Der Staat konnte die Einreise der Band verhindern, nicht aber das Singen ihrer Lieder
Mehr als 8000 Besucher kamen am Samstag zum Konzert von Grup Yorum
nach Oberhausen. Sie ließen sich von Repression und Terrorpropaganda nicht abschrecken, die dem Auftritt der populärsten linken türkischen Band vorangegangen waren.
Zuvor war den Musikern in Istanbul von der deutschen Botschaft die
Erteilung von Visa verweigert worden. Gleichzeitig teilte man ihnen mit, daß ihnen der Zutritt zum Schengenraum in Zukunft generell untersagt sei. Daraufhin gelang es u.a. auch durch den Einsatz von linken deutschen Abgeordneten den öffentlichen Druck so sehr zu steigern, daß die deutsche Botschaft die Visa erteilte.
Am Düsseldorfer Flughafen am Samstagmorgen angekommen, wurde Grup Yorum trotz gültiger Visa die Einreise verweigert. Diese wurden für
ungültig erklärt. Anwälte wurden nicht zu ihnen in die Transitzone
gelassen mit der Begründung, zunächst müsse es einen abschließenden
Beschluss geben. Nur über Handy gab es die Möglichkeit einer
Kommunikation mit Genossen von dem das Konzert veranstaltenden
Kölner Migrantenverein.
Erneut versuchte man u.a. auch mit Unterstützung linker Abgeordneter
der PDL genügend großen öffentlichen Druck aufzubauen. Nach acht
Stunden wurde endgültig beschlossen die Visa nicht anzuerkennen und
die Musiker zurück nach Istanbul in das nächste Flugzeug gesetzt. Als
Begründung wurde angeführt, die Durchführung des Konzertes stelle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, da Grup Yorum ein Sprachrohr der in den Armenvierteln der großen türkischen Städte stark verankerten revolutionären Partei DHKP sei, die auf der „Terrorliste“ der EU stehe und hier wie in der Türkei verboten sei.
Wie bei der Welle der Prozesse nach §129b (Unterstützung einer ausländischen terroristischen Organisation) üblich wurden für diese Mutmaßung keinerlei Beweise vorgelegt. Es reicht die Behauptung der Geheimdienste, daß jemand in irgendeiner Weise mit der Partei in Verbindung stehe. Da man weder Willens noch in der Lage ist irgend etwas Konkretes vorzulegen, das auch nur entfernt mit „Terrorismus“ zu tun hat, „beweist“ man die Nähe der Genossen aus migrantischen Kulturvereinen und in diesem Falle der Musiker von Grup Yorum zum Terrorismus mit Belegen für ihre demokratische linke Gesinnung und ihre politische Arbeit gegen Rassismus, Faschismus und imperialistische Kriege. Ganz unverblümt wird grundsätzliche Kritik am Kapitalismus und seinem höchsten imperialistischen Stadium mit Terrorismus gleichgesetzt.
Grup Yorum singt revolutionäre Lieder, prangert Ausbeutung an, entlarvt die ganze Heuchelei der bürgerlichen Scheindemokratie, die Unterdrückung von Kurden und anderen Minderheiten in der Türkei mit Panzern und Schnellfeuergewehren und demaskiert das angeblich „humane“ an Kolonialkriegen im nahen Osten, deren Folge die Zerstörung progressiver Staaten wie Libyen und Syrien ist und die Machtübernahme von mittelalterlichen monströsen „islamischen“ Terrorgruppen — im Auftrag, ausgerüstet und finanziert von der „westlichen Wertegemeinschaft“ .
Eine bloße Meinungsäußerung reicht nach §129b aus für 2 – 6 Jahre Haft
und Lieder mit solcher Meinung werden als „Terrorismus“ denunziert, ihr Singen als eine „Gefahr für Sicherheit und Ordnung“.
Das zeigt, daß die Genossen von Grup Yorum eine außerordentlich gute
Arbeit leisten, denn der Klassenfeind geht nur dann mit aller Härte
vor und läßt nur dann seine demokratische liberale Maske ganz fallen,
wenn die Gefahr besteht, daß grundsätzliche Kritik an der Herrschaft
der 1% von breiten Massen aufgegriffen wird.
Das Entlarvende und das Vertrauen in die „FDGO“ (Freiheitlich
demokratische Grundordnung) Erschütternde an der Situation ist,
daß die Vertreter der „westlichen Wertegemeinschaft“ die Migrantenvereine, denen man Unterstützung von Terrorismus vorwirft und deren Mitglieder man reihenweise in den Kerker wirft, keinesfalls verbietet und auch nicht das Konzert von Grup Yorum. In diesem Falle nämlich bestände zum einen die Möglichkeit juristischer Gegenmaßnahmen bis zu einer Klage vor dem europäischen Gerichtshof, zum anderen — so die taktische Überlegung der staatlichen Vertreter der Interessen der 1% — könne man nicht mehr so leicht ihre politische Arbeit überwachen. Linke Gruppen läßt man gewähren solange sie irrelevant sind und man verfolgt sie mit völlig willkürlicher Repression sobald sie Masseneinfluß gewinnen. Dann wird für sie aus einem linken Lied ein Akt des Terrors.
Eine für die Herrschenden riskante Taktik, denn durch solche
willkürlichen Maßnahmen gegen populäre Musiker und entlarvende
Repression gegen linke Aktivisten gegen Rassismus wächst die Zahl ihrer Sympathisanten und aktiven Unterstützer rasch. Zudem stellte sich heraus, daß man zwar die Einreise der Mitglieder von Grup Yorum verhindern konnte, nicht aber das Konzert und das Singen ihrer Lieder vor und mit 8000 Besuchern.
Ein Zeichen wachsender Unterstützung stellt auch das Verhalten der
Verantwortlichen der Arena in Oberhausen dar: Vertreter des
Inlandsgeheimdienstes sprachen bei ihnen vor und setzten sie unter
Druck den Vertrag mit dem Migrantenverein zu kündigen und so das
Konzert zu verhindern. Man warnte vor Bombenanschlägen wie in Paris, unterstellte Grup Yorum und ihren Besuchern ganz direkt terroristische Absichten. Darauf ließen sich die Arenaverantwortlichen nicht ein und erklärten, sie hätten bei den Konzerten von Grup Yorum in den vergangenen Jahren unter zigtausenden Besuchern bislang keinen Bombenwestenträger
entdecken können.
So fand das Konzert ohne jeden Zwischenfall vor einem begeisterten
solidarischen Publikum statt — auch ohne die Musiker. Die Lieder wurden von Schülern der Band vorgetragen und sind so populär, daß sie von den Besuchern mitgesungen wurden.
Ebensolches passierte bei einem Auftrittsverbot von Grup Yorum in der
Türkei: Die Musiker und ihre Schüler verteilten sich mit ihren Guitarren in der Stadt und dieser dezentrale und von den Bewohnern der Viertel unterstütze Auftritt konnte selbst von der türkischen Repressionsmaschinerie nicht unterbunden werden.