Werner Braeuner: Brief vom 29. Mai 2011

 

 

 

 

A.S.: Ausgehende Post kann ich nur Montag bis Freitag und des morgens auf die Poststelle der JVA geben.

Werner Braeuner
JVA Sehnde
Schnedebruch 8
31319 Sehnde

319. Tag Arbeitsverweigerung

21.Tag Hungerstreik

29.Mai 2011

An
Soligruppe Werner Braeuner
c/o Netzwerk
c/o Stadtteilladen Lunte
Weisestr. 53
12049 Berlin

Brief 2/2011

Einen revolutionären Salut an die GenossInnen der Soligruppe aus dem Knast, aus dem innersten Heiligtum von Staat, Sozialdemokratie/ Lohnarbeit und Kapital!

Am Freitag, 27.5., ergab Wiegen 72,2 kg (≙-2,1kg zur Vorwoche); in der Woche ist die Abnehmgeschwindigkeit auf 12,5g/h gesunken und betrug nur noch etwa die Hälfte der Geschwindigkeit der davorliegenden Woche. Laut Dr. Windelboth eine normale und erwartbare Entwicklung, er schätzt die Grenze hin zu einer gesundheitsbedrohlichen Abnahme könne bei mir bei etwa 60 kg liegen. Bei der aktuellen Abnahmegeschwindigkeit von etwa 2kg in der Woche würden bis zur Gefahrgrenze folglich noch 6 Wochen bleiben, eventuell länger, da die Abnahmegeschwindigkeit vorraussichtlich weiter sinken wird. Ein Mitgefangener, Roland Wenzel, hat 4 Hungerstreiks durchgeführt und meint, bereits vor Erreichen dieser Grenze würde es mir allerdings körperlich und mental sehr sehr schlecht gehen. Er wundert sich, daß es mir derzeit noch sehr gut geht, ich hatte, außer am Mittwochmorgen für einige Stunden Schwindeligkeit, bisher keinerlei Beschwerden.
Blutdruck war normal, Bluteisen war normal, auch die sonstigen Blutwerte. Die Blutwerte T3 und T4, was immer das sein mag, waren am Freitag vom Labor noch nicht ermittelt worden und sollen nachgeliefert werden, am nächsten Freitag sollen sie vorliegen. Da die Blutentnahme am Mittwoch erfolgt war, konnten jene fehlenden Werte wohl nicht rechtzeitig vom Labor festgestellt werden. Dr. Windelboth kündigte an, mich bei Erreichen der Gefahrengrenze nicht länger behandeln und an einen anderen ärztlichen Dienst überstellen zu wollen, da er die dann entstehende ärztliche Verantwortung nicht übernehmen würde. Es müßte entschieden werden, mich dann entweder unter Zwang künstlich zu ernähren oder sterben zu lassen. In der Tat sollte diese Entscheidung nicht bei einem Arzt liegen, denn sie ist politisch  und fällt mithin allein unter die Zuständigkeit des niedersächs. Justizministers.
Der hat die Frage zu beantworten, ob das Leben eines Gefangenen den Betrag von jährlich 9 Millionen Euro  aufwiegt, den das Ministerium durch zweckfremde Verwendung der Bundesmittel für den Tagesverpflegungssatz Gefangener offensichtlich rechtswidrig einbehält.
Übrigens berichtete Ronald Wenzel, in der JVA Hannover sei er wegen Hungerstreiks in Isolation gebracht worden, nach einigen Tagen des Hungerns sei ihm das wasser abgestellt worde, was ihm zum Abbruch des Streiks gezwungen habe. Er meint, dies Vorgehen der Anstalt sei rechtlich gedeckt. Ronald wird von Barbara Klawitter aus Hannover vertreten, er ist 60, hat unheilbaren Knochenkrebs, schwere Diabetes und wurde draußen noch arbeitsunfähig geschrieben, Rente ist beantragt, sein Arzt draußen schätzt seine Lebenserwartung auf 18 Monate etwa, seine Unterschenkel sind vom Zucker bereits taub und sollen in 6 Monaten amputiert werden. Ronald erhält dennoch keine Diabetikerkost, die Anstalt begründet das mit „Kosten“.
Zudem macht ihm die Anstaltsleitung, in der Vollzugsabteilung vertreten durch den „Abteilungshelfer“ Tiedje (de facto mächtiger als die nominelle Leitung der Vollzugsabteilung und verlängerter Armder Anstaltsleitung für Repressionsdrecksarbeit, die die Vollzugsabteilungsleitung nicht übernehmen wolln würde), Druck, arbeiten zu gehen, indem Ronald die ihm offenbar zustehende Diabetikerzulage von 50 oder mehr € für den Einkauf zusätzlicher Nahrung verwehrt wird. RA’in Klawitter sei dran an dieser Sache, sagt Ronald.
Nun, wie Ihr seht, sind Gefangene weitestgehend rechtlos, umso mehr verwunderlich ist der sanfte Umgang der Anstalt mit meiner im Hungerstreik befindlichen Person. Wie alle Verbrecher, scheuen Justizbehörde und Strafvollzug das Licht der Öffentlichkeit. Und jenes Licht seid Ihr, GenossInnen und die vielen anderen solidarischen UnterstützerInnen! So lebe der revolutionäre Kampf gegen Staat, Sozialdemokratie/ Lohnarbeit und Kapital, es lebe die revolutionäre Solidarität des Proletariats! Ein Hoch auf die revolutionären Fraktionen des weltweiten Proletariats und auf jene, die sich diesen Fraktionen in den kommenden Kämpfen noch anschließen werden.
Kopf und Faust allezeit oben,

Werner [das Abtipper: Pfeil und Bogen-Piktogramm um den Schaft geschrieben]

ex nihilo plentitudines!

P.S.: Roland Wenzel ist einverstanden, öffentlich genannt zu werden, er ist ein kämpferischer und rebellischer Gefangener

Wer auf sein Recht verzichtet, verzichtet auf ein Menschsein. Oder: Wer auf sein Menschsein verzichtet hat, verzichtet auch auf sein Recht, und auf das Recht aller anderen Menschen!

P.S.2: Bitte sprecht nicht von „Verzweiflungstat“ sondern von „Widerstandstat“ was den 6.2.2001 betrifft. Die Totschlagsversion war erzwungen!