“Wir müssen uns jetzt Gehör verschaffen” – Hanauer Eltern wehren sich gegen rassistischen Attentäter-Vater

Im Hanauer Stadtteil Kesselstadt treibt der Vater des rassistischen Terrortäters Tobias R. weiter sein Unwesen: Er stellt Angehörigen der Ermordeten nach, beleidigt Anwohner:innen rassistisch und verbreitet Verschwörungstheorien. Zum wiederholten Male sprach er nun Kinder an einer Grundschule an und warnte, dass bald “etwas Großes” passieren werde. Die Eltern schlagen Alarm und wehren sich.
Der rassistische Anschlag in Hanau, bei dem neun Menschen ermordet wurden, mag aus dem öffentlichen Gedächntis beinahe verschwunden sein – in Hanau selbst ist aber keineswegs Ruhe eingekehrt. Am vergangen Donnerstag näherte sich der Vater von Attentäter Tobias R. zum wiederholten Male mit seinem Schäferhund einer Grundschule im Stadtteil Kesselstadt und sprach dort Kinder direkt an.

Eltern berichten, dass die Kinder vom Vater des Attentäter gewarnt worden seien: Bald werde etwas Großes passieren, sie sollten besser aufpassen. Die Schulleitung hatte gegenüber den alarmierten Eltern nur beschwichtigende Worte übrig: Die Polizei habe mit dem Vater gesprochen, es bestehe kein Grund zur Sorge.

Einige Eltern ergriffen deshalb selbst die Initiative und wandten sich über die sozialen Medien an die Öffentlichkeit: So berichtete die Gruppe “SintiRomaPride” auf Instagram über den Vorfall und die Ängste der Kinder und Eltern.

Im Gespräch mit Perspektive Online berichteten Eltern von Schüler:innen der Schule: “Als dieser Mann an der Schule aufgetaucht ist, hatten unsere Kinder sofort wieder große Angst”. Ohnehin ist die Angst in Hanau-Kesselstadt ein ständiger Begleiter: “Wir leben hier ständig mit dem Gedanken, dass wieder etwas passieren könnte.” Die Eltern unterstrichen außerdem, wie gravierend der jüngste Vorfall aus ihrer Sicht gewesen sei: “Es ist jetzt wieder so wie unmittelbar nach dem Anschlag: man schaut sich auf dem Weg zum Einkaufen mehrmals um, ob man etwas Verdächtiges sieht, und die Kinder haben Angst, nach draußen zu gehen”.

Eltern ergreifen die Initiative
Viele Eltern fragen sich nun auch, warum der unter Polizeischutz stehende und für seine rassistischen Ansichten bekannte R. überhaupt noch Kontakt mit Grundschulkindern haben darf: Wieso schützt die Polizei jemanden dabei, Migrant:innen und Kinder einzuschüchtern? Warum wird nicht sensibler mit den Ängsten der Kinder und anderen Anwohner:innen umgegangen?

Der Hanauer Oberbürgermeister Kaminsky, an den sich deshalb einige Eltern unmittelbar nach dem jüngsten Vorfall gewandt hatten, versprach zwar, dass die Kinder geschützt würden. Doch gegenüber unserer Redaktion zeigen sich Eltern weiterhin skeptisch: “Ob das jetzt umgesetzt wird, müssen wir erstmal sehen.” Gerade der Umgang mit R. in der Vergangenheit habe gezeigt, dass die Polizei nicht auf der Seite der Eltern stehe: “Wenn wir nur in die Nähe seines Wohnhauses gekommen sind, auch um zu protestieren, wurden wir sofort von der Polizei abgefangen, und unsere Ausweise wurden kontrolliert”.

Gerade weil der Umgang von Polizei und Behörden mit dem Terroranschlag gezeigt habe, dass Rassismus und Gewalt viel zu spät ernst genommen werden, wollen die Eltern nun selber aktiv werden, denn “wir sind momentan auf uns alleine gestellt.” Nachdem bereits eine spontane Unterschriftensammlung organisiert wurde, um Druck auf den Oberbürgermeister und die Polizei aufzubauen, denken Eltern nun auch offen über weitere Aktionen nach “Wir werden sehen, ob sich etwas tut, ansonsten werden wir eine Demo organisieren. Wir müssen uns jetzt Gehör verschaffen”, sagte eine Mutter in dem Gespräch mit Perspektive Online.

Rassismus und Faschismus scheint Alltag bei der Hanauer Polizei
Am 19. Februar 2020 ermordete Tobias R. in Hanau neun Menschen. Als er nach seinem rassistischen Anschlag anschließend seine Mutter und sich selbst tötete, war sein Vater anwesend und wurde von der Polizei zwar festgenommen, aber nie als Helfer oder Mitwisser verfolgt. Immer wieder hatte der Vater anschließend die rassistischen Taten und Theorien seines Sohnes verteidigt. Erst im September musste er eine Geldstrafe von knapp 5.000 Euro wegen rassistischer Beleidigungen zahlen. Im Oktober wurde außerdem bekannt, dass er Angehörige der Mordopfer bedroht habe.

Im Zuge der vor allem durch linke und migrantische Gruppen initiierten Aufarbeitung der Morde kam ans Licht, dass eine bewusste “Nachlässigkeit” in der Tatnacht selber nicht auszuschließen ist. So war ein polizeilicher Notruf für mehrere Tatzeug:innen nicht erreichbar. Auch hatten die zu Hilfe geholten SEK-Beamt:innen bei der Sicherung des Wohnhauses des Täters Tobias R. vermutlich nachlässig gehandelt.

Unterdessen wird gegen 13 der eingesetzten Beamt:innen wegen Mitgliedschaft in faschistischen Chatgruppen ermittelt. Derartige “Versäumnisse” der Sicherheitsbehörden bei rassistischen und faschistischen Gewaltverbrechen sind in Deutschland bei weitem kein Einzelfall, sondern gehören fast schon zum Alltag.

https://perspektive-online.net/2022/11/wir-muessen-uns-jetzt-gehoer-verschaffen-hanauer-eltern-wehren-sich-gegen-rassistischen-attentaeter-vater/