Zwischen Schlagstöcken und Hörsaal: Aktuelle Geschehnisse an den Universitäten und Lehren aus der Studentenbewegung von ’68

Aktuell laufen an den Unis verschiedeneverschiedenen Initiativen, von der Solidarität mit Palästina bis hin zu der Forderung eines eigenen Tarifvertrags für Studierende. Universitäten als staatliche Institutionen versuchen mit Repressionen die Proteste unter Studierenden kleinzuhalten. Längst vergangen scheinen die Zeiten der 68er, in denen Unis politische Orte waren und sich Räume von Studierenden genommen wurden. Wie und was können wir heute von den Studierendenprotesten der 68er lernen und für unsere Praxis übernehmen?

68er Bewegung – ein Rückblick

Die Studierendenproteste in den 60er Jahren waren geprägt von der Nachkriegsvergangenheit und dem Bestreben nach einem politischen Wandel in Deutschland. Die Studierenden erhoben sich gegen bestehende autoritäre Strukturen und gesellschaftliche Normen und hatten den Anspruch eine antiimperialistische, antimilitaristische Bewegung zu sein. Die Forderungen und Aktionen der Bewegung waren vielfältig und noch heute gruseln sich Liberale und Konservative vor den Protesten 68er.

Aufbruch und Forderungen

Wichtigster Akteur in der Bewegung der späten 60er Jahre war der SDS – der Sozialistische Deutsche Studentenbund in Westdeutschland. Nach der Abspaltung von der SPD bildete der SDS bis zu seiner Auflösung eine parteiunabhängige sozialistische Hochschulorganisation und Teil der Außerparlamentarischen Opposition. Er spielte eine zentrale Rolle, indem er sich für eine demokratischere Hochschulstruktur und eine antiautoritäre Erziehung einsetze. Gefordert wurde eine kritische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, eine vollständige Entnazifizierung Deutschlands und konsequenter Antifaschismus. Der Kampf gegen den Vietnamkrieg, die atomare Bewaffnung Deutschland und der Einfluss der Springer Presse waren ebenfalls zentral. Die Forderungen der Bewegung erstreckten sich aber weit darüber hinaus. Insgesamt wurden eine umfassende Demokratisierung und die Überwindung von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung angestrebt.

Radikalisierung der Bewegung

Die Aktionen in den 60ern waren vielfältig. Von Besetzungen von Hochschulgebäuden, Sitzblockaden bis hin zu Massenprotesten und Straßenschlachten. Besonders und aktuell wie nie, war der Kampf gegen den Springer Konzern und die bürgerliche Berichterstattung, die versuchten die Proteste zu delegitimieren und die Arbeiter:innenschaft gegen die Studierenden aufzubringen. Die Studierenden kämpften gegen die Hetze Springers, forderten die demokratische Kontrolle der Presse und riefen zum Boykott auf. Die Kampagne – Springer Enteignen – erkannte in dem Marktmonopol Springers die Verdrängung kritischer Stimmen und die Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Sinne einer Angepasstheit und Unterwürfigkeit. Der Mord an Benno Ohnesorg und die Reaktion der Springer Presse war ein zentraler Moment der Radikalisierung der Bewegung. Am 2. Juni 1967 wurde die friedliche Demonstration gegen den Schah Mohammad Reza Pahlavi angegriffen und brutal von der Polizei aufgelöst, wobei der Student Benno Ohnesorg von hinten von der Polizei erschossen wurde. Die Berichterstattung unterschlug daraufhin die Todesursache und stellte die Ereignisse als Ausschreitungen seitens der Studierenden dar. Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke, dem Schlagzeilen wie „Stoppt den roten Rudi jetzt“ zuvor gegangen war, folgte der nächste Radikalisierungsmoment der Bewegung. Klar wurde jetzt, dass die Gewalt nicht nur von Seiten des Staates durch Polizeiknüppel ausging, sondern auch durch die Meinungslenkung der Presse. Straßenschlachten und Demonstrationen folgten und im Herbst 1968 stellte sich immer mehr die Frage nach Reform oder Revolution.

