„Unser Glauben an die Wichtigkeit dieser Arbeit ist die Hauptantriebskraft nach vorne“ Interview mit Samidoun

Samidoun ist ein Netzwerk zur Solidarität mit palästinensischen Gefangenen. Auch hier in Deutschland wird sie immer wieder mit Repression in die Knie gezwungen. Dem deutschen Staat ist jede palästinensische, solidarische und antiimperialistische Kraft ein Dorn im Auge. Mittlerweile wird von bürgerlichen und reaktionären Kräften der Verbot der Organisation gefordert. Wie sich diese Hetzkampagne und die Repression in eine Tradition einreiht, darüber berichtet Samidoun in diesem Interview.

Könnt ihr einen Abriss der Geschehnisse der letzten Wochen rundum den Nakba-Tag in Berlin geben?

Die Repression gegen Palästina-Arbeit dieses Jahr ist eine Fortführung der Repressionstaktiken des letzten Jahres, wo zum ersten Mal Nakba-Tag Veranstaltungen in Berlin verboten wurden (https://samidoun.net/de/2022/05/gemeinsam-gegen-die-repression-gemeinsam-fuer-freiheit-und-gerechtigkeit/).

In diesem Jahr wendet der deutsche Staat diese Taktik erneut an, indem er in klarer Abstimmung mit zionistischen Institutionen und der israelischen Botschaft eine bundesweite Hetzkampagne gegen palästinensische Organisierung und besonders Samidoun gestartet hat (https://samidoun.net/de/2023/04/samidoun-stellungnahme-zur-hetzkampagne-in-deutschland/). Diese Verleumdungskampagne fand in Form eines einwöchigen Angriffes aller deutschen Mainstream-/Konzernmedien auf palästinensische Organisierung in Deutschland statt, an denen sich auch deutsche Politiker begeistert beteiligten. Diese Kampagne bot dem deutschen Staat den politischen Deckmantel für ein vollständiges Verbot aller Demonstrationen zum Gedenken an den Tag der palästinensischen Gefangenen, die am 15., 16. und 17. April in Berlin geplant waren (https://samidoun.net/de/2023/05/mehr-als-160-organisationen-politische-parteien-und-gewerkschaften-schliessen-sich-der-internationalen-kampagne-gegen-die-antipalaestinensische-repression-in-deutschland-an/).

Am 11.05.2023 erhielten wir im Revolutionären Solidaritätsbündnis den Verbotbescheid für unsere am 14.05.2023 geplante Nakba-Tag Demonstration, während israelische Kampfjets den belagerten Gazastreifen bombardieren und dabei bis dato bestätigt 33 Palästinenser:innen ermordet haben, darunter 6 Kinder und 3 Frauen. (https://samidoun.net/de/2023/05/der-deutsche-staat-verschaerft-seinen-angriff-und-verbietet-demonstrationen-zum-nakba-tag-2023/). Dieses Jahr wurden alle Nakba-Tag Veranstaltungen auf einen Schlag verboten, außer eine Kundgebung, die von anti-zionistische Juden organisiert wurde, und die Polizei brutal angegriffen hat (https://www.instagram.com/p/CtD21YdMX-M/).

Und jetzt zum aktuellsten Repressionsfall: am 06.06.2023 hat die B.Z einen Hetze-Artikel “In Neukölln klebt der Juden-Hass an Wänden und an Bäumen” veröffentlicht, in dem es um pro-palästinensische Plakate in Neukölln geht. Den Artikel hat die DIG auf ihr Twitter-Account veröffentlicht und ein Kommentar dazu geschrieben, die DIG habe Strafanzeige wegen Verdachts von strafbaren Unterstützungshandlungen nach §129 b StGB gestellt. Der Angeklagte sollte hier Samidoun-Netzwerk zur Verteidigung palästinensischer Gefangenen sein. Nach mehreren versagten Versuchen von zionistischen Organisationen und dem deutschen Staat uns – die palästinensische Bewegung in Deutschland allgemein und Samidoun insbesondere – durch Hetze-Kampagne, Demo-Verbote und andere Formen der Repression einzuschüchtern, kommen sie jetzt zu einer neuen Ebene: die vollkommene Kriminalisierung der palästinensischen revolutionären Bewegung in Deutschland durch 129 b StGB mit dem Vorwurf: Die Unterstützung des palästinensischen Befreiungskampfs.

Wieso denkt ihr, seid ausgerechnet ihr so sehr im Visier vom deutschen Staat und keine andere palästinensische Organisation?

