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Interview über die Rote Armee Fraktion

Wir publizieren heute ein Interview, welches wir zugeschickt bekommen haben. In dem Interview wird über sehr interessante Themen eines Teils der Geschichte der revolutionären Bewegung in der BRD gesprochen und deswegen ist es unsere Überlegung, dass dieses Interview von großem allgemeinen Interesse und von bedeutendem Interesse für das akademische Studium ist. Wir empfehlen unseren Lesern sich mit dem Text auseinanderszusetzen, auch wenn wir viele Analysen und Schlußfolgerungen nicht teilen.

– Autoren von Dem Volke Dienen

„Die RAF war also Orientierung für viele, auch unbewaffnete Linke…“

Im folgenden dokumentieren wir ein nicht ganz neues, aber unveröffentlichtes Interview zur Geschichte der RAF. Dieses liegt mittlerweile schon einige Jahre im Archiv und wartet auf eine Veröffentlichung. Wir wollen nun den 50sten Jahrestag der Andreas Baader- Befreiung nutzen, um das Interview zu veröffentlichen und so einen Beitrag zu den Aufarbeitungsaktivitäten der GenossInnen in diesem Jahr zu leisten. Es wurde geführt mit einem Aktivisten der antiimperialistischen Bewegung und soll die Erinnerungsarbeiten der ehemaligen Stadtguerilla- Militanten um den externen Blickwinkel eines mit der RAF solidarisch verbundenen Genossen jener Jahre ergänzen. Viel Spaß beim Lesen.

In historischen Texten zur RAF wird die Entstehung der Guerilla immer wieder als Defensive-Position dargestellt. Teilst du das, oder wie siehst du das?

Das stimmt so nicht ganz. Mensch muss ein bisschen zurück gehen. Die Außerparlamentarische Opposition (APO) war Ende der 1960er Jahre an ihre Grenzen gestoßen. Die neue SPD/FDP Regierung W.Brandt im Herbst 1969 wurden von vielen AktivistInnen der APO begrüßt und als positiver Ausdruck der eigener Kämpfe gewertet.“Wir müssen jetzt in diesen Parteien und Organisationen (z.B. Gewerkschaften und Unis) mitarbeiten“ war eine sehr verbreitete Position, die mensch im Nachhinein nur als oppurtunistisch bezeichen kann.

Das andere war natürlich auch, dass es eine verschärfte Repression gab. Damals 67, 68 wurden viele für sogenannte Demonstrationsdelikte verurteilt. Mit der Regierung Brandt kamen dann die Amnestie für Delikte im Zusammenhang mit der StudentInnenbewegung. Allerdings muss hinzugefügt werden, dass Amnestie z. B. nicht Andreas Baader und Gudrun Ensslin betraf, die wegen der Kaufhausbrandstiftungen zu 3 Jahren verurteilt wurden sind und von dieser Verordnung StudentInnen profitierten, und eben nicht die jungen Proleten und alle, die weiter kämpften wollten.

Hinzu kam, dass die radikale Linke sich dann auch in verschiedene Gruppen aufgespalten hat. Die einen, die sich haben von Amnestie und anderen Integrationsangeboten einkaufen lassen, und dann sozusagen „heim ins Reich“ sind. Die also in den Parteien mitgearbeitet haben, in den Gewerkschaften, die an der Uni oder den Medien, Theater, Film usw. Karriere gemacht haben. Begründet wurde dies mit Sprüchen: „Wir müssen irgendwie Berufe haben, um das Volk, die Bevölkerung zu agitieren“, was sich im Nachhinein eher als Anpassungsprozess im großen Stil gezeigt hat.

Das andere war, dass revolutionäre Inhalte und Demonstrationen kaum noch mehr möglich waren. So wurden z. B. Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg brutal unterdrückt. Klar für uns war, dass wir ja keinen besseren Kapitalismus haben wollten, sondern wir wollten den abschaffen. Und das war natürlich nicht nur durch „sit ins“ und „go ins“ zu erreichen. Uns alle (Kämpfenden) stellte sich die Frage „Wie weiter?“.

Zum Beispiel, wie können wir die US Basen in der BRD bekämpfen? Gerade über diese Stützpunkte lief der massenhafte Transport von Gis und Kriegsmaterial nach Vietnam.

Die Frage mit dem defensiv würde ich so beantworten, dass die RAF versuchte offensiv aus einer politisch defensiven Position heraus zukommen. Bewaffnete Angriffe sind ja nicht defensiv. Die Möglichkeiten zu agieren auf einer Guerillaebene sind umfassend, offensiv und für die Herrschenden nicht so ohne Weiteres berechenbar. Das kann für uns und eben für alle bedeuten, dass jeder Mensch auch aus der Illegalität Aktionen machen kann, die ganz einfach überraschend sind und eben das Guerillamoment haben. Und das andere war dann auch, dass sich ja nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland bewaffnete Gruppen bildeten, sondern in Europa, in Nordamerika (Kanada, USA). Und es gab natürlich auch Guerillabewegungen in Lateinamerika, wo vor allem die Tupamaros sehr wichtig waren. Auch die Befreiungsbewegungen waren weltweit auf dem Vormarsch. Der Vietkong war ja auch eine Art Guerilla. Also, ich würde diese Fragen mit defensiv – offensiv in dem Sinne beantworten, dass zumindestens die Defensive, in der die Linke Ende der 60er Jahre steckte, die Guerilla einen Weg aufzeigte, aus dieser Misere heraus zu kommen.

Du meintest, dass die Entstehung der Guerilla in gewisserweise eine Erweiterung der Mittel der außerparlamentarischen Opposition war. Es gab ja auch diesen Vietnamkongress in Berlin, auf dem auch die Parole zur Geltung kam „Vom Protest zum Widerstand kommen“, was ja in gewisserweise dem auch entspricht. Kannst du dir erklären, warum diese doch relativ breit geführte Diskussion im Endeffekt die Praxis der Guerilla doch von eher wenigen Leuten getragen wurde?

Das ist natürlich eine schwierige Frage, die man sehr differenziert darstellen muss. Umfrage Anfang der 70er besagten, dass 20 % der Bevölkerung Symphatie für die Guerilla hatten. Dass ganz viele – vor allem junge Leute – der Guerilla z.B. einen Schlafplatz zur Verfügung gestellt hätten.

Auch beim „Marsch durch die Institutionen“ wurde gegen die linken AktivistInnen Repression angewendet. Durch den „Radikalenerlass“ wurden 3,5 Millionen Personen überprüft und 10.000 erhielten Berufssverbot. Diese Überprüfungen führten dazu, dass viele Linke Existenzängste bekamen, d.h. es brach vielen aus der Bewegung das Genick. Das andere ist natürlich, das gut dotierte Posten im System korrumpieren und mit solchen Personen ist keine Revolution zu machen. Unter solchen Voraussetzungen bist du dann eher am Status quo interessiert als an Veränderungen.

Hinzu kommt natürlich, das revolutionäre Veränderungen länger andauerten als „gedacht“.

Alle Widerstandsbewegungen, Guerilla in allen Ländern, hatten die Erwartung dass dieser Prozess, das die Veränderung der Verhältnisse schneller voran schreiten würde. Jetzt nicht in ein paar Jahren, aber doch in einem absehbaren Zeitrahmen, vielleicht in 20 , 25 Jahren.