Ohne Frauen keine Revolution

Auch wenn die Bewegung ihre Ziele nicht erreichte, viele Errungenschaften kennen wir heute noch, auch wenn sie ihren Revolutionären Charakter verloren haben. Die sexuelle Befreiung der 60er Jahre war der erste Schritt hin zu einer Aufklärung und dem über Bord werfen einer konservativen Sexualmoral, die Sexualität und die weibliche Lust als etwas Schlechtes ansah. Frauenbefreiung stand nach dem Zerfall von Frauenorganisation durch Krieg und Trümmerjahre wieder auf der Tagesordnung, aber der Kampf musste in den eigenen Reihen geführt werden. Der Kampf für Geschlechterbefreiung richtete sich nicht nur gegen die sexistischen Artikel der Springer Presse, sondern auch gegen das patriarchale Verhalten der Männer im SDS. Frauen wurden auf Reproduktionsarbeiten und Zuarbeiten reduziert und zeigte die Relevanz einer autonomen Organisierung von Frauen.

Eine Frau, die diesen Kampf in jedem Lebensbereich führte, war Ulrike Meinhof. Politisch war sie im SDS und in der APO aktiv und wurden besonders geprägt durch die Kämpfe gegen die atomare Aufrüstung, gegen die Springer-Presse und den Krieg in Vietnam. Sie prangerte die Trennung von Privatem vom Politischen an und versuchte die Erziehung ihrer Kinder und ihre Berufstätigkeit miteinander zu verbinden. Nach dem Zerfall des SDS war sie an der Gründung der roten Armee Fraktion beteiligt.

Internationale Solidarität

Internationale Solidarität spielte eine wichtige Rolle, und die 68er-Bewegung verband sich mit anderen sozialen Bewegungen weltweit, besonders mit Befreiungsbewegungen in Kolonialländern. Konflikte wurden im Kontext des Kampfes gegen Imperialismus und Kolonialismus und für nationale Befreiung gesehen. Kontroversen und Diskussionen prägten auch die Positionen zur Solidarität mit Palästina. Die Allgemeine Tendenz im SDS war die Kritik an der Besatzung der Westbank, den Siedlungsbau und der Situation der Palästinenser. antiimperialistische Ausrichtung. Einige Teile der Bewegung unterstützten die palästinensische Bewegung, während es auch Kritik und Vorwürfe des Antisemitismus gab, die bis heute die Bewertung der Bewegung prägen.

Parallelen zu unserer Zeit

Die 68er-Bewegung wollte einen tiefgreifenden Wandel hervorbringen und hat gezeigt, wie stark die Kraft ist, die von der Jugend, von den Studierenden ausgehen kann. Die Frauenbewegung, Umweltbewegung und revolutionäre Bewegungen der späteren Jahre wurden durch die Impulse der 68er-Jahre mitgeprägt. Auch die militante Frauenorganisation rote Zora und Namensgeberin von Zora hat ihre Ursprünge in den Studierendenprotesten der 68er.

Vergleichen wir die Situation der 68er mit der heute, so lassen sich viele Parallelen erkennen, die uns zeigen, welchen Weg wir gehen müssen. In den Parlamenten wie auf der Straße sehen wir wie sich Faschisten organisieren und wie der Staat jede fortschrittliche Kraft mit Repressionen überhäuft. Die bürgerliche Presse hetzt gegen Klimaaktivist: innen und diffamiert Antikoloniale antizionistische Kräfte für die Befreiung Palästinas als antisemitisch. Die Situation von Frauen und LGBTI+, das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, wird über 50 Jahre nach der sexuellen Revolution angegriffen und Frauen und LGBTI+ müssen sich mehr denn je autonom gegen die Gewalt, die vom Patriarchat und vom Heterosexismus ausgeht, organisieren.

Konflikte an der Uni derzeit

Ein wiederkehrendes Thema in der politischen Hochschularbeit ist die Solidarität mit Palästina. Heutzutage sind Studierende in Deutschland immer wieder Angriffen von staatlichen Stellen oder Universitätsleitungen ausgesetzt, und es wird ihnen erschwert, ihre Arbeit an den Hochschulen zu verrichten. In den vergangenen Wochen haben sich jedoch in immer mehr Städten Initiativen gegründet, die sich für die Palästinaarbeit engagieren und gegen Repressionen vorgehen. Hier lassen sich Parallelen zur Studentenbewegung der 1968er-Jahre erkennen. Damals war der Widerstand der Palästinenser:innen von großer Bedeutung für die politische Arbeit, und die Solidarität mit dem palästinensischen Volk galt als Selbstverständlichkeit. Doch wir müssen erkennen, dass die Stärke der antiimperialistischen Kräfte seit den 68ern eher abgenommen hat. In den letzten Jahren lässt sich jedoch wieder eine positive Tendenz feststellen. Grundsätzlich ist zu erkennen, dass die Hochschulen teilweise entpolitisiert wurden. Dieser Prozess kommt nicht aus dem Nichts, sondern liegt im staatlichen Einfluss auf die Forschung und dem Fokus auf postmodernen Theorien begründet.

