Am Samstag sind auf Sri Lanka monatelange Proteste in einen Regierungssturz gemündet: Tausende durchbrachen die Absperrungen zu Regierungsgebäuden. Bilder zeigen, wie Menschen in den Pools des Präsidenten schwimmen und in seinem Bett schlafen. Das Haus des Premiers wurde angezündet. Wie kam es dazu und wie geht es nun weiter?
„Wir Bürger sind zu der Entscheidung gekommen, dass wir entweder sterben oder den Kampf aufnehmen“, so erklärte es eine protestierende Software-Ingenieurin in Sri Lanka gegenüber dem US-Wirtschaftsportal Bloomberg vor rund zwei Wochen.
„Wir bekommen kein Essen, wir haben fast keine Transportmöglichkeiten, wir haben kein Internet, zum größten Teil noch nicht mal Medizin. Es ist sehr hart, jemanden sterben zu sehen, weil es keine passende Medizin gibt. Das ist unser letzter Kampf, wir bereiten uns auf das letzte Gefecht vor.“
Nun ist dieser Kampf auf der Insel mit 22 Millionen Einwohner:innen zu seinem vorläufigen Höhepunkt gekommen: Nach einer monatelangen, sich zuspitzenden wirtschaftlichen und politischen Krise und massiven Straßenprotesten auf Sri Lanka stürmten am Samstag tausende von Demonstrant:innen wichtige Regierungsgebäude in der Hauptstadt Colombo, darunter auch den Amtssitz von Präsident Gotabaya Rajapaksa.
Die Polizei setzte zwar Wasserwerfer ein, hielt ihre Absperrungen jedoch nicht mit militärischer Gewalt aufrecht. Dennoch wurden Dutzende verletzt. Bilder zeigen anschließend, wie Menschen im Präsidentenpool schwimmen gehen, in seinem privaten Fitnessstudio auf dem Laufband stehen, im Empfangsraum Karten spielen oder im Präsidentenbett schlafen.
Später setzten Demonstrierende noch die persönliche Residenz von Premierminister Ranil Wickremesinghe in Brand. Sowohl der Premierminister als auch Präsident Rajapaksa – die sich weiterhin versteckt halten – haben ihren Rücktritt angekündigt.
Während der Präsident am Mittwoch zurücktreten will, erklärte der Premierminister, so lange im Amt zu bleiben, bis eine neue Regierung bestimmt sei. Die Demonstrierenden erklärten, so lange im Präsidentenpalast zu bleiben, bis beide ihre Posten abgegeben hätten.
“Ich bin hier, weil wir herausfinden müssen, was sie mit unseren Steuergeldern gemacht haben … Politiker sollten die Macht der Menschen verstehen”, sagte ein Demonstrant in der Residenz des Präsidenten gegenüber Al Jazeera.
Wie kam es zu diesem Aufstand?
Der jetzigen Eskalation war eine jahrelange Krise vorausgegangen. Nach seiner Wahl im Jahr 2019 hatte Präsident Gotabaya Rajapaksa die Steuern gesenkt, wodurch dem Staat dringend benötigte Einnahmen entgingen. Dies war vor allem ein Dienst für in- und ausländische Konzerne wie für die äußerst mächtige Familie Rajapaksa selbst. Bis zu sechs Familienmitglieder waren teilweise in der Regierung.
Doch infolge der Corona-Pandemie brachen die Einnahmen aus dem Tourismus-Sektor ein wie auch Geldüberweisungen von Arbeiter:innen, die im Ausland arbeiten und Geld in die Heimat senden. Rating-Agenturen stuften die die Kreditwürdigkeit Sri Lankas herab, was es dem Land erschwerte, sich auf den internationalen Kapitalmärkten zu verschulden.
Auch der US-dominierte Internationale Währungsfonds erklärte sich nicht bereit, Kredite zu geben, sodass im Mai 2022 das Land zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1948 zahlungsunfähig wurde.
Im Jahr 2022 schnellte die Inflation in Sri Lanka zudem auf fast 55 Prozent in die Höhe. Der Gouverneur der Zentralbank, Nandalal Weerasinghe, sagte, dass die Inflation in den kommenden Monaten auf 70 Prozent ansteigen könnte.
Die wachsende Wirtschaftskrise war der Auslöser für eine Reihe von Protesten, die am 31. März begannen und am 9. Juli in der Erstürmung der Residenz des Präsidenten gipfelten. Zuvor hatte sich die Situation noch einmal massiv zugespitzt, als am 20. Juni alle Schulen aufgrund von Gasmangel geschlossen wurden.
Wie geht es weiter?
In Sri Lanka herrscht nun ein politisches Machtvakuum. Wer und wie dies gefüllt wird, bleibt abzuwarten.
So gibt es zum einen linke Kräfte, die eine verfassungsgebende Versammlung fordern. Ob sie letztlich wirklich einflussreich genug sind, um die Staatsführung maßgeblich zu beeinflussen, muss sich zeigen.
Offiziell muss das Parlament innerhalb eines Monats den nächsten Präsidenten wählen, und es ist unklar, ob die Abgeordneten in der Lage sein werden, jemanden zu wählen, der die Unterstützung der Mehrheit der Abgeordneten und eine gewisse Legitimität in der Bevölkerung erlangen kann. Oppositionelle kapitalistische Parteien versuchen zugleich, die Proteste über den Weg von allgemeinen Wahlen wieder in parlamentarische Bahnen zu lenken.
Außerdem sind Premierminister und Präsident bisher noch nicht zurückgetreten. Auch eine gewaltsame Rückeroberung durch diesen Teil der Herrschenden ist weiterhin möglich.
Zuletzt ist fraglich, wie mit den Staatsschulden umgegangen werden soll. Nur eine sozialistische Regierung dürfte den Schritt gehen, diese zu annulieren und damit den Zorn westlicher Kreditgeber auf sich zu ziehen. Umgekehrt ist eine Finanzierung durch den IWF mit massiven Sparauflagen verbunden, was wiederum neue Angriffe auf die Bevölkerung bedeuten würde.