Die Gegenseite setzte natürlich nicht nur auf Repression, d.h. während der Fahndung wurden 9 Illegale getötet, 9 Gefangene aus Guerillabewegungen wurden ermordet, immense Verhaftungen. 1972 waren die ersten Guerillaaktionen gegen den Vietnamkrieges, gegen Springer oder gegen Polizei und Justiz ja im großen Teil der Bevölkerung oder zumindestens in der Linken verankert. Mensch muss sich das so vorstellen: In jeder Stadt gab es Rebellion gegen das System. Diese Aussage widerspricht der herrschenden Gechichtsschreibung, die besagt, dass die Revolte nur an den universitären, schulischen und kulturellen Bereich beschränkten. Um diese umfassende Bewegung in den Griff zu kriegen, wurde die psychologische Kriegsführung intensiviert. Ziel war, dass Aufkommen der bewaffneten Kämpfe in sein Gegenteil zu verkehren, diese KämpferInnen total zu diffamieren:

Ulrike Meinhof sei verrückt, oder Andreas Baader war nur ein Macho und unpolitischer Killer. Herbert Wehner, der damals einer der frühenden SPD-Politiker war, sagte, es darf nichts Authentisches von der Guerilla nach außen dringen. Das wurde durch unterschiedliche Kampagnen der Desinformation umgesetzt. Der wahre Charakter einer Befreiungsbewegung wurde in das Gegenteil verkehrt, in dem fälschlicherweise behauptet wurde, dass sie Trinkwasser vergiften oder Hauptbahnhöfe bombardieren würde. Fakt ist, das so was aber von der Polizei oder rechtsradikalen Gruppen praktiziert wurde. Konzipiert wurde diese Counter Insurrgency von Denkfabriken aus den USA, der BRD sowie Natostäben.

Ich denk das sind einige der Gründe gewesen, warum so wenige zur Guerilla gegangen sind.

Man kann aber trotzdem festhalten, dass es bis Ende der 80er Jahre doch eine relativ – zumindestens in jugendlichen Bereichen – immer eine Identifikation mit solchen Kämpfen gab. D.h. es gab diverse besetzte Häuser, die nach gekillten Gefangenen oder Militanten benannt worden sind. Viele aus solchen sozialen Zentren sind zur Guerilla gestoßen. Die GenossInnen, die zur RAF kamen, sind ja nicht vom Himmel gefallen, sondern kommen aus den Kämpfen, sind und waren ein Teil von uns.

An die Frage will ich gleich anschließen. Zum einen: Wie haben die ersten Aktionen der Guerilla auf dich persönlich gewirkt? Zum anderen: wie schätzt du die Wirkung a.) auf die Linke im Allgemeinen; b.) auf Teile der Bevölkerung, auf unsere Klasse ein?

Nach den ersten Aktionen der RAF, der Befreiung von Andeas Baader und gegen die US.Hauptquatiere in Heidelberg und Frankfurt, waren z.B. Andeas, Gudrun und Ulrike und andere für viele aus der APO schon ein Begriff. Ulrike war vielen als Autorin von „Konkret“ bekannt, die Menschen bis ins linksliberale Lager erreichte. Gudrun und Andreas hatten sich als „Kaufhausbrandstifter“ einen Namen gemacht. 1968 zündeten sie zusammen mit 2 weiteren Männner aus Protest gegen den Konsumterror und den Vietnamkrieg 2 Kaufhäuser an und wurden zu 3 Jahren verurteilt, Das war die erste guerillamäßige Aktion in der BRD. Damit will ich sagen, dass die Mitglieder aus der RAF bekannt waren, weil sie aus unseren Kämpfen kamen.

Demonstrationen mit unseren Formen und Inhalten waren Ende der 60er Jahre bzw. Anfang der 70ger Jahre nicht mehr durchführbar, da sie von den Herrschenden zerschlagen wurden. Die Stärke der Bewegung die bürgerliche Regeln zu verletzen und zu überschreiten, damit Öffentlichkeit zu mobilisieren, aufzuklären, war so für uns nicht mehr möglich.

Die Guerilla praktizierte das Prinzip „hit and und run“ und demonstrierte so für uns eine neue Option, aus einer politischen Defensivposition heraus zu kommen und so wieder handlungsähig zu werden. „Kampf ist, aus Schwäche Stärke machen“

Anziehend für uns war das Agieren der Guerilla, da es für uns auch selbst weitere Handlungsmöglichkeiten eröffnete: Wenn wir mit unserer Politk nicht mehr durch kamen, zogen wir z.B. nachts heimlich los und brachten unsere Parolen an Wänden an.

Die Defensive zu durchbrechen, steht immer auf der Tagesordnung, um wieder zum Angriff zu kommen: Gelingt das, ist das immer anziehend für andere, damit sie auch selbst ihre Lethargie und Perspektivlosigkeit überwinden können. Es war damals so, dass die ersten Schriften auch breit diskutiert wurden. Das „Konzept Stadtguerilla“, die erste Schrift der RAF erschien damals im Verlag Wagenbach. Man muss natürlich dazu sagen, dass die Politisierung damals viel umfangreicher war als heute.

Bezeichnend für die damalige Aufbruchstimmung war, dass vielmehr gelesen und debattiert wurde. Begierig wurden Schriften aus der 3. Welt von Che Guevara, Ho Chi Minh sowie auch Texte aus linkskommunistischen Zusammenhängen, Frühschriften von Marx, von Wilhelm Reich oder Herbert Marcuse, gelesen. Wir grenzten uns auch vom realexistierenden Sozialismus ab. Wir sahen zwar den Ostblock als Gegenpart zum imperialistischen Westen an, doch stand auch dort noch eine weitere kommunistische Umwälzung an.

Die RAF war also Orientierung für viele auch unbewaffnete Linke, die aber natürlich ebenfalls kämpfte.

Deine Frage bezüglich der Arbeiterklasse ist in der BRD ein bisschen schwierig. Viele aus der APO haben in Betrieben gearbeitet, d.h. entweder um „nur“ Geld zu verdienen oder aus politischen Gründen, die aber nicht sehr erfolgreich waren.

Warum das so schwierig war, hatte vielerei Gründe.

Die BRD war ein anti-kommunistischer Frontstaat während des „Kalten Krieges“. Die Arbeiter hatten deswegen sehr starke materielle Privilegien. Hier lebten die erste Generation von „Gastarbeiter“ aus Italien, Griechenland und der Türkei, gegen sie gab es verstärkt rassistische Übergriffe.

Wichtig war aber auch, dass es keine Erfahrung bezüglich kommunistischer Betriebsarbeit gab. Wir haben auch erst 68/69 linkskommunistische Klassiker kennengelernt, d.h. wir fanden so heraus, dass es Alternativen gab zu dem herrschenden Sozialismus in der DDR und SU. Ein Punkt war natürlich, dass es sich laut Lenin und Che in den reichen Metropolenländern bei den Werktätigen nicht um eine kämpfende Klasse mehr handelte, sondern um eine Arbeiteraristokratie. Das deckte sich auch mit unseren Erfahrungen. Sie erhalten z.B. mehr Lohn als ihre KollegInnen in der 3.Welt. Hinzu kam, das die Tradition der Kämpfe aus den 20 / 30er Jahren durch den Faschismus gekappt wurde.

Im Gegensatz zu Frankreich oder Italien, dort sind die Arbeitskämpfe, also auch die Arbeiterklasse, besser organisiert und es gab starke Klassenkämpfe bis hin zu Fabrikguerilla. Diese Möglichkeiten gab es in der BRD so nicht. Hätte es diese gegeben, so wäre die Strategie der RAF eine andere gewesen.

Mit den Lehrlingen und JungarbeiterInnen war die Zusammenarbeit besser. Das hatte viel damit zu tun, dass die APO mehr jüngere Menschen erreichte als ältere. Die Älteren waren verbürgerlichter und verinnerlichten die Wert und damit die Hetze der Medien, wie, das sind natürlich „die langhaarigen Affen“, sozusagen die Studierenden, die sowieso nachher auf der andere Seite stehen.

Auch wurden alle linken Betriebsgruppen, die links von der SPD und DKP standen, aus dem DGB ausgeschlossen. Auf jeden Fall war es schwierig, mit den „normalen“ ArbeiterInnen zusammen zu kommen. Es gab Überlegungen Frühjahr 1968 einem Generalstreik zu machen, um die Notstandsgesetze zu verhindern. Dies wurde aber von der Gewerkschaftsführung abgebügelt. Das verwundert aber nicht, denn der DGB kooperierte mit dem Kapital. „Sozialpartnerschaft“ eben. Viele Gewerkschaftsfunktionäre wurden Minister, Georg Leber sogar Kriegsminister. Ein wichtiger Teil der klassenbewußten Arbeiter lebte nicht in der Bundesrepublik, sondern in der DDR.

