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Symbol des Widerstands

Für Djamila Boupacha, algerische Freiheitskämpferin, zum 75. Geburtstag

Ende der 50er Jahre. In meinem Mädchengymnasium im Pariser Vorort Saint-Cloud lesen wir heimlich Henri Allegs »Die Folter« unter den Schultischen. Das Buch des bekannten französisch-algerischen Journalisten und Kommunisten war damals in Frankreich verboten. Er hatte die Folter beschrieben, die er 1958 wochenlang in El-Biar erlitten hatte. Durch das französische Militär.

Zwei Jahre später, am 2. Juni 1960, schockiert ein Artikel von Simone de Beauvoir in der Zeitung Le Monde das Land: »Für Djamila Boupacha«. Beauvoir beschreibt, wie die junge FLN-Freiheitskämpferin wochenlang mit Fußtritten und Faustschlägen, mit Stromstößen an den Brüsten und am Geschlecht, mit dem, was heute unter dem berüchtigten Begriff »Waterboarding« bekannt ist, gefoltert und vergewaltigt wurde. Sie zitierte Djamila: »Man hat mir eine Flasche in die Vagina gesteckt. Ich schrie und verlor etwa zwei Tage lang das Bewußtsein«. Le Monde darf das Wort Vagina nicht veröffentlichen. Wegen der Zensur. Statt dessen hieß es: »Man hat mir eine Flasche in den Bauch gesteckt«. Die Ausgabe des Blattes, in der der Artikel stand, wurde beschlagnahmt.

Zwei Wochen später veröffentlichte die Schriftstellerin Françoise Sagan den Artikel »Die junge Frau und der Großmut« in der Wochenzeitung L’Express, in dem sie ihre Scham für ihr Land ausdrückt. Ein spektakulärer Prozeß beginnt. Ein Komitee für Djamila Boupacha wird gegründet unter dem Vorsitz von Simone de Beauvoir. Unter den Mitgliedern: die Schriftstellerin Elsa Triolet, ihr Kollege und Ehemann Louis Aragon, Aimé Césaire und Jean-Paul Sartre, die Widerstandskämpferinnen und Ravensbrück-Deportierten Geneviève de Gaulle-Anthonioz und Germaine Tillion. Die Anwältin Gisèle Halimi schreibt mit Simone de Beauvoir eine Dokumentation über den Fall, die 1962 unter dem Titel »Djamila Boupacha« erschien. Picasso zeichnet ein Porträt der jungen Frau, der chilenische Architekt und Künstler Roberto Matta widmet ihr das Bild »Djamilas Qualen«, der italienische Komponist Luigi Nono das »Lied des Lebens und der Liebe«.

Nach dem Abkommen von Évian (1962), das das Ende des schmutzigen Algerienkrieges und die Unabhängigkeit des nordafrikanischen Landes nach 130 Jahren Kolonialherrschaft Frankreichs besiegelte, wird Djamila Boupacha freigelassen. 50 Jahre später – 2012 – erinnerte der Fernsehfilm »Pour Djamila« der Regisseurin Caroline Huppert (Schwester der Schauspielerin Isabelle Huppert) an die Kämpferin.

Djamila, am 9. Februar 1938 in Bologhine, einem Vorort im Norden Algiers, geboren, stammt aus einer Familie von Freiheitskämpfern. Khelida war ihr Name in der FLN-Befreiungsfront, in der nur wenige Frauen aktiv waren. Die junge Muslima, die als Pflegehelferin tätig war, wurde mit ihrem Vater, ihrer Schwester und ihrem Schwager 1960 im Haus der Familie verhaftet. Djamila wurde beschuldigt, eine Bombe in die Brasserie des Facultés gelegt zu haben – was nicht bewiesen werden konnte. Unter der Folter »gestand« die damals 22jährige ein Dutzend Bombenattentate. Als der Vater seinem und Djamilas Peiniger vorhielt, Frankreichs Präsident Charles de Gaulle habe doch die Folter verboten, antwortete dieser: »De Gaulle geht uns einen Dreck an.« Die Folterung und Verstümmelung von algerischen Frauen als Vergeltungsmaßnahme für vermutete Unterstützung der nationalen FLN war gang und gäbe – aber berichten durfte man darüber nicht.

Gisèle Halimi übernahm Djamilas Verteidigung und konnte erreichen, daß sie in ein französisches Gefängnis verlegt wurde, denn in Algerien bestand für sie die Gefahr, in ihrer Zelle ermordet zu werden, denn die Folterer taten alles, ihre Praktiken nicht bekannt werden zu lassen. In Frankreich wurde Djamila zunächst zum Tode verurteilt, kurz danach aber nach Erlaß des Amnestiegesetzes freigelassen.

Sie heiratet, bekommt drei Kinder, arbeitet als Sekretärin. 1981 war sie beim Protest gegen das reaktionäre Familiengesetz in Algier dabei. Im vergangenen Jahr soll sie bedauert haben, daß der Fernsehfilm zu sehr auf den Prozeß und ihren Fall konzentriert sei und die berechtigten Anliegen der Befreiungsbewegung in den Hintergrund dränge.

Simone de Beauvoir hatte 1962 die gesamte Bewegung und das schreiende Unrecht des Krieges gegen Algerien im Blick, als sie schrieb, es reiche nicht, sich gegen das Verbrechen an Djamila zu stellen, sondern man müsse gegen die »kaum bessere Behandlung ihrer Mitkämpfer« rebellieren. Sie forderte ihre Landsleute auf, sich mit den Verbrechern nicht durch Schweigen gemein zu machen – und nicht nur »bestimmte Methoden« abzulehnen, »sondern den Zweck, der nach ihnen verlangt und der sie legitimiert. Dann lehnen Sie diesen Krieg ab, … die Armee … und die Regierung, die vor der Armee in die Knie geht. Dann setzen Sie alles in Bewegung, damit Ihre Ablehnung nicht ohne Wirkung bleibt. (…) Sie können sich nicht mehr herausreden, indem Sie sagen: »Aber wir hatten ja keine Ahnung …«