Dass der kommende G20-Gipfel mit Hamburg wieder die Bühne einer Großstadt betreten wird, hat schon bei Einigen für Verwirrung gesorgt. Merkel soll es sich ausdrücklich gewünscht haben. Ihre Argumentation: Hamburg stünde mit seinem Hafen für Weltoffenheit. Dass die Weltoffenheit sich, angesichts des vor allem als Containerumschlagplatz genutzten Hafens, auf den weltweiten Warenhandel bezieht, erscheint dabei unfreiwillig ehrlich. Frei nach den Goldenen Zitronen ist die Freiheit, die sie meinen, jene des um die Welt reisenden Turnschuhs.
Kürzlich hat sich auch Jan Reinicke, Chef des Bunds deutscher Kriminalbeamter, zu Wort gemeldet:
„Ich und viele meiner Kollegen können nicht nachvollziehen, dass nach den schrecklichen Ereignissen von Genua noch einmal eine Großstadt für solch ein Treffen ausgewählt worden ist“
Schauen wir mal die Austragungsorte der letzten zehn Jahre an: Kapstadt, São Paulo, Washingston D.C., London, Pittsburgh, Toronto, Seoul, Cannes, Los Cabos, Moskau, St. Petersburg, Brisbane, Antalya, Hangzhou …. und dieses Jahr Hamburg.
Nun gut, Los Cabos und Cannes sind wahrlich keine Metropolen, aber Hangzhou oder São Paulo oder all die anderen? Der national verengte Blick des Herrn Reinicke sieht natürlich, dass die letzten zwei Örtchen, die Deutschland für internationale Gipfel dieser Art zurechtgemacht hat (Heiligendamm und Elmau) nicht gerade als internationale Metropolen bekannt sind (Wobei die G20-Vorläufer 1999 und 2004 in Berlin stattfanden).
Warum nun aber – Traditionsbruch hin oder her – der G20 wieder in Hamburg stattfindet, kann hier nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Geht es der deutschen G20-Präsidentschaft darum, mal wieder das Revier zu markieren? Werden die Hamburger für ihr Nein zu Olympia bestraft? Soll die künftige Militarisierung deutscher Innenstädte vorgeführt werden oder geht es um eine bewusste Eskalation, die vor internationaler Presse inszeniert werden soll?
Der Oberbulle
Für letztere bereiten sich die hanseatischen Bullen zumindest bereits vor. Mit der Ernennung Hartmut Duddes zum Gesamteinsatzleiter für den G20 wurde dem Widerstand eine klare Ansage gemacht. Dudde ist Schill-Protegé und als harter Hund bekannt. Immer wieder wurden seine Einsätze im Nachhinein für illegal erklärt. Er war als Gesamteinsatzleiter u.a. Mitverantwortlich für die Eskalation der Flora-Demo vom 21. Dezember 2013. Anscheinend hat sich Dudde mehr als verdient gemacht. Ihm wird die Erfindung der sogenannten Hamburger Linie zugerechnet, die auf hartes repressives Vorgehen gegen Demonstrationen beruht.
(Hier findet sich eine kleine Anfrage der Linken im Hamburger Senat zur Unrechtmäßigkeit der Einsätze Duddes)
Summit policing
Die Personalie Dudde passt zum sogenannten summit policing wie der Arsch auf den Eimer. Während bis zu den Gipfel-Protesten in Seattle 1999 und Vancouver 2004 noch vermehrt auf Negotiated management (Managemement der Veranstaltung durch Verhandlung) gesetzt wurde, wird seitdem eine Strategie namens summit policing angewandt, die auf Militarisierung und Repression setzt. Kurz zusammengefasst geht es um Folgendes:
Demonstrations- und Aufenthaltsverbote
Armierung (Abdecken von Glasflächen etc.)
Informationsgenerierung (durch die Polizei, mensch erinnert sich z.B. an angeblich säure spritzende Clowns während des G8 in Heiligendamm)
(Wander)kessel
Videoüberwachung
Vorkontrollen
selektive Zugriffe
Rote Zonen
Erschwerung des Zugangs zum Gipfelort (Einführung von Grenzkontrollen, wie beim Nato- Gipfel in Straßburg) oder Verlagerung der Gipfel in schwer erreichbare Gebiete: Elmau, Heiligendamm)
Militärische Aufrüstung der Polizei
polizeiliche Medienkampagnen (Versuch, die Deutungshoheit über das Geschehen zu bekommen)
Ausweitung des Terrorismusbegriffs (z.B. 129a im Vorfeld von Heiligendamm)
Prognosetechniken (um z.B. sogenannte Störer*innen zu identifizieren)
Einsatz von Agens provocateur (wie in Heiligendamm)
usw. usw.