Das sind verschiedene Faktoren die erklären, warum es uns nicht gelungen ist, bei den Lohnabhängigen zu landen.

Kannst du was zur politischen Bestimmung der ersten RAF-Aktionen und – Schriften sagen?

Vor über 40 Jahren wollten wir nicht einen besseren Kapitalismus, also einen „Kapitalismus mit menschlichen Antlitz“, sondern die Abschaffung des Kapitalismus auf kommunistischer Basis. Dieses Ziel war mit unseren Mitteln alleine nicht durchsetzbar. Hintergrund war eine umfassende Revolutionierung in allen gesellschaftlichen Bereichen. Die globale Veränderung bezog sich nicht nur auf die Fabriken, sondern betraf auch die Erziehung, Schulen, Unis, Sexualität, usw. Der Mensch stand im Mittelpunkt, der durch den Kapitalismus deformiert und entfremdet war, und wir konnten nur kollektiv im Kampf dagegen den „neuen Menschen“ schaffen, wie es Che mal formuliert hatte.

Hinzu kam, dass der Vietnamkrieg eskalierte, es wurden mehr Bomben dort abgeworfen als in Europa wähend des 2.Weltkrieg.

Die Frage stellte sich für uns: Wie ist dieser Krieg zu stoppen? Mit unseren alten Mitteln alleine war das nicht möglich. Wie können wir ihn im „Herzen der Bestie“ stoppen zusammen mit dem Vietkong?

Mit allen Befreiungsbewegungen weltweit und in den Metropolen war es möglich den US-Imperialismus zurück zu drängen.

Die Angriffe der RAF 1972 auf die US-Einrichtungen zeigten, dass sie nicht nur z.B. in Vietnam und Guinea-Biasso bejubelt wurden, sondern es gab auch hier viel Zustimmung.

Alle diese Faktoren sollten dazu führen, die Inhalte der Kämpfe aus den 60er Jahre zu erhalten und das Ziel der Befreiung zu erkämpfen.

Neben den positiven Bezügen aus dem internationalen Aufbruch, die du gerade erwähnt hast, auf wen hat sich die RAF bezogen, wer war ihr revolutionäres Subjekt hier in den Metropolen – Stichwort Randgruppentheorie?

Diese Randgruppentheorie gab es ja schon in den 60er Jahren. Da haben ja auch einige Leute was zu geschrieben, wie z.B. Jan Carl Raspe . Also circa 72-75 war der Geist der Revolte sehr umfangreich, die sich hier nicht auf die Unistädte erstreckte, sondern auch auf kleinere Orte. Ich will das ein wenig konkretisieren. Klar ging die Revolte von den Hochschulen aus, aber sie zog dann auch in die subkulturellen Milieus an . Es erreichte viele Jugendliche in den Heimen, Lehrlinge, die damals oft ihre Ausbildungen hinwarfen, weil sie gecheckt hatten, dass das nur Anpassung und Zerstörung bedeutete und nichts mit Selbstverwirklichung und Freiheit zu tun hatte. Im Kulturbereich gab es auch viele progessive Strömungen, so war es auch keine Überraschung, dass 2 Filmemacher wie Holger Meins oder auch Werner Sauber sich in der Guerilla organisierten. Also im Grunde genommen war jede und jeder, der kämpfte, revolutionäres Subjekt. So stand es in den ersten Schriften der RAF, die sich damals viel mit den ArbeiterInnenstreiks Ende der 60er in der BRD auseinandergesetzt haben, mit der Intention mit den „Fabrikarbeitern“ zusammen zu kommen.

Ich denke, die Bestimmung, wer revolutionäre Subjekt ist, hat sich im Laufe der Zeit auch geändert: das (kämpfende) Proletariat waren die, die kämpften.

Das resultierte auch aus der praktischen Erfahrung, daß die ArbeiterInnen im klassischen, engeren Sinne, die FacharbeiterInnen in der Fabrik hier wenig kämpferisch waren. In den Auseinandersetzungen hatte es sich gezeigt, dass Jungarbeiter, der Lehrling, Heimzögliche, die waren, die bereit waren, zu kämpfen. Diese waren dann Teil der kämpfenden Klasse, im Gegensatz zu der Bestimmung von den klassisch marxistischen Parteien. Es gab und gibt in Westeuropa auch Guerillagruppen, die marxistisch- leninistich orientiert waren oder noch sind, wie die CCC aus Belgien, Grapo aus Spanien oder (Teile) der Roten Brigaden.

Hier in der BRD war es eine spezifische Erfahrung aus den Kämpfen, das rev. Subjekt war ein anderes als in der der 3. Welt. Dort hatten die Befreiungsbewegungen und die progessiven befreiten Ländern eine ganz andere Verankerung in der Bevölkerung wie im Nahen Osten, Lateinamerika oder in Indochina, auf die wir uns bezogen.. Als 1972 die Aktionen gegen die US-Hauptquatiere in Frankfurt und Heidelberg durchgeführt wurden, wurden in Vietnam z.B. auch Bilder von KämpferInnen der RAF-GenossInnen gezeigt. Auf alle Fälle kann man sagen, dass das rev. Subjekt im Laufe der Auseinandersetzung für uns eine andere Bestimmung hatte, als bei den klassischen MarxistInnen.

Fehlende Verankerung haben wir damit gekontert, dass unsere Massen in den 3 Kontinenten leben und den bewaffneten Kampf der RAF positiv aufnehmen.

Du sagtest, dass die Konzeption der RAF am Anfang so angelegt war, Guerilla und Basisorganisierung zusammen zu bringen. Wieso kam man irgendwann zu dem Punkt, dass das nicht geht?

Das größte Problem war das der Kriminalisierung und Überwachung. Die legalen Gruppen hatten nicht die politische Ernsthaftigkeit und Genauigkeit, um sich als offene Gruppe, z,B. vor Spitzeln zu schützen. Seit die RAF agierte, setzte auch eine stärkere Überwachung auf allen Ebenen ein. Hinzu kam, dass es keine praktische Erfahrung gab, wie die Herrschenden auf die Metropolenguerilla in den hochindustriealisierten Ländern reagieren würden.

Um ein Bild zu verwenden: Hier gab es nicht ausreichend genug Wasser, in dem die Guerilla sicher schwimmen konnte.

Wir können festhalten, dass der Austausch zwischen Illegalen und Legalen auf Grund der Bedingungen nicht offen laufen konnte. So war es klar, dass sich diese Zusammenhänge nicht z.B. in Szenetreffpunkten treffen konnten, sondern verdeckt in bürgerlichen Cafes oder Kneipen. In einem Eiscafe in Rüsselheim wurde die Militante Eva Haule aus der RAF 1986 zusammen mit 2 Menschen aus dem antiimp. Widerstand verhaftet.

Wie ich schon sagte, war die Guerilla hier was total Neues. Der Aufbruch der 68iger sollte gerettet, transformiert werden in eine politisch-militärische Bewegung.

Was nicht eingeschätzt werden konnte, war die zunehmende Verbürgerlichung der Linken. Viele Linke passten sich an. Viele Errungenschaften, die 68 erkämpft wurden, konnten deshalb von der herrschenden Klasse rückgängig gemacht werden. Den Angepaßten waren Jobs und andere Nischen wichtiger als der Internationalismus und Antagonismus. Wobei diese Feststellung erst im Nachhinein so einfach zu treffen ist.

Die RAF bestand 28 Jahre und konnte trotz internationaler Repression nicht zerschlagen werden.

Nach der Offensive 1972 begann eine kontinuierliche politische Auseinanderentwicklung von legaler und illegaler Linken, die im Herbst 77 ihren Höhepunkt erreichte. Was waren die Hintergründe?

