Wenn sie können, bringen sie dich um

Am 9. Dezember 1981 wurde William Francome in London geboren. Als er zwölf Jahre alt war, hörte William zum ersten Mal davon, daß in der Nacht seiner Geburt ein afroamerikanischer Journalist wegen angeblichen Mordes an einem Polizisten verhaftet worden war und seitdem hinter Gittern saß. Williams Mutter war in der US-Studentenbewegung der 1960er Jahre politisiert worden und hatte den Fall Mumia Abu-Jamal von Beginn an verfolgt. Als William Francome viele Jahre später den Song »Voice of the Voiceless« von Rage Against the Machine hörte, erinnerte er sich plötzlich: »Die reden über diesen Mumia, das ist der Typ, von dem meine Mutter immer gesprochen hat.« Jetzt begann Francome sich intensiv mit Mumia Abu-Jamal auseinanderzusetzen. Er entwickelte die Idee zu einem Dokumentarfilm. »In Prison My Whole Life« zeigt seine Annäherung an diesen Fall. Während des ganzen Filmes bleibt die Ausgangsüberlegung präsent, daß Mumia exakt so lange in der Todeszelle sitzt, wie Francome auf der Welt ist. »Dir zu begegnen, geboren an dem Tag vor 25 Jahren, das gibt mir eine Vorstellung von der Zeit, die vergangen ist. An dir sehe ich, daß eine Lebenszeit vergangen ist«, sagt Mumia in einer Telefonbotschaft an Willam zu dessen Geburtstag.

Der Film ist zusammen mit den Dokumentationen »Hinter diesen Mauern« und »Justice on Trial« in Band 14 der Bibliothek des Widerstands, herausgegeben von Laika Verlag und junge Welt, erhältlich. Das Buch gibt einen umfassenden Überblick über die Geschichte des Falls, die Hintergründe, die zur Verurteilung geführt hatten und versammelt neben akribisch recherchierten Beiträgen zum Justizfall Interviews, Artikel von Mumia und Stimmen aus der internationalen Solidaritätsbewegung.

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Letzte Bilder

Der 1996 von einem deutschen Team produzierte Film »Hinter diesen Mauern« basiert auf den bislang letzten Filmaufnahmen von Mumia. Kurz nach den Dreharbeiten wurden Film- und Fotoaufnahmen des Häftlings in der Todeszelle verboten. Der Film ist somit derzeit neben der US-amerikanischen Produktion »A Case for Reasonable Doubt« das letzte Videodokument mit Mumia Abu-Jamal. Es ist beeindruckend, den zum Zeitpunkt der Aufnahmen seit fast 15 Jahren Eingesperrten präzise und rhetorisch brillant argumentieren zu sehen. Nie geht es Mumia um seine eigene Person. Der Kampf gegen das US-Justiz- und Gefängnissystem, das ein wichtiges Werkzeug zur Einschüchterung und Ausschaltung politisch Mißliebiger geworden ist, steht im Zentrum seiner Aussagen.

Alle drei Filme skizzieren deshalb auch die gesamtgesellschaftliche Situation, in die der Fall Abu-Jamal einbettet ist. Zahlreiche Informationen über Ereignisse und Persönlichkeiten, die für das Verständnis der Zusammenhänge relevant sind, machen etwa »In Prison My Whole Life« zu einer informativen Einführung in die Geschichte von Repression und Widerstand in den USA seit den 1960er Jahren.

Manipulation, Nötigung

Im Verfahren gegen Mumia kulminierten die Anstrengungen der US-Behörden, afroamerikanische Revolutionäre zum Schweigen zu bringen: Der schwarze linke Journalist und frühere Black Panther wurde zum Tode verurteilt, weil man ihm vorwaf, am 9. Dezember 1981 einen Polizisten erschossen zu haben, der gerade seinen Bruder William Cook verhaften wollte. Die Mordanklage bot den Behörden eine einmalige Gelegenheit, den unbequemen Journalisten aus dem Verkehr zu ziehen. Folgerichtig war das gesamte Verfahren darauf angelegt, Mumia in die Todeszelle zu befördern: schlampige Spurensicherung, Mißhandlung des schwerverletzten Gefangenen, Beweismittelmanipulation und -unterschlagung, Erpressung von Zeugen, Beeinflussung von Geschworenen und zu schlechterletzt offen rassistische Äußerungen des Richters. Für Robert Meeropol, Sohn von Ethel und Julius Rosenberg, die 1953 wegen Spionage für die Sowjetunion hingerichtet wurden, ist Mumias Fall »wie ein juristisches Handbuch für das, was alles nicht passieren dürfte: daß Schwarze aus der Jury ausgeschlossen werden, ein rassistischer Richter. Oder die Verwendung eines gefälschten Geständnisses, Nötigung, Verschleierung – die ganze Palette«.

Der Fall Mumia Abu-Jamal macht die Hohlheit verfassungsmäßiger Rechte in den USA vor dem Hintergrund des Zusammenspiels rechter Staatsanwälte, Richter und Lobbyorganisationen deutlich. Repression funktioniert nicht durch Verbote, sondern durch manipulierte Verurteilungen. Mumia Abu-Jamal und Leonard Peltier sind die bekanntesten Gefangenen, deren Verfahren aus politsichen Gründen manipuliert wurden. Außer ihnen sitzen aber noch mehr als hundert Männer und Frauen in US-Knästen, »die mit mehr als guten Gründen von sich behaupten, ebenfalls politische Gefangene zu sein«, wie Michael Schiffmann im abschließenden Beitrag des Buches schreibt. »Trotz des Rechts auf Zusammenschluß und politische Überzeugung werden sie dich dafür bestrafen, verfolgen, jagen, dir etwas anhängen«, so Mumia in »Hinter diesen Mauern«. »Und wenn sie können, bringen sie dich dafür um.«

Michael Schiffmann (Hrsg.): »Mumia Abu-Jamal«. Laika Verlag, Hamburg 2011, 111 Seiten, 24,90 Euro * Bibliothek des Widerstands, Band 14, Mit den Filmen: Hinter diesen Mauern/In Prison My Whole Life/Justice on Trial. Im Abo 19,90 Euro (erhältlich im jW-Shop)

Filmmatinee und Buchpremiere: Sonntag, 11 Uhr, fsk-Kino, Oranienplatz, Berlin, mit den Filmen »Hinter diesen Mauern« und »Justice on Trial«. Anschließend Podiumsdiskussion mit Thomas Giefer, Michael Schiffmann, Dietmar Koschmieder und Karl-Heinz Dellwo

Von Simon Loidl, aus junge Welt vom 18. Mai 2011