Provozierte Spaltung
Zudem wird darauf gesetzt, den Widerstand zu spalten. Der institutionalisierte und reformistische Teil soll mit einer Umarmungsstrategie eingebunden werden. Beim G20 lässt sich das gut beobachten: Civil20 (NGO-Kongress), Labour20 (Gewerkschafts-Kongress), Youth20 (Jugendkongress), Women20 (Frauen-Kongress) und so weiter und so fort. Alles kleine Gipfelchen mit denen der jeweiligen Lobbyorganisation vorgespielt wird, doch ein Wörtchen im Weltgeschehen mitreden zu können. Da wundert es nicht, dass sich z.B. Katja Karger, Vorsitzende des DGB-Hamburg eindeutig für den G20 ausspricht und deutlich macht, dass es dem Gewerkschaftsdachverband um Einflussnahme gehe und man konstruktiv diskutieren wolle.
Aber einem gewerkschaftlichen Verband, der nach Jahrzehnten von Schleifung von Arbeitsrechten, Lohnsenkungen, Arbeitsverdichtung, Enteignung und Entmündigung immer noch nicht merkt, dass sein Platz das Abstellgleis ist, dem ist ohnehin nicht mehr zu helfen
Dass Campact und die Naturfreundejugend sich von der Idee einer gemeinsamen Großdemonstration verabschiedet haben und nun eine Woche vorher ihr eigenes Süppchen kochen wollen, hängt mit dem zweiten Punkt der Spaltung des Protests zusammen. Die Spaltung wird nämlich anhand der Frage friedlich und gewaltbereit provoziert. So sitzen die ganz institutionalisierten am Katzentisch auf den vielen kleinen Gipfeln. Die andern dürfen einmal durch Hamburg laufen und laut rufen: „Wir hätten die Welt aber lieber ein bisschen weniger schlimm und ein bisschen gerechter“ und der Rest, der kann dann gnadenlos niedergeknüppelt werden und mit der ganzen Spannbreite polizeilicher Repression überzogen werden. So versuchten verschiedene Zeitungen jeweils vor den Aktionskonferenzen im Dezember und Februar durch öffentliche Diskreditierung den Spaltpilz zu pflanzen und zu verhindern, dass die Konferenzen in der Uni stattfinden können. Einmal diente die IL als Vorwand, welche ja vom Verfassungsschutz beobachtet werde, ein anderes Mal die studentischen Gruppe AA/NO (Arbeitslose Akademiker/Nachwuchsorganisation), welche laut der Welt (unter Bezugnahme auf den VS) eine Nachfolgeorganisation der marxistischen Gruppe sei.
Nicht dass Spaltungen nicht auch sinnvoll und notwendig seien können. Aber wenn, dann anhand unserer Kriterien, und nicht anhand derer des politischen Feindes.
Den Protest spalten, einen Teil einbinden und den anderen marginalisieren. Sei es durch Repression oder durch mediale Kampagnenarbeit, so sieht die Polizeistrategie aus.
Vermutlich werden die Sicherheitsbehörden auch noch die rassistische Karte auspielen, um bei der deutschen Bevölkerung Punkte zu machen. Es würde doch schwer verwundern, läsen wir nicht in den kommenden Monaten wieder von internationalen Gipfelstürmer*innen, Reisechaot*innen etc. welche ins schöne Hamburg einfallen würden.
OSZE als Vorgeschmack
Der OSZE-Gipfel Anfang Dezember, den die Bullen als Generalprobe für ihren Teil der Gipfelchoreografie auserkoren hatten, gab einen kleinen Vorgeschmack auf das militärische Schauspiel, das auf uns zu kommen wird. Dort hatte der Staat folgendes aufgefahren:
13200 Bullen
3000 Fahrzeuge
Pferde, Hunde
35 Bullenboote
22 Wasserwerfer
18 Panzerwagen
10 Hubschrauber
3 km Hamburger Gitter um die Messe
1 Eurofighter der Bundeswehr
Mit dieser Material- und Personalschlacht schützten die Bullen 10 000 Konferezteilnehmer*innen vor zwei Demos mit jeweils knapp 1500 Menschen.