Das waren unterschiedliche Momente, die sich aus der Geschichte herleiten. Nach den Verhaftungen 1972 war für die Gefangenen aus der RAF nur Kontakt zu engsten Angehörigen (Eltern und Geschwistern) möglich. Die Haftbedingungen sahen so aus; 23 Stunden isoliert auf der Zelle, Postzensur, Sensorische Deprivation, Toter Trakt, Folter- und Vernichtungshaft,.

Dagegen bildeten sich die „Komitees gegen die Folter an politischen Gefangenen aus der BRD“ bundesweit, die diese drakonische Bedingungen thematisierten, um so das Leben dieser Inhaftierten zu sichern. Einige von ihnen haber sich später den Illegalen angeschlossen.

1973 gab es eine offizielle Umfrage, die besagte, das immer noch 15% der Jugendlichen die RAF unterstützent würden. Diese Solidarität hat leider in den nächsten 4 Jahren kontinuierlich abgenommen.

Warum diese Entsolidarisierung eintrat, war vielschichtig. Einmal wurde deutlich, dass viele aus der 68-Bewegung sich korumpierten durch gut dotierte Jobs, folglich ihren Frieden mit dem Staat geschlossen hatten. Sie wurden selbst immer mehr zum aktiven Vollstecker der stärker werdenen imperialistischen BRD, der sich zur europäischen Führungsmacht mauserte.

Das „Modell Deutschland“ der SPD bedeutet in der Realität Aufrüstung, Berufsverbot, AKW, Isofolter und Killfahndung. Da die SPD diese Politik als Regierungspartei vollstreckte, war sie als reaktionäre Parei entlarvt und somit nicht mehr in der Lage, Widerstand zu integrieren. Deshalb wurden von den Herrschenden die Grünen nach 77 gegründet, um neue Proteste zu kanalisieren. Die TAZ erfüllte eine ähnliche Rolle auf publizistischer Ebene.

Es gab auch Leute aus der militanten und bewaffneten Bewegung, wie Hans Joachim Klein, die mit dem VS kooperierten. Mit Hilfe u.a. von Cohn-Bendit wurde Klein versteckt und unterstützt. Was 1972 noch verrucht war, nämlich Militante aus der RAF zu verraten, so wurde Ulrike Meinhof von einem linken Lehrer den Bullen ausgeliefert, hat sich dann später in der Linken etabliert.

Trotz Kooperation von Teilen der 68-Bewegung mit den Herrschenden, konnte sich weiter und wieder neue und antagonistische Gruppen bilden.

Hinzu kam die Offensiver 1977 der GenossInnen aus der RAF. Den GenossInnen war bewußt, daß sie sich in einer politisch defensiven Position befanden. Das zeigte sich als es 77 massenhaft Verhaftungen gab und es folglich keine starke Bewegung mehr gab, die für die Freiheit der Gefangenen kämpfte.

Es wurden auch einige Fehler in der Offensive 1977 der RAF gemacht; Z.B. eine zu starke Fixierung auf die Freilassung der Gefangenen. Die Widersprüche die es zwischen den Fraktionen des Bürgertums gab, wurden nicht ausgenutzt.

Hinzu kam die Forcierung der Widerstandbekämpfung und der Gleichschaltung der Medien, Kirchen, Intellektuellen, die sich alle devot hinter den Staat stellten. Dies war bis dahin schon in der Geschichte der BRD einzigartig.

Auf diesen Schlag der Herrschenden, war die radikale Linke insgesamt mit der Guerilla nicht angemessen vorbereitet und eingestellt.

In der Offensive zeigten sich also Schwächen der RAF, die im Jahre 1982 im „Frontkonzept“ korrigiert wurden.

Du hast vorhin erzählt, dass die RAF in ihren Anfängen auch einen sozialrevolutionären Anspruch hatte. Von diesem ist 1977 kaum noch etwas in den Schriften zu lesen. Kannst du von deiner Aussenwahrnehmung sagen, wie sich die politisch- inhaltliche Bestimmung der RAF von 72- 77 verändert hat!

Am Anfang wurde sich auch noch ziemlich konkret auf die Lehrlinge, Knast- und Heiminsassen bezogen.

Da gab es z.B. 1973 eine Hausbesetzung in Hamburg, die wurde vom MEK gestürmt. Es wurde zum ersten Mal erwogen gegen sie §129 anzuwenden. GenossInnen bekamen für die Besetzung ein Jahr Knast und mehr. Später haben viele von den HausbesetzerInnen sich in Antifolterkomittees engagiert oder sich der Guerilla angeschlossen.

Ich denke aber, dass die sozialen Kämpfe in der BRD in der Zeit von 72- 77 sehr rückläufig waren. Deswegen war auch klar, dass sich die RAF darauf nicht mehr beziehen konnte.

In der 2. Phase der Geschichte der RAF konzentrierten sich ja deren Aktionen auf die Befreiung der revolutionären Gefangenen. Kannst du diese Fixierung auf die Gefangenen erklären?

Nach der Aktion in Stockholm 1975 musste sich die Guerilla neu konstituieren. Es war ja erstmal eine Niederlage, dass die Gefangenen nicht befreit werden konnten. Ganz praktisch wurden die revolutionären Kräfte darauf konzentriert, die Gefangenen aus den Kerkern zu befreien, da ihnen sonst die Ermordung drohte. Gerade weil dieser Staat buchstäblich über Leichen geht. Was sich ja dann spätestens 77 gezeigt hat.

Die, die nicht in der RAF organsiert waren, hatten die Erfahrung auch teilweise ganz persönlich gemacht, dass die sozialen Bewegungen immer mehr am abkacken waren, dass die radikale Linke dort und insgesamt immer schwächer wurde. Stärker und teilweise auch vom Staat finanziell gestützt wurden hingegen reformistische Projekte, alternative Nischen wie Bauernhöfe/ Kommunen. Kleine „Inseln“ also, wo die Leute der Konfrontation mit dem System aus dem Weg gingen und somit aufhörten zu kämpfen.

Deshalb war das für mich der Schritt der RAF, die Gefangenen zu befreien, kein Widerspruch. Ich fand es auch wichtig, die Kräfte auf die Befreiung zu konzentrieren. Ich finde, das ist aber auch eine Aufgabe jeder revolutionärer Bewegung, woran sie sich auch messen lassen muss.

Für mich war klar, dass Holger ermordet worden ist, ebenso Siegfried Hausner, Ulrike und Katharina Hammerschmidt.

Die Aktionen der RAF, gegen, Buback, Ponto und Schleyer waren durchdacht und folgten einer politischen Bestimmung, die über die Befreiung der Gefangenen hinausging, auch wenn das zu wenig vermittelt wurde.

Aus den Mängeln und Fehlern der Offensive 1977 hat die Guerilla im Maipapier die richtigen Konsequenzen gezogen.

Wie hast du den 18.10 1977, die Ermordung der Gefangenen ganz subjektiv empfunden?

Mensch muss sich die ganze Situation damals vergegenwärtigen. Nach der Liquidierung von Buback haben sich noch GenossInnen draußen vor Freude umarmt, die sich eine Woche später von dieser Aktion der RAF distanzierten. Da griff dann schon die Propaganda der Gegenseite. „Da ist ja nicht nur Buback getötet worden, sondern auch seine „unschuldigen“ Personenschützer. Buback war einer der Hauptverantwortlichen für die Ermordung von Holger, Katharinna, Siegfried und Ulrike, Gefangenen aus der Guerilla. Gleichzeitig sind mehr als 40 Menschen verhaftet worden: Anwälte, DruckerInnen bis hin zu BesucherInnen der Gefangenen.

Für viele war deshalb linksradikales Agieren hier kaum noch möglich, deshalb flüchteten welche ins Ausland, waren eingeschüchert oder gelähmt. Hinzu kam eine totale Denunziation und Gleichschaltung in allen Bereichen. Viele haben sich mit dem Staat solidarisiert, auch die ehemaligen 68er, SchriftstellerInnen wie Böll, die selbst vorher noch staatskritisch waren. Als die RAF die Folterer und Mörder angriff, identifizierten sich diese Teile mit der herrschenden Klasse und nahmen so objektiv wichtige Funktionen für sie wahr.

