Liebe GenossInnen,
seit Do. 21. Oktober bin ich hier im U-Gefängnis von Thun im Kt. Bern. Die Versetzung vom Gefängnis in Bern war sehr schnell und ohne Ansage, kaum Zeit um schnell meine Ware zu packen, den Wärtern zu übergeben und einige Leute im Abteil zu verabschieden.
Bei meiner Ankunft (bei) kam ich eine gewisse Rigidität beim Sicherheitspersonal zu spüren, ich dachte es sei ein wenig die “Eintritts-Gepflogenheil”, auch wegen den sprach bedingten Kommunikationsproblemen; nachher machten andere Verhaltensweisen klar, dass sehr wahrscheinlich auch die Gründe meiner hastigen Versetzung in Betracht zu ziehen sind, Gründe, die mir Niemand gesagt hat.
Bei der Ankunft meiner Ware von Bern begannen die Überraschungen, ich wurde aufgefordert nur drei Bücher und drei Briefe aus der Korrespondenz auszusuchen, der Rest ginge alles zu den Effekten. Da ich Anwaltspost und noch zu beantwortender Korrespondenz vermischt und einige Bücher noch nicht gelesen hatte, aber vor allem weil ich die Effektenlager der Gefängnisse kenne, habe ich mich gewehrt. Es war wie mit den Feuerwehrleuten von Fahrenheit 415 sprechen, eine echte Papier-Phobie: zu viele Bücher, zu viele Briefe…, zu viele Zeitschriften, zu viel Drucksachen; vielleicht zu viel Solidarität (?).
Eine der Rosinen, die ich verstehen konnte mit meinem kein Deutsch und etwas mehr Französisch, war die Definition von Bibliothek für meine kaum zwanzig Bücher. Zuletzt schlug ich vor und es wurde akzeptiert, dem Besuch am nächsten Tag alle beantwortete Post und die schon gelesenem Bücher und Zeitschriften raus zugeben: was ich ja schon in Bern mit den Büchern machte. Am Tag danach beruhigte sich die Lage beim Gespräch mit dem Sicherheitschef ein wenig, wenigstens war nicht mehr von diesem absurden Zahlen die Rede.
Mit dem Gefängniswechsel war meine grosse Sorge, dass auch die Besuchsumstände von Bern sich verändern würden; und tatsächlich auf meine “internen Anfragen” liess mich die Direktion wissen, dass die Besuche nur eine Stunde dauern würden und mit hoher Trennscheibe. Im letzten Moment vor dem Montagsbesuch konnte ich erfahren, dass die Bundesanwaltschaft wieder die vorherige Bewilligung wie in Bern bestätigt hat: keine Trennscheibe. Zwei Stunden Besuch (weil die Angehörigen aus Italien kommen) unter Anwesenheit eines Polizeifunktionärs als Zuhörer. Üblicherweise findet man bei einem Gefängniswechsel et welche bessere und schlechtere Umstände vor; was von der Struktur aber vor allem von der Hausordnung abhängt, die jede Direktion immer zu personalisieren neigt.
Muss schon sagen, eine Verbesserung der Lage wie in Bern war keine Kunst, da es eine Struktur ist, deren hermetische Abschliessung der helle Wahnsinn ist. Hier hat es ein grosses 3,5 Meter hohes Fenster, das elektronisch geöffnet werden kann um von ausser Frische Luft zu bekommen. Der untere Fensterteil ist hingegen abgeschlossen mit einer nahen äusseren Sichtblende zur Verhinderung jeglicher Aussicht. Mit der Ernährung ist es gut gegangen einfach weil ich mit dem Küchenverantwortlichen sprechen konnte, der übrigens sehr zuvorkommend war; in nur zehn Minuten konnte ich gutes veganes Essen mit wichtiger Verbesserungen gegenüber vorher absprechen, für dasselbe Ergebnis brauchte ich in Bern 3 Monate und viele Diskussionen mit nicht immer definitiver und positiven Resultaten. Sonst ist die Lage schlechter als in Bern, der gemeinsame Hof für etwa 20 Gefangene ist äusserst klein und mit Gitter und engmaschigem Maskendraht überdacht und fast ohne Unterstand wem es regnet.
Ein Wärter empfahl für die restlicher 23 Stunden völligen Einschlusses: “Leuten nur für die Medikamente”; wie jedes Gefängnis, so verleugnet auch das hier sich nicht, Psychopharmaka sind der verbreitetste Aspekt und werden grosszügigst verteilt. Aber welch eine Verfälschung, sie als Medikamente zu bezeichnen, wobei Knast voller solcher Lügen oder Fälschungen der Realität ist:
Psychopharmaka gehören zur Dimension Knast, sie arbeiten langsam aber beharrlich an der Auflösung des Individuums.
Wie in Bern, so kann auch hier gearbeitet werden, dieselbe entfremdende Aktivität: Schachteln zusammensetzen, die dann die Swatch-Uhren des berühmten Schweizer Uhrenmultis beherbergen werden. Der Lohn ist von Typ “Akkordarbeit”, auf Grund der produzierten Menge, in diesem Fall entsprechen etliche Stunden Tagesarbeit wenig mehr als dem “Wert” eines Beutels Kaffee. Effektiv Arbeit die Mehrheit der Gefangenen “nicht wegen dem Geld sondern eher als Zeitvertreib”; ich denke aber nicht, dass der Swatch-Multi diese Arbeit so gering-schätzt. Die Knäste stellen für viele Multis eine Art von südlichen Inseln der, die in der Reichen und Fortgeschrittenen Welt zerstreut sind. Denn wenn der Süden der Welt für sie seit jeher ein Territorium zur Plünderung und Ausbeutung ist, so gut dasselbe auch für jeden Ort, wo es Ausgeschlossene und Ausgebeutete hat. Ist es etwa purer Zufall, dass immer mehr jene hinter Mauern landen, die den unaushaltbaren Bedingungen im eigenen Land zu entrinnen versuchen? Unsichtbare Ausgebeutete in den glitzerndem Metropolen des Westens so lange möglich, dann hatt eingeschlossen: wegen einer abgelaufenen Aufenthaltsbewilligung oder Macke eine Politikers, der gerade an der Macht ist, aber wieder hört die Ausbeutung nicht auf.
Durch eine Karte der Internationalen Roten Hilfe aus Zürich weiss ich auch von der Versetzung von Marco in einen eher abgelegenen Kanton. Noch weiss ich nichts von Silvia und Billy aber klar ist, dass eine Zerstreuung im Gange ist, als Folge der Streikinitiativen in den verschiedenen Gefängnissen und den hier in der Schweiz und in Italien organisierten Soliinitiativen. Die Zensur erlaubt mir nicht, sehr viele Infos zu erhalten über das, was so überall ablauft, aber diese Aufregung in der Repression lässt vermuten dass die Initiativen nicht unbemerkt bleiben.
Abgesehen davon, dass solche Formen der Repressalie nichts aufhalten können von der starken biovielfättigen verbreiten Solidarität in viele Kämpfen und ganz sicher wird es alle jene nichts entmutigen, die noch kommen.
Allen eine feste Umarmung
Gefängnis Thun, 26. Okt. 2010
Costantino Ragusa