Knast im Bau
Wenn man auf die letzten G20-Gipfel zurückblickt, lässt sich beobachten, dass die Bullen immer großzügiger zum Mittel der Ingewahrsamnahme greifen. Wäherend in London 2008 davon „nur“ ca. 110 Menschen betroffen waren, wurden zwei Jahre später in Toronto schon 1100 Menschen festgesetzt. In Hamburg wird zur Zeit die ehemalige Frauenhaftanstalt Hahnöfersand mit Blick auf den G20 zum Untersuchungsgefängnis umgebaut (soll auch als GeSa genutzt werden können). „Durch ein zusätzliches Aufkommen in Folge des G-20-Gipfels solle ein „Hin- und Herschieben“ der Inhaftierten oder eine Mehrfachbelegung von Zellen vermieden werden“ heißt es in der Taz.
Gleichzeitig wird im südlich der Elbe gelegenen Harburg ein ehemaliger Lebensmittelgroßmarkt zur Mega-GeSa umgebaut. Drei Millionen Euro lässt sich die Stadt den Umbau der 12.000 qm großen Halle kosten. Zum G20 wollen die Bullen dann bis zu 400 Leute in die neue Gefangenensammelstelle stecken. Praktischerweise wird in den ehemaligen Büroräumen dann auch noch – abgetrennt durch einen Zaun – eine Außenstelle des Amtsgericht-Mitte eingerichtet. Dort können dann neun Haftrichter*innen nebst Personal G20-Gegner*innen im Schnellverfahren und am Fließband aburteilen. Wirst du dann zur Untersuchungshaft verurteilt, kannst du von Harburg gleich umziehen ins ehemalige Frauengefängnis, wenn das nicht praktisch ist.
Auch die Bullen rüsten militärisch auf: Im September bereits stellten Innensenator Grote und Bullenpräsident Meyer die neue Ausrüstung für die Hamburger Polizei vor. U.a. wurde dort ein zehn Tonnen schwerer Panzerwagen mit dem Namen „Survivor“ präsentiert. Dieser soll 100 Km/h fahren können und direkt in den Kugelhagel fahren können – das sind ja Aussichten. Zudem bekamen die Hamburger noch schusssichere Westen, Helme und die BFE‘s Sturmgewehre geschenkt.
Aufrüstung für den alltäglichen Ausnahmezustand
Ein interessanter Artikel in der Taz beschreibt eindringlich das Wettrüsten der Gipfelorte. Immer weiter und ausufernder werden die Städte militarisiert, immer leichter werden die Rechte von Protestierenden außer Kraft gesetzt und immer massiver militarisiert sich der Staat gegenüber dem Widerstand. Dass es dabei nicht nur um die Sicherheit von Konferenzteilnehmenden geht, sondern Gipfel als Schocktherapien für die innere Sicherheit genutzt werden, wird immer auffälliger. Neue Ausrüstung für die Bullen, Ausweitung der (Video)Überwachung, Aushöhlung demokratischer Rechte, Vernetzung der Sicherheitsbehörden, Gesetzesänderungen zum Vorteil der Repressionsapparate. Militarisierte Ausnahmezustände werden schleichend zur Alltagsrealität. Was bei den Großevents mit viel Getöse als Ausnahme verkauft wird, sickert so Stück für Stück in den Alltag durch und wird zum Zustand. Die Bullen werden nach dem Gipfel, nicht abrüsten, die Videokameras nicht abgebaut, die Gesetze nicht zurückgenommen, und auch die Knäste nicht abgerissen. Der Staat zeigt seine Zähne, aber nicht nur gegenüber dem sich formierenden Widerstand gegen den G20-Gipfel, sondern gegenüber allen, die bei so einer Fratze gern an Zahnausfall denken.
An dieser Stelle sei noch einmal an die Auswertungsbroschüre zum 129a Verfahren in Bezug zu Heiligendamm erinnert. Sehr lesenswert!
antig20berlin.noblogs.org