Ich selber war zu dieser Zeit nicht politisch organisiert. Fühlte mich deswegen auch isoliert und hilflos. Wir, die nicht einknickten, mussten eine ganze Zeit lang suchen, bis wir wieder Zusammenhänge fanden. Dass das Mord war, war für mich völlig klar.

Nach jeder Tagesschau gab es Fahndungsbilder der Gesuchten und tägliche Fahndungsaufrufe in anderen Medien.

Dieser geballten Omnipotenz des Staates auf allen Ebenen verursachte bei Einigen Rückzug, zogen sich zurück aufs Land oder gingen zu den Grünen.

Ich selber fand nach über einem Jahr aber neue Zusammenhänge.

Mit dem Maipapier 1982 läutet die RAF eine neue Phase des Kampfes ein. Was hatte sich zwischen 1977 und 1982 verändert? Was war die neue politisch- inhaltliche Bestimmung der Guerilla? Und was hatte diese auf dich ganz konkret für einen Einfluss?

Oh, sehr komplexe Fragen. Die BRD hatte wirtschafts- und aussenpolitisch weiter an Bedeutung gewonnen. Die Ost- West- Konfrontation wurde forciert von der NAT0. Stichpunkt Mittelstreckenraketen. Die SU sollte totgerüstet werden, was ja im Endeffekt auch gelang.

Die radikale/ revolutionäre Linke musste sich nach 77 erst wieder neu konstituieren. Zum einen entwickelte sich eine anti-militaristische Bewegung. Die Bundeswehr sollte mehr verankert werden in der Bevölkerung. Dagegen gab es Proteste, wie z.B. bei dem Gelöbnis im Mai 1980 in Bremen. Dieser Widerstand war ganz wichtig für die Entwicklung einer neue Front gegen Bundeswehr, NATO und Staat.

Für mich persönlich war die Besetzung von DPA im November 1978 sehr bedeutsam. Diese Aktion wurde unternommen, um auf die Lage von 2 Gefangenen aus der Guerilla aufmerksam zu machen, um sie so vor der Ermordung zu retten. Diese Besetzung zeigte, das die Mediensperre bezüglich der Vernichtungshaft gegen die Gefangenen aus der RAF nach dem 18.10.77. endlich durchbochen werden konnte.

Die DPA-BesetzerInnen verschwanden ein halbes Jahr Im Knast. Aber sie zeigten mit ihrer Aktion, dass der Widerstand was bewegen kann und das eine gemeinsame Front mit den Gefangenen und der Guerilla möglich war.

Weiterhin gab es subkulturelle Bewegungen, z.B. die Punks . Diese haben z.T. Erfahrungen mit dem Herbst 77 künstlerisch verarbeitet, nicht als eine Identifizierung mit der RAF, aber doch staatskritisch. Ihre Kultur war ganz wichtig, weil Teile von ihnen mit uns später zusammen kamen. Auch sie wurden diskriminiert und verfolgt wie 1968 die „Langhaarigen“.

Zu dieser Zeit wurden auch viele Stadtteile saniert, was heute als Gentrification bezeichnet wird. Als Reaktion darauf entstand eine starke HausbesetzerInnenbewegung.

Die USA als führende imperialistische Macht stellte sich nach ihrer Niederlage in Vietnam neu auf. Es gab deshalb z.B. in West- Berlin und anderen Städten immer wieder öffentliche Aktionen der Herrschenden, die die Verbundenheit mit der USA manifestieren sollten. Die Proteste dagegen stellten einen Zusammenhang zwischen der neuen Nato- Strategie, dem Krieg nach innen und der RAF her.

Weiterhin gab es eine Bündelung der militanten, bzw. bewaffneten Kräfte, große Teile der Bewegung 2. Juni wechselten zur RAF. Parallel entwickelten sich starke autonome und anti-imperialistische

Stukturen. Die Situation der Gefangenen änderten sich jetzt dadurch, dass immer mehr Menschen bereit waren sich für sie einzusetzen und so sich auch gegen den Staat stellten.

Was war das Neue in der Politik der Guerilla. Wie war die Wirkung des Mai- Papier auf die Radikale Linke im Allgemeinen und auf Dich ganz konkret?

Es war die erste progammatische Schrift seit dem „Konzept Stadtguerilla“ nach 10 Jahren.

Das Papier wurde breit und öffentlich in linken Medien diskutiert. Kritik war z.B., es sei zu abstrakt. Es gab deshalb sogar „Übersetzungen“, um es “verständlicher“ zu machen.

Gewisse Abstraktion war aber auch notwendig, da es ja ein öffentliches Papier war und der Klassenfeind es gründlich analysierte.

Auseinandersetzungen gab es allerdings nicht nur in linksradikalen Kreisen, sondern auch mit Menschen, die mit uns verbunden waren und eher aus dem Menschenrechtsspektrum kamen.

Die politische Relvanz des Papiers war den Pigs natürlich ein Dorn im Auge. Es wurde versucht im Knast durch Besuchsverbote und Kriminalisierungen dieser Schrift eine Diskussion zu unterbinden.

Für uns war es deshalb wiederum ganz wichtig, diese Manifestation möglichst breit zu verteilen. Das wiederum war nicht ganz einfach, weil das Papier ja illegalisiert wurde. Das konnte also nicht so laufen, dass mensch stapelweise das zu Hause hatte und dann loszieht. Es mußten dafür sichere Orte organisiert werden.

Das Frontpapier ist aus vielen Diskussionen und Aktionen entstanden, Ansätze davon gab es auch schon im Hungerstreik 81: So fanden z.B. vielfältige Aktivitäten von militanten Aktionen, Demos bis zu Veranstaltungen statt. Die Konterrevolution reagierte darauf 1981 mit „vorbeugenden“ Verhaftungen gegen 3 Menschen aus unseren Zusammenhängen: Karl Grosser, Jürgen Schneider und Helga Roos.

Ich denke, das Papier der RAF ist auch schon vor Erscheinen auch mit GenossInnen aus der Legalität diskutiert bzw. aus Auseinandersetzungen mit ihnen entstanden. Fakt ist weiterhin, dass sich bis 89 viele Gruppe auf das Frontkonzept im In- und Ausland bezogen haben.

Wichtige Eckpunkte waren ja die Erfahrungen aus den Kämpfen der 77-Offensive, die besagten, dass ein Durchbruch, für die Befreiung der Gefangenen oder gegen die Nato- Kriegspolitik, eine Bündelung von revolutionären Kräften auf verschiedenen Ebenen erforderte. Eine weitere wichtige Passage war, die später oft unterging, nicht nur auf militante Aktivitäten zu setzen, sondern auch auf „legale“ politische Initiativen. Das Konzept war eben nicht nur auf den bewaffneten Kampf beschränkt.

Ein weiterer wichtiger Faktor war die internationale Ebene, der westeuropäische Kampfabschnitt, wo auch ein Zusammenschluss von revolutionären Kräften anstand. Das manifestierte sich später durch gemeinsame Aktionen und Erklärungen der RAF mit Acion Direct und den Roten Brigaden. Das war ein wichtiger Aspekt des Proletarischen Internationalismus.

Hat das Mai-Papier dir persönlich Orienierung gegeben und was bedeutet Front für dich ganz konkret?

In den Zusammenhängen in denen ich damals war, war im Grunde genommen der politische Zusammenhang mit den Gefangenen und Guerilla vorhanden. Im Abstand von über 30 Jahren würde ich sagen, das Mai-Papier hat bestimmte Erfahrungen, die schon vorhanden waren, zusammengefasst und somit das Bedürfnis vieler ausgedrückt, „Zusammen zu kämpfen“ .

Für mich hat sich in dieser Zeit diese Praxis nochmal verstärkt. Es wirkte also motivierend den politischen Zusammenhang mit den Gefangenen und der Guerilla verstärkt zu suchen.

Allerdings wurde die Repressionsschraube dann noch mehr angezogen.