Nicht nur der Staat, sondern auch die Universitätsleitungen selbst sind aktiv an den Repressionen gegen fortschrittliche Kräfte beteiligt. Räume werden verwehrt, Gruppen aus den Universitäten ausgeschlossen, oder es wird mit dem Verfassungsschutz zusammengearbeitet. Diese Repressionswelle hat sich in diesem Jahr in verschiedenen Städten gezeigt. Beispielsweise wurde in Leipzig oder Hildesheim versucht, Vorträge und Aktionen von fortschrittlichen Gruppen an den Hochschulen zu unterbinden. Hier hat sich jedoch immer wieder gezeigt, dass der kämpferische Charakter der Studierenden noch lebendig ist. Ein Großteil der Aktionen hat trotzdem stattgefunden.

Universitäten sind ein Teil des kapitalistischen Systems, häufig findet auch eine Zusammenarbeit mit Konzernen statt. Auch Teile der Forschung arbeiten eng mit der Bundeswehr zusammen. Die Möglichkeit der antimilitaristischen Organisierung an den Hochschulen wird häufig außen vorgelassen. Doch auch hier bietet sich eine klare Möglichkeit unserer Organisierung.

Ein weiteres Konfliktfeld an den Hochschulen ist die Beschäftigung von Studierenden. Aktuell laufen in diesem Kontext auch Streiks und Arbeitskämpfe in den Lernstätten unter dem Namen TV Stud (Tarifvertrag für studentische Beschäftigte). Diese Kämpfe haben bereits eine relative breite Front an Unterstützung, auch unter den Studierenden. Dennoch ist der Tarifvertrag noch nicht gesichert. Auch deswegen ist es wichtig, weiterhin ein aktiver Teil dieser Proteste zu sein. Hier zeigt sich, wie eng die Ausbeutung im Kapitalismus und die Arbeitskultur an den Hochschulen zusammenwirken. Immer wieder wird propagiert, dass unbezahlte Praktika oder das Arbeiten als studentische Hilfskraft ein Sprungbrett für die Studierenden sind. Doch häufig sieht die Realität anders aus. Die Bezahlung ist schlecht, Arbeit und Lernen sind schwer zu vereinbaren, und der Druck durch Arbeitgeber steigt immer mehr. So ist die Hochschule nicht mehr nur ein Ort der Weiterbildung, sondern eher ein Mechanismus, uns alle in dieses Wirtschaftssystem zu pressen.

Ein weiteres Kampffeld an den Universitäten ist das Studieren mit gesundheitlichen Einschränkungen. Die Zahl der Studierenden mit psychischen und physischen Krankheiten steigt immer mehr. Dass beispielsweise auch mehr Menschen mit Behinderung an Hochschulen studieren lässt sich als positive Entwicklung erkennen, doch die Infrastruktur der Hochschulen reicht selten aus, um sich ausreichend um die Bedürfnisse zu kümmern. Es bedarf eines Ausbaus der sozialen Sicherheitsmechanismen an der Uni und eines leichteren Zugangs zu Hilfsangeboten. Die Bundesregierung will im nächsten Jahr über 440 Millionen Euro beim BAföG einsparen. Daraus ergeben sich eine Vielzahl an Problemen für eine große Zahl an Student:innen. Wir erkennen deshalb, dass nicht nur der Ausbau der BAföG Strukturen vorangetrieben werden muss, auch der Zugang zu BAföG muss stark vereinfacht werden. Doch unser eigentliches Ziel muss der kostenfreie Zugang zu weiterführender Bildung für alle sein.

Auch der Schutz von Frauen und LGBTI+ an den Universitäten ist ein wiederkehrendes Problem. So fühlen sich viele von uns an den Hochschulen nicht sicher, über 1/3 waren bereits von sexueller Belästigung an ihrer Uni betroffen. Doch die Unileitungen verschließen vor diesem Problem häufig die Augen. Deshalb ist es umso wichtiger den Selbstschutz an den Hochschulen zu verstärken und durch praktische Frauensolidarität aus der Defensive zu kommen.

