig, wenn ein sehr junger Mensch stirbt. Trotzdem glaube ich, dass die Gefallenen sich ihrer Sache sicher gewesen sind. Nur weil sie jung waren, sollte man nicht an ihrer Überzeugung zweifeln.
Wie verlief Ihr Alltag?
Es wird sehr früh aufgestanden, meist noch vor Sonnenaufgang. Oft gibt es Sport, dann wird zusammen gegessen. Danach kommt es sehr darauf an, wo die Einheit stationiert ist. Befindet man sich nicht an der Front, kann der Alltag manchmal sehr langweilig sein.
Es gibt Vorwürfe, dass die YPG Araber vertreibt oder Gefangene misshandelt. Wie haben Sie die Situation erlebt?
Einige dieser Sachen passieren leider hin und wieder, sind aber definitiv nicht systematisch. Es gibt auch immer die Möglichkeit, einen Vorfall zu melden.
Wie ist es Ihnen nach Ihrer Rückkehr ergangen?
Man muss sich nach der Rückkehr umstellen. Ich erlebte eine Art Kulturschock, da ich so lange anders gelebt hatte. Nach wenigen Wochen stellte sich das aber ab. Freunde und Familie sind wichtig in dieser Zeit.
Können Sie Ihre in Rojava gesammelten Erfahrungen in Deutschland nutzen?
Das von Abdullah Öcalan entworfene Modell des demokratischen Kornföderalismus bietet eine Perspektive für den mittleren Osten. Was wir hier davon nutzen können, gilt es herauszufinden. Ein Aspekt wäre der starke Kollektivgeist, der in Rojava zu sehen war. Es war eine wunderbare Erfahrung, in einem solchen Miteinander leben zu können.