Die Front war ja ein politisch-militärischer Prozess. Das heißt, es gab natürlich viele Aktionen aus der Legalität. Ebenso gab es viele öffentliche Anlaufstellen wie Info-Läden, besetzte Häuser usw.

Das war auch der Ansatzpunkt für die Bullen, da zu intervenieren. So haben sie kontrolliert, wer sich da engagiert, wer den Gefangenen schreibt, wer organisiert Veranstaltungen und und und. Da setzte von der

Gegenseite die Kriminalisierung ein, in dem sie behauptet haben, wer so was macht, der macht auch militante Aktionen und hat Kontakt zu Guerilla, und stärkt somit diesen Zusammenhang .

Es gab die Front, die auf verschiedenen Ebenen tätig war, legal und illegal, auch mit Anlaufstellen für Leute, die anfingen zu kämpfen und Orientierung suchten. Das war ganz wichtig und ist heute noch wichtig.

Repressionsmäßig gab es Durchsuchungen, hohe Haftstrafen für Demodelikte, Kontakte zu Gefangenen und der Guerilla bis zu 10 Jahren. Das für alle GenossInnen, die sich politisch wie auch praktisch in den Zusammenhang der Front stellten.

Die Front hatte dennoch, oder gerade wegen der Repression eine große Anziehungskraft, für viele, die kämpften. Teil der Front waren nicht nur anti-imperialistische, sondern auch sozialrevolutionäre oder autonome Zusammenhänge wie z.B. auch Teile der RZ. Auch diese GenossInnen stellten sich mit eigenen Initiativen, bis hin zu militanten Aktionen in diesen Zusammenhang.

Zusammenfassend kann man sagen, das Frontkonzept hat versucht die verschiedenen Ebenen der rev. Bewegung, das heißt das Gefangenenkollektiv, die Guerilla und die legale Bewegung zusammen zu bringen und eine Interaktion der verschiedenen Ebenen herzustellen. Darüberhinaus entwickelte sich ein Näherkommen der verschiedenen Guerillakräfte auf westeuropäischer Ebene. Kannst du etwas zur Entwicklung der Front bis 1989 erzählen?

Erstmal vorweg, die Front ist nicht vom Himmel gefallen. Erste Änsätze davon gab es schon 78/ 79. Man muss ja ganz real sehen, dass die Guerilla nach 1977 2 Jahre gebraucht hat, um überhaupt wieder aktionsfähig zu werden. Es gab zu der Zeit viele Festnahmen, zirka 10 Mitglieder trennten sich von der RAF und bekamen in der DDR eine neue sichere Perspektive. Durch Todesschüsse, also Killfahndung wurden 3 GenossInnen getötet und auch die Situation der Gefangenen spitzte sich weiter zu. Teilweise waren über 40 Leute aus unbewaffneten Zusammenhängen im Knast. Kaum noch AnwältInnen waren bereit, die GenossInnen aus der Guerilla zu verteidigen.

Es kam dann 1978 die Besetzung der DPA durch GenossInnen aus der „Legalität“. Ein Jahr später 1979 griff die RAF in Belgien den Oberbefehlshaber der Nato Haig an.

In dieser Zeit wurde auch die Nato- Kriegspolitik intensiviert, Stichwort „Nachrüstung“, die real eine Aufrüstung war. Auch die Militärinterventionen der Nato weltweit häuften sich. Dagegen regte sich Widerstand auf verschiedenen Ebenen. Ich denke für einige dieser Initiativen war das Maipapier der RAF ein wichtiger Katalysator, Kräfte zu bündeln und zusammen zu kommen. Das waren keine Einzelerscheinungen, denn in weiten Teilen der linksradikalen Bewegungen gab es Bezüge zur RAF, zu den Kämpfen der Gefangenen und auch zur Front.

Der Hungerstreik der Gefangenen 84/ 85 war politisch stark im Rahmen des Frontkonzeptes eingebunden. Es kam zu ersten gemeinsamen bewaffneten Aktionen der RAF und Action Dircete sowie einem Strategiepapier. Hinzu kamen Solidaritätsaktionen anderer Guerillakräfte, die jetzt nicht Teil der Front waren, sowie auch eine Vielzahl militanter Aktionen aus ganz unterschiedlichen Spektren. Der Bezugspunkt waren nicht nur auf den Gefangenen in der BRD, sondern alle revolutionärer Gefangenen weltweit, mit dem Ziel auch ihre Situation zu verbessern. Wirkliche Änderungen konnten leider nicht erkämpft werden, da die Konterrevolution zu stark wurde. Im Zusammenkommen der ganzen Initiativen lag letztlich die Stärke dieses Hungerstreiks.

Im Jahr 1986 kam es dann zu einen internationalen Kongress in Frankfurt am Main: „Antiimperialistischer und Antikapitalistischer Widerstand in Westeuropa“. Dort trafen sich viele unterschiedliche Gruppen aus dem In- und Ausland, welche gemeinsam in der Front zusammen kommen und diese weiterentwickeln wollten.

Der Kongress war für uns eine Möglichkeit einer öffentlichen internationalen Diskussion, wie „Zusammen kämpfen“ intensivisiert werden könnte. Wir mussten das allerdings gegen Polizei und Geheimdienste durchsetzen, die das durch ein Verbot diese Veranstaltung verhindert wollten.

Die Front endete mit dem Zusammenbruch des Ostblocks Ende der 80iger und der damit verbundenen Krise der Befreiungsbewegungen weltweit. Übrig beblieben ist nur eine Supermacht- die USA.

Der organisatorische und politische Ansatz, hier in Westeuropa anzugreifen, hier die imperialistischen Projekte zu knacken, somit für den Kommunismus zu kämpfen, dieses Konzept und diese politischen Initiativen wurden im Grunde genommen mehr oder minder eingestelt.

Kannst du noch kurz etwas zum Kongress 1986 sagen. Was dafür die Intention war, was wolltet ihr erreichen?

Der Ansatz war, Menschen aus verschiedenen Ländern ( Euskadi, Spanien, Palästina, Italien, Portugal, Latainamerika …) zusammen zu bringen und über das Frontkonzept zu reden. Das Spektrum war dabei sehr weit. Es waren ehemalige Gefangene, Menschen aus dem Widerstand, Angehörige und Solidaritätsgruppen zu den Gefangenen, Anwälte und so weiter da. Es ging um einen Austausch über die verschiedenen Bedingungen der Kämpfe, vor allen der Gefangenen. Es war der Versuch international und öffentlich das Mai- Konzept politisch zu diskutieren. Das war natürlich schwierig. Den Kongress durchzuführen war ein Kampf, eine Auseinandersetzung gegen die geballte Staatsmacht. Wir mussten ihn durchsetzen, mussten Barrikaden bauen, mussten ihn schützen. Auch wenn viele GenossInnen wenig Schlaf hatten und die Atmosphäre für intensive Diskussionen so nicht die beste war, war der Ansatz richtig und wichtig.

Die Offensive 1984/85 gilt als die stärkste Phase der „Front“. Kannst du ein bißchen etwas zu Stärken und Schwächen dieser Phase und der Front sagen.

Die Stärke bestand ja nicht darin, dass da viel „geballert“ worden wäre. Die Stärke bestand in der Fülle und Vielfalt der Initiativen aus ganz unterschiedlichen Spektren. Es gab Kongresse, Demonstrationen, Veranstaltung, Grußaktionen für die Gefangenen und so weiter wo sich viele Menschen einreihen konnten, aber eben auch militante Aktionen.

Von allen Beteiligten, Guerilla, Gefangenen, militante Gruppen, die aus der Legalität illegale Aktionen gemacht haben aber nicht in der Guerilla waren, sowie die Menschen, die aus der Legalität ganz unterschiedliche Initiativen entwickelten. Das alles auf einem hohen politischen Niveau mit Sicherheitsstandards, weil uns die Schärfe des Angriffes bewußt war, aber auch die Reaktion der Gegenseite kannten.