Die breite Repressionsapparat des deutschen Staates gegen Palästina und Palästina-Arbeit ist nicht zu unterschätzen. Im letzten IMK 2022 Bericht wurden 35 staatlich finanzierte Projekte zur “Bekämpfung des israelbezogenen Antisemitismus” genannt, von insgesamt 649 Projekte zur Bekämpfung des Antisemitismus, basierend auf der IHRA-Definition, mit der Anti-Zionismus als antisemitisch definiert ist, und 138 Projekte, die sich an Schulen, Kinder und Jugendliche richten. Für den Staat ist jede anit-zionistische Arbeit ungewollt, egal ob humanitär, politisch liberal, oder sonst. (https://samidoun.net/de/2023/01/55057/)

Die palästinensische Frage ist die zentrale politische und historische Frage für Araber, Muslime und antiimperialistische Kräfte. Samidoun als politischer Schnittpunkt dieser Kräfte stellt gerade für den deutschen Staat eine große Gefahr dar. Das beabsichtigte Verbot zeigt die Sorge des deutschen Staates über die Politisierung der migrantischen Massen im antiimperialistischen Kampf, was Samidoun in Deutschland größtenteils geschafft hat. Diese Verbotsversuche sind eine klare Gegenmaßnahme zur Schwächung der antiimperialistischen Kräfte und zur Aufrechterhaltung und Stärkung der imperialistischen Ordnung.

Ein Verbot von Samidoun würde sich einreihen in die traditionelle Repression der imperialistischen Staaten gegen die palästinensische revolutionäre Arbeit seit dem Ausbruch der palästinensischen Revolution 1968. Diese Revolution stellte damals die größte Gefahr für die weltweiten imperialistischen Interessen dar, die aus dem Nahen Osten ausging, da die palästinensische revolutionäre Bewegung den zionistischen Staat Israel als ein Stellvertreter des westlichen Imperialismus betrachtete und dementsprechend hat sie gehandelt.

Dreißig Jahre nach dem Oslo- Abkommen 1993 können wir heute die Wiedergeburt des organisierten palästinensischen Widerstands in Palästina in Dschenin, Nablus und in Gaza und ihre positiven Auswirkungen auf die palästinensische Bewegung im Exil beobachten. Die imperialistische Staaten beantworten auf diese neue Entwicklungen wieder mit Kriminalisierung unserer Bewegung sowie in den 70er Jahren als die palästinensische revolutionäre Bewegung ihren höchsten Punkt erreichte und mit einer Verbots-und Verfolgungswelle konfrontiert wurde. Genauso erleben wir heute erneute Verbotsversuche gegen unsere Bewegung. Beispielsweise hat der französische Präsident Macron letztes Jahr versuchst, die Collectif Palastine Vaincra, eine Ortsgruppe von Samidoun in Toulouse, Frankreich, zu verbieten.

Was zieht ihr aus den diesjährigen Repressionen?

In Samidoun sind wir natürlich nicht die einzigen, die der deutsche Staat durch Verbote anzugreifen und einzuschüchtern versucht, sondern das sind alle anti-koloniale und anti-faschistische Strukturen und Kräfte, die einmal daran denken würden, gegen die Interessen des deutschen Staates und ihre imperialistische Politik zu stehen und die Kämpfe der anderen Völker und ihre Rechte auf Widerstand, Befreiung, und Selbstbestimmung zu verteidigen. Klar sieht man das in der Kriminalisierung der kurdischen Bewegung und der türkischen kommunistischen Strukturen in Deutschland und der antifaschistischen Bewegung, wie der Fall von Antifa-Ost. All diese Kräfte wurden in Berufung auf derselben rechtlichen Grundlage – 129 a oder b StGB – kriminalisiert, verfolgt und verhaftet. Unsere Genossin, Eda Haydaroglu, ist seit mehr als 100 Tagen im offenen Hungerstreik gegen §129.

Demzufolge lässt sich klarstellen, dass dieser staatliche Terror nie durch einzelne Organisationen und Strukturen begegnet werden kann, sondern nur durch einen Zusammenschluss aller revolutionären Kräfte in Deutschland. Dieser Zusammenschluss darf nicht in Worten und Reden beschränkt sein. Erforderlich ist die Verwirklichung und die Verkörperung der berühmten Parole: “Solidarität heißt Widerstand”. Genauso sowie man das gesehen hat bei der Sponti-Demo auf der Sonnenallee gegen die Nakba- Demoverbote dieses Jahr in Berlin und die letzten Ereignisse in Leipzig. Daher rufen wir in Samidoun alle revolutionäre, antifaschistische, und antikoloniale Kräfte auf, dem deutschen staatlichen Terror gemeinsam zu widerstehen und zu bekämpfen.

Was gibt euch Kraft und Hoffnung, trotz der Repression weiterzumachen?

Deutschland generell und Berlin insbesonders ist ein Sammelpunkt zionistische Interessen und spielt eine aktive Rolle in der andauernden Kolonialisierung Palästinas. Die Erfolge in Deutschland und die Organisierung der palästinensischen und arabischen Massen in Berlin wird sich auf die gesamte internationale Bewegung auswirken und eine wahre Unterstützung der palästinensischen Widerstand in der Heimat verkörpern. Unser Glauben an die Wichtigkeit dieser Arbeit ist die Hauptantriebskraft nach vorn.