Hannover: 20.06.2011: Infoveranstaltung zum Hungerstreik von Werner Braeuner

Werner Braeuner befindet sich z.Zt. in der JVA Sehnde bei Hannover. Seit dem 8.5. befindet sich Werner im
unbefristeten Hungerstreik. Der Grund dafür ist: Werner und einige Mitgefangene auf seiner Haftstation
befürchten (und haben auch Hinweise darauf), dass das Knastessen mit Exkrementen verunreinigt ist. Dazu führt Werner in seiner Erklärung zum Hungerstreik aus: „Durch ekelerregende Eintragungen ungenießbar gemachtes Essen ist ein in allen Knästen auftretendes und bekanntes Problem… Knäste sind Heimstätten der Niedertracht;

es gibt dort eine im Vergleich zu draußen weit überdurschnittliche Zahl von persönlichkeitsgestörten bis hin zu verrückten Menschen, die aus geringfügigen Anlässen bisweilen extreme Verhaltensweisen an den Tag legen – z.B. aus allgemeiner Gekränktheit, diffusem Frust, Mißgestimmtheit und auch manchmal ohne irgendwie nachvollziehbare Anlässe. Anlaß für ein motivlos scheinendes wahlloses Schädigen anderer Personen kann schon die seelische Entlastung sein, die eine gestörte Person sich durch eine niederträchtige Handlung zu verschaffen vermag. So kommt es in den Knastküchen nicht selten zur Entdeckung von ekelerrregenden Einträgen im Essen.

Die in der Küche tätigen Gefangenen werden dann energisch zum Schweigen verplichtet und für den Fall der
Zuwiderhandlung mit Rauswurf, Arbeitsverbot, Disziplinarstrafen, Verlegung in andere Knäste usw. bedroht.
Dennoch dringen als zuverlässig zu bewertende Informationen über jene Vorgänge selbstverständlich nach
außen. Von den Gefangenen werden sie meist verdrängt, da man dem völlig hilflos gegenübersteht. Man
„schluckt’s runter“ – buchstäblich – oder es werden bestimmte Speisen gemieden, meist der montägliche Eintopf und die Nachspeisen – die Bewältigungsversuche variieren je nach Person. Der Ekel hängt ständig in der Luft ohne je greifbar zu werden; Äußerungen wie ‚der Erdbeerquark hat heute ja richtig Farbe‘ können da sehr spezielle Bedeutungen gewinnen.“

Technisch ist es in den Knastküchen wohl so, dass die Küchenmitarbeiter ihr eigenes Essen getrennt zubereiten – das ist auch nach Maßgabe der Justiz nicht zulässig und Proben für die Lebensmittelüberwachung ‚draußen‘ werden wohl oft aus diesen Kesseln entnommen; jeder im Knast weiß das, aber keiner kann es beweisen und alle Gefangenen müssen die Folgen tragen. Es ist auch vielen Gefangenen in vielen Knästen bekannt, dass 2010 die Küche der JVA Hannover wegen unhaltbarer hygenischer Zustände von der zuständigen Gesundheitsbehörde geschlossen wurde.

Werner hat sich nach einigen natürlich erfolglosen Versuchen, die Justiz-Bürokratie für die Angelegenheit zu
sensibilisieren und dem Verweis auf Lösungsmöglichkeiten (Selbstverpflegung) wegen unüberwindlichen Ekels und akuter Gesundheitsgefährdung entschlossen, den Hungerstreik aufzunehmen und im Falle von
Zwangsernährung seine Selbsttötung angekündigt, weil dann seine Würde und Gesundheit sowie zerstört seien.