Spätestens mit der Aktion der RAF im Sommer 1985 gegen die Airbase in Frankfurt, bei der der US-Soldat Primental getötet wurde, um mit seiner ID- Karte in die Airbase reinzukommen, kam es zu massiver Kritik an der RAF von vielen radikalen Linken. Am Anfang dachten viele, dass das eine Bullenaktion- also vom Geheimdienst war. Dann hat die Guerilla eine Erklärung erst 2- 3 Wochen später nachgeschoben, weil sie mitbekommen hatten, dass es da starke Irritationen gab und es viele Fragen zu dieser Aktion gab. Es war eine komplizierte Diskussion. Es meldete sich die, die die RAF schon immer Scheiße fanden und ernsthafte GenossInnen, die fragten, ob die Erschiessung des GI angemessen war.

Die Front stand ja nicht nur für Actions, sondern vielmehr auch für politische Initiativen. Das ist ganz wichtig. Eine Revolution ist nur möglich durch die Einheit politischer und militärischer Initiativen.

Sicherlich war die objektive Situation sehr zugespitzt, bei den Gefangenen, dann der Rollback geführt durch die USA, also Mittelstreckenraketen, Todrüsten des Ostblock und so weiter. Das ist die eine Seite, also ein enormer Druck. Andererseits wie kannst du darauf politisch reagieren. Die Antwort darauf war meiner Meinung nach im nachhinein zu militäristisch. Nach Primental gab es zwar noch politische Initiativen und Kämpfe, aber wir als antiimperialitische Bewegung konzentrierten uns immer mehr auf militante Aktionen und vernachlässigten zunehmend den politischen Rahmen bzw. vernachlässigten das „legale“ Terrain. Also wenn du Menschen für den Prozess und die Bewegung gewinnen willst, brauchst du natürlich Strukturen, die ansprechbar sind, du brauchst Anlaufpunkte und so weiter. Leuten die anfangen, kannst du ja nicht gleich einen Mollie in die Hand drücken, sondern da geht es erst ein mal um ganz grundsätzliche Fragen. Das können natürlich nur GenossInnen reflektieren, die selber in diesen Prozessen drin stehen. Das war ein ganz entscheidener Punkt. Es stand zwar im Konzept drinne, wurde aber von allen vernachlässigt.

In der Zeit nach dem Kongress haben sowohl die militärischen Aktionen der Guerilla als auch die politischen Initiativen stark abgenommen. Woran lag das?

Das hatte vielerlei Gründe. Man müsste das chronologisch aufdröseln. 84/85 gab es ja den Hungerstreik. Der war politisch so bestimmt, dass er sich in die Perspektive des Frontprozesses gestellt hat. Es gab da sehr viele militante Aktionen, es gab die gemeinsame Erklärung von RAF und AD zur Front in Westeuropa usw. Das war das eine. Der Hungerstreik konnte sein Ziel leider nicht erreichen, also die Forderung nach Zusammenlegung konnte nicht durchgesetzt werden. Der Druck trotz der vielfältigsten Initiativen hat nicht gereicht.

Der Kongress 1986 war dann die letzte große öffentliche Initiative im Rahmen der Front. In der Zwischenzeit war ja auch die Aktion gegen den einfachen GI Primental, wo es meiner Meinung nach zum ersten Mal Risse in der Front gab. Viele fanden die Aktion zu militaristisch. Daran gab es entweder massive Kritik, oder völlig unkritisch Zustimmung in der Bewegung.

Es gab 1986 neben zwei Aktionen der RAF noch sehr viele militante Aktionen der „kämpfenden Einheiten“. Der Punkt ist aber gewesen, dass diese Aktionen kaum noch politischen Widerhall fanden in der Linken. Es wurde zu sehr auf die militärische Karte gesetzt und die politische Verankerung vernachlässigt. Der im Mai- Papier gegebene Zusammenhalt von politischen und militärischen Initiativen drückt sich immer weniger praktisch und im Alltagsleben aus.

Hinzu kam die Maßnahmen der Gegenseite, um die Entwicklung der Front zu unterbinden. Praktisch lief das so, dass in der Zeit bestimmt 10 – 20 Menschen aus unseren (legalen) Zusammenhängen eingeknastet wurden. Der Staat wollte Diskussion und Interaktion von RAF und linker Widerstandsbewegung mit allen Mitteln unterbinden. Darum auch die Staatsschutzerfindung „Gesamt- RAF“, worunter alle Aktiviäten auf RAF reduziert und kriminalisiert wurden, ähnlich wie heute in Kurdistan gemacht wird.

Zu dieser Zeit ebbten die Aktivitäten der antiimperialistischen Bewegung ab. Das eigentliche Problem bestand aber darin, das es anschließend keine kollektive politische Diskussion gab, wie mit der Front weiter, was waren Stärken und Schwächen der vorangegangenen Kampfphase? Entsprechend konnte es auch keine Weiterentwicklung geben. Darum haben sich sowohl wir als auch die Guerillia gedrückt. Ein Ende der antiimperialitischen Front ist nie verkündet wurden.

Die nächste programmatische Schrift der RAF erfolgte dann ja erst 1992. Kannst du was zu der neuen Ausrichtung der Guerilla sagen. Was hat sich zum Frontprozess geändert und wie kam es zur Neuausrichtung?

Progammatische Schrift ist ein bißchen zu hoch gegriffen.

Das Neue war im Grunde genommen, dass die Illegalen aus der RAF die bewaffneten bzw. tödlichen Aktionen einstellten. Man müsste aber zeitlich weiter zurück gehen. Nach der Zeit 1986/87 gab es dann noch 1988 eine Aktion der Guerilla gegen Tietmeyer anlässlich des IWF- Gipfels in Berlin. Damals gab es noch eine starke linksradikale Mobilisierung. Die Gegenseite ließ sogar verlautbaren, dass so ein Gipfel in Berlin nicht noch einmal durchführbar ist. Da gab es also noch eine gewisse Stärke der antiimperialistischen und autonomen Bewegung. Das fiel dann auch in die Zeit der Umbrüche- Zusammenbruch des Ostblock, Krise der Befreiungsbewegungen usw. Hier war es so, dass sich im Hungerstreik 1989 schon Veränderungen im Denken der Gefangenen aber auch der Bewegung niederschlugen. Der HS 1989 zielte überwiegend auf die Mobilisierung der sogenannten Zivilgesellschaft, im Gegensatz zu 1984.

Auf jeden Fall gab es dann 1992 diese Erklärung der Guerilla, in welcher die Gefangenenfrage ziemlich im Mittelpunkt stand und die Eskalation von Seiten der RAF zurückgenommen wurde. Es wurde angenommen, es gäbe eine „vernünftige“ Fraktion innerhalb des Staatsapparates, was natürlich eine Illusion war, wenn man bedenkt wie die DDR überrollt wurde, sich die Situation in der 3.Welt verschärft hat usw. Die Erklärung war also von Anfang an brüchig und politisch schwach.

Sicher war es richtig, erst einmal inne zu halten und zu gucken wie geht es weiter. Ich dachte anfangs auch, dies ist der richtige Schritt, Reflexion, Diskussion, Neubestimmung. Doch dazu kam es ja gar nicht mehr. Irgendwann ging es nur noch um Abwicklung des Projektes. Das Frontkonzept, was die Guerilla lange vertreten und praktiziert hat, wurde auf einmal ziemlich in den Dreck gezogen und die Verantwortung diese Kampfphase zu reflektieren von sich gewiesen. Die Illegalen der RAF äußerten sich dahin gehend, dass sie das Frontkonzept nur von ihren „VorgängerInnen“ übernommen hatten. Was natürlich eine Verdrängung der Realität war, denn das Mai- Papier war auch ein Ergebnis von Diskussionen, die die RAF auch mit der Bewegung geführt hatte.