Wie wird die Uni wieder politisch?

Heute wie damals erkennen wir die Bedeutung der antiimperialistischen Bewegung an den Hochschulen. Die Parallelen der Forderungen und Probleme sind unverkennbar. Auch wir müssen die Universitäten wieder zu politischen Orten machen. Forderungen von damals haben nicht an Bedeutung verloren. So ist der konsequente Antifaschismus, gerade gegen die staatlichen Institutionen; die Feindschaft gegen reaktionäre Medien; oder die Forderungen der Frauenbefreiung bis heute für uns von großer Bedeutung. Doch wir müssen auch erkennen, warum Hochschulen heute ein eher unpolitischer Raum sind. Zwar geben sich unterschiedliche Gruppen als fortschrittlich aus, doch häufig folgt aus diesem Selbstverständnis nur ein Minimum an Aktionismus. Dies hängt unter anderem mit der großen Bedeutung von postmodernen Theorien an den Hochschulen zusammen. Da sich durch diese Theorien jeder Aspekt der politischen Arbeit an den Unis in einem ständigen Prozess der Analyse und Reflexion verliert, wird es immer schwerer politische Handlungsziele klar zu definieren. Auch wird sich immer nur auf Themenspezifische Arbeit konzentriert. Eine umfassende Analyse der ökonomischen Einflüsse wird meist vernachlässigt. Insgesamt ergibt sich daraus häufig, dass es keinerlei Praxis gibt, teilweise politische Praxis sogar abgelehnt wird. Dadurch wird Hochschulpolitik häufig sehr stark in ihrer Handlungsfähigkeit gebremst. Deshalb muss für uns klar sein, dass dieser Einfluss auf die Lehre, aber auch auf die Student:innen analysiert und bekämpft werden muss. Daher ist es umso wichtiger, sich die eigenen Räume in den Universitäten immer wieder zu nehmen. Unser Kampf für eine Hochschule für alle, gegen die Profitmaximierung in der Forschung und für eine politische Uni muss weitergehen.

In verschiedenen Städten lassen sich immer wieder Initiativen erkennen, die diese Freiräume schaffen wollen. So sind alternative Einführungswochen, Hörsaalbesetzungen, Vorträge oder Bannerdrops wichtige Antworten auf den Versuch, Student:innen zu entpolitisieren oder sie in die kapitalistische Vermarktung zu zwingen. Auch der Kampf für eine Erweiterung der studentischen Selbstverwaltung kann ein Mittel sein, um sich selbst zu ermächtigen. Wichtig ist es auch, nicht nur die Interessen der Studierenden, sondern auch der Beschäftigten an den Hochschulen zusammenzuführen. Universitäten sind ein Teil des kapitalistischen Systems, häufig ist die Forschung abhängig von Förderungen von Konzernen, wodurch bestimmte Forschungsfelder besonders ausgebaut werden. Auch arbeiten Teile der Forschung eng mit der Bundeswehr zusammen. Die Möglichkeit der antimilitaristischen Organisierung an den Hochschulen wird häufig außen vorgelassen. Doch auch hier bietet sich eine klare Möglichkeit unserer antikapitalistischen, antimilitaristischen Organisierung.

Anschließend daran muss es von besonderer Bedeutung sein, die verschiedenen Kämpfe innerhalb der Unis zu verbinden, seien es Klassenkämpfe, die Themen der Ökologiebewegung oder die Linie der Frauenbefreiung. All diese Kämpfe finden nicht getrennt von unserem Unialltag statt, sondern spielen auch hier eine große Rolle. Machen wir uns die Taktiken der 68er zunutze, veranstalten auch wir unterschiedliche Aktionsformen, wie „Go-ins“, „Teach-ins“ oder „Sit-ins“. Wie bereits beschrieben, waren die Repressionen an den Hochschulen dieses Jahr besonders hoch, doch auch die kämpferische Attitüde der Student:innen hat sich wieder einmal gezeigt. Gerade als junge Frauen müssen wir erkennen, dass die Hochschulen auch unser Raum sind. Also lasst uns diese Vielzahl an Möglichkeiten der Organisierung nutzen und unsere Kämpfe in die Hochschulen tragen!