In solch einer Situation ist es von herausragender Bedeutung, dass Gefangene in der Hungerstreik-Situation
Aufmerksamkeit und Solidarität von ‚draußen‘ erfahren und damit der Justiz signalisiert wird, dass ihre (Nicht-)Maßnahmen beobachtet werden, d.h., dass es ihr erschwert oder sogar unmöglich gemacht wird, mit den Gefangenen in der für sie bequemsten Weise zu verfahren, nämlich schnell eine Zwangsernährung einzuleiten und durch Psychatrisierung den zweifachen Effekt des erstens ‚der ist sowieso durchgeknallt‘ und zweitens das Abschieben eben in die Psychatrie zu erreichen.

Es ist deswegen wahrscheinlich, dass Werner Braeuner dazu in das zentrale Knastkrankenhaus Niedersachsens, in die JVA Lingen, verlegt wird.

Erfreulicherweise gibt es Reaktionen aus verschiedenen politischen ‚Szenen‘. Dazu einige Beispiele:
Gefangene wie Roland Schwarzenberger und Thomas Meyer-Falk aus Bruchsal haben sich mit Werners
Hungerstreik solidarisiert . Ebenso Devrim Güler, ehemaliger Gefangener aus dem § 129b-Verfahren. Ihm droht die Auslieferung in die Türkei und zur Zeit ist er unter Residenzpflicht.

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie vertreten durch den Gefangenenbeauftragten Christian Herrgesell wendet sich in einem offenen Brief an den niedersächsischen Justizminister Busemann sowie die Anstaltsleiterin der JVA Sehnde und fragt, ob die Ernährungssituation in den Knästen nicht sowieso unhaltbar sei und zeigt sich besorgt, dass sich diese Lage noch verschärft; es wird auch ausgeführt, dass man die weitere Entwicklung im Falle Braeuners kritisch beobachten wird. Die Zeitungen Neues Deutschland und junge Welt veröffentlichten Artikel zum Hungerstreik. Auch das GefangenenInfo (GI), Indymedia, Labournet und Anarchist Black Cross Berlin (ABC) berichten in ihren Druckerzeugnissen bzw. Internetauftritten detailliert über Brauners Kampf.

Ebenso konnte beim Webradio Radio Flora Werner Braeuner zweimal zu seinem Streik interviewt werden.
Menschen aus Magdeburg veranstalteten am 24.5. eine unangemeldete Kundgebung in Sehnde mit Parolen und Feuerwerk, die von den Gefangenen gut aufgenommen wurde.

In Berlin hat sich eine Soligruppe gebildet, die bereits am 19.5. eine Solidaritäts-Kundgebung vor der
niedersächsischen Landesvertretung in Berlin abgehalten hat – und weitere Aktivitäten (z.B. am 14.6.
Kundgebung vor dem Jobcenter in Neukölln) planen.

Es gibt auch viele einzelne Personen, die – zumeist in emails – ihre Solidarität ausdrücken. Besonders
hervorzuheben sind in dieser Gruppe die Gefangenen, die sich beispielsweise an die Initiative ‚Solidarität mit
Werner Braeuner‘ wenden.

Werner hat im Mai eine Petition „zum Schutz der Menschenwürde von Gefangenen sowie zum Schutz der
Allgemeinheit ein Gesetz zu beschließen,“ an den Präsidenten des Niedersächsischen Landtag gerichtet.
Werner Braeuner ist ungebrochen und kämpferisch gestimmt, denn er schreibt viel und gibt Interviews zu
seinem Streik.

Er macht also eine psychisch guten, stabilen Eindruck, aber physisch hinterläßt der Hungerstreik natürlich
Spuren; er ist deutlich abgemagert.
In den nächsten Tagen und Wochen wird es für uns ‚draußen‘ darauf ankommen, die Öffentlichkeit weiterhin zu informieren und auch gegenüber der Staatsmacht zu zeigen, dass wir ‚da‘ sind und unsere FreundInnen und GenossInnen im Knast nicht allein lassen.

Montag, 20.06.2011
20 Uhr, UJZ Kornstrasse 28 – Hannover
Rote Hilfe Ortsgruppe Hannover