Chile. Ein Brief von Monica Caballero und Francisco Solar.
Wir haben immer Wert darauf gelegt, dass es keine Vermittler gibt, wenn es um Kommunikation geht, dass niemand für uns spricht. Es ist zwei Jahre her, dass wir von jenen in Betongruben sogenannte Gefängnisse eingesperrt wurden, welche die Hegemonie der Macht und Gewalt aufrechterhalten. Doch auch in diesen Tagen werden wir davon keine Ausnahme machen.
Mit diesem zweiten Jahr der Inhaftierung enden auch die Ermittlungen in unserem Gerichtsverfahren. Mit anderen Worten, die Zeit, in der die Staatsanwaltschaft und die zehn Kläger Informationen gegen uns sammeln konnten, geht zu Ende. Nach Abschluss der Untersuchung wird ein Vorverfahren eingeleitet.
Bei den gerichtlichen Ermittlungen gegen uns wurden keine Mittel gescheut, die Polizei hat nichts unversucht gelassen. Es geht um unsere exemplarische Verurteilung, die jeden erschrecken soll, der sich die Ausübung politischer Gewalt zu eigen macht, insbesondere das Anbringen und Versenden von Sprengkörpern. Außerdem sind wir den Mächtigen nicht unbekannt, wir sind mehr als einmal auf die Anklagebank gesetzt worden und wir haben in all diesen Instanzen unsere anarchistische Position deutlich gemacht. Unsere derzeitige rechtliche Situation ist eng mit unseren früheren Gerichtsverfahren verbunden.
Wir sind selbstkritisch gegenüber den Fehlern in unseren Handlungen, die Teil unserer Erfahrungen und unseres Lernens sind und hoffentlich auch für andere nützlich.
Wir fühlen uns als Teil eines langen Weges des Kampfes gegen Herrschaft, eines historischen Weges, der sich je nach den verschiedenen Konfliktszenarien verändert.
Vor vielen Jahren haben wir uns entschlossen, die negierenden Pfade der Anarchie zu beschreiten und sie als eine ständige Spannung zu verstehen, die sich in ihrer konstruktiven/destruktiven Dialektik nicht als absolute Wahrheit oder als einen Ort der Ankunft darstellt.
Unser Leben ist nicht losgelöst von unserem enormen Wunsch, so weit wie möglich nach unseren Vorstellungen zu leben, und wir akzeptieren dies mit allen Widersprüchen, die es mit sich bringt, sowie mit allen Folgen.
Mit diesen Zeilen wollen erneut jeden Angriff gegen alle Formen der Macht würdigen und dazu ermutigen. Wir möchten betonen, dass wir alle Rache- und Sabotageakte als dringende Notwendigkeit ansehen und das deren Vervielfältigung und Verbreitung die Räume und Positionierungen des kämpfenden Anarchismus unbestreitbar stärken.
Wir glauben, dass die Herausforderung unbedingt darin bestehen muss, dem Konflikt eine andere Qualität zu geben, aus der Komfortzone herauszukommen, die Perspektive zu erweitern und dort anzusetzen, wo es am meisten wehtut.
In diesem Sinne begrüßen wir alle explosive Aktionen, die in den letzten Monaten durchgeführt wurden, welche zweifelsohne zur anarchischen Stadtguerilla beitragen und diese stärken. Jeder Angriff auf die Macht aus einer antiautoritären Perspektive ist für uns richtig.
Der Termin unseres Prozesses rückt näher und wir wissen um die Möglichkeit, eine lange Zeit in den staatlichen Gefängnissen zu verbringen. Wir sind darauf vorbereitet dank der solidarischen Unterstützung unzähliger Genoss:innen, denen es mit jeder Geste gelingt, die Nacht zu erhellen.
Während dieser zwei Jahre der Inhaftierung haben wir uns an der Kampagne „Anarchistische und subversive Gefangene“ beteiligt und uns für die Rückkehr unseres Genossen Marcelo Villarroel auf die Straße eingesetzt, dessen Verurteilung durch die Militärstaatsanwaltschaft weiter aufrechterhalten wird. Marcelo wieder auf die Straße zu bekommen, wird sicherlich ein Triumph sein, der uns stärken und allen Gefangenen des sozialen Krieges zugutekommen wird. Wir rufen dazu auf, die Aktionen und Gesten der revolutionären Solidarität zu vervielfachen, damit unser Genosse wieder auf der Straße gehen kann.
Für uns ist die Konfrontation mit der Herrschaft nicht beendet, sie hat nur ihre Form geändert.
Mónica Caballero San-Miguel-Gefängnis
Francisco Solar La Gonzalina-Rancagua-Gefängnis
Juli 2022.
Ursprünglich veröffentlicht von Kontrapolis.