Die direkten Folgen daraus waren, dass sich die Gefangenen spalteten, die antimperialistische Bewegung massiv zerfiel, weil sich immer mehr Menschen aus ihr zurückzogen und 6 Jahre später erfolgte die endgültige Auflösung der RAF. Man muss dabei bedenken, dass viele Menschen aus der antiimperialistischen Bewegung große Hoffnungen auf den Frontprozess setzten und da auch viel Kraft und ein Teil ihres Lebens reingesteckt haben. Im Nachhinein muss man sagen, die sogenannte Zäsur führte nicht zu einer neuen Bestimmung eines neuen Kampfabschnittes, sondern direkt in die Niederlage. Eine lange Zeit wurde die Front total hochgehalten, danach niedergemacht. Diese Extreme machen eine politische Weiterentwicklung unmöglich.

Eigentlich war zu dieser Zeit schon absehbar, dass sich die Bedingungen eher verschärfen, also der Zusammenbruch der Staaten des Warschauer Paktes und Krise der Befreiungsbewegungen einerseits, andererseits Massenarbeitslosigkeit, Aufschwung rassistischer und faschistischer Denkweisen und Strukturen hier, Explosion der Armut in der 3.Welt, imperialistische Kriege. Dies alles hätte revolutionäre Antworten nötig gemacht. Dem konnten weder die RAF noch die revolutionäre Bewegung gerecht werden. Diese Nichtaufarbeitung verfolgt uns heute noch in unseren politischen Prozessen.

In diese Zeit, als die RAF die Zäsur verkündete, fällt auch die sogenannte Kinkelinitiative, welche in gewisser Weise mit der Hinrichtung des Genossen Wolfgang Grams endete. Worum ging bei dieser Initiative?

Der damalige Justizminster der FDP verkündete, einen gemeinsames Konzept von Geheimdiensten und BKA, dass es für die Gefangenen aus der Guerilla eine Lösung geben müsse, natürlich verbunden mit der Einstellung des bewaffneten Kampfes. Erwähnt werden muss, dass die kontroversen Auseinandersetzungen unter den Gefangenen den Bullen natürlich bekannt waren. Auch wollte man den mobilisierenden Effekt, den die Gefangenenfrage für uns immer hatte, eindämmen. Im großen und ganzen wurde von Seiten der Herrschenden Zugeständnisse bezüglich der Gefangenen suggeriert.

Während Kinkel von Gefangenenfrage spricht, die Illegalen der RAF meinten es gäbe eine „vernünftige“ Fraktion im Machtapparat, bereitet der Staat die militärische Lösung vor, die Zerschlagung der Stadtguerilla. Standen Kinkelinitiative und Bad Kleinen im direkten Zusammenhang?

Ja. sie haben beides versucht. Zum einen auf der politischen Ebene die Front, die sich um die Gefangenen entwickelt hatte auseinander zu brechen. Zum anderen wurde versucht die RAF miltärisch zu zerschlagen. Was ihnen gelang, war den Spitzel Klaus Steinmetz an die RAF ran zu führen, was zur Hinrichtung von Wolfgang Grams und zur Verhaftung von Birgit Hogefeld führte. Mit Bad Kleinen endete dann auch die Kinkelinitiative. Erwähnt werden sollte auch das Kinkel ein Mann ist, der auch mal den Bundesnachrichtendienst leitete, sein „Handwerk“ also versteht.

Faktisch war es so, dass es die antiimperialistische Front schon lange nicht mehr gab und die Bewegung am Zerbröseln war. Da die Linke schwach und das Gefangenkollektiv zerstritten war, konnte es deshalb auch keine Freilassung für alle Gefangenen aus der RAF mehr geben, sondern nur noch individuelle „Einzelfallprüfungen“.

Die letzte Aktion der RAF war die Sprengung des Knastneubaues Weiterstadt. Im Jahr 1998 erfolgte die endgültige (Selbst-) Auflösung der RAF. Wie hast du das Auflösungsschreiben gelesen? Wie ist es politisch zu werten?

Es gab in einigen Zusammenhängen Kritik. Ich selbst fand das Papier nicht konstruktiv für uns als radikale Linke. Grundsätzliche Kritik kam vor allem aus dem Ausland.

Genauer:

1998 hatten sich meine alten Zusammenhänge alle aufgelöst, so dass Diskussionen nur noch mit wenigen und vereinzelt liefen.

Es gab aus dem Knast an einzelnen Passagen Widerspruch, wie z.B. an der angeblichen Vernachlässigung der sozialen Kämpfe. Das lief bei den Illegalen von 98 dann so ab, dass sie fälschlicherweise behaupteten, dass das Frontpapier konträr zum „Sozialen“ stünde.

Ich will dazu nur noch einmal betonen: In den siebziger und achtziger Jahren war mit dem Fabrikproletariat, genauer der/die deutsche FacharbeiterInnen nicht viel möglich in der alten BRD.

Das hatte viele Ursachen: Die Niederlage 1933, die besondere Bedeutung der BRD in der Ost-West-Konfrontration und vor allem der priviligierte Status der BRD als Vorzeigestaat, die beherrschende Rolle der SPD in den Arbeitskämpfen (Sozialpartnerschaft), die hohe Bezahlung der Lohnabhängigen im Gegensatz zu denen aus dem Trikont, usw.

Kurzum hätte es relevante Kämpfe in den Fabriken gegeben, wie z.B. in Italien, hätte die RAF logischerweise eine andere Stoßrichtung gehabt.

Zu den sozialen Bewegungen gab es immer Bezüge, wie die HausbesetzerInnenbewegung, weil sie ebenfalls gegen das Systen kämpften und ähnliche Vorstellungen hatten. Wir kamen von und waren Teil dieser Zusammenhänge. Einige von ihnen kamen auch zu uns.

Auch war klar, das eine Umwälzung nicht nur durch eine bewaffnete Gruppe laufen kann. Revolution basiert immer auf politisch-militärischen Kämpfen.

Die Guerilla hatte dies dem Frontprozess unterstellt.

Natürlich hat sich nach der Annexion der DDR, dem Zusammenbruch der „sozialistischen Staaten“, der Krise der revolutonären Linken weltweit vieles geändert. Fragen daraus resultieren u.a:

Wie sind die Kämpfen in Großdeutschland zu führen?

Was bedeutet die Verarmung von großen Teilen der Bevölkerung durch die Agenda 2010?

Wie gehen wir gegen den Rassismus und Militarismus vor?

Was bedeutet Kampf gegen die europäische Großmacht BRD?

Auf wen beziehen wir uns international?

Dazu ist in dem Papier nichts, stattdessen haben sie kampflos ihre Löffel abgegeben. Im Kampf nicht besiegt; aber freiwillig aufgehören zu kämpfen.

Diese Aufgabe wurde auch noch als Stärke und damit als Sieg verkauft! Nicht nur von den Illegalen, sondern auch von den ehemaligen Militanten.

Das hatte und hat negative Auswirkungen auf uns: Ihre Geschichte und ihre Erfahrungen werden kaum oder überhaupt nicht vermittelt und die Folge sind weitere Desorientierung und Resignation.

Zu Gute halten muss ich der RAF, dass sie sich überhaupt öffentlich verabschiedet hat. Andere Gruppen, ob legale oder illegale, haben zu ihrem Aufhören nichts gesagt.

Im Ausland gab es eine gundsätzliche Kritik an der Kapitulation der RAF.

Die italienischen Roten Brigaden hatten in den achtziger Jahren einen „strategischen Rückzug“ angetreten und danach sich neu aufgestellt.

Gerade auf dem Boden der ersten europäischen Großmacht ist eine starke radikale Linke existenziell. Auch und gerade mit bewaffneten Formationen!

Welche Bedeutung hat die RAF aus deiner Sicht für die heute revolutionäre Linke und für unseren zukünftigen Kämpfe?

unversöhnlicher Bruch mit dem Herrschenden System, denn es gibt kein Leben im Falschen!

Kollektivität und subjektiver Bruch können Berge versetzen

das System ist nicht allmächtig, sondern angreifbar! Angriffe auf unterschiedlichen Niveau sind jeder Zeit von vielen möglich. Allmächtig sind sie nur in ihrer Propaganda!

die Revolution wird politisch- militärisch sein

Revolutionäre Gewalt lässt sich nicht improvisieren, sondern muss praktisch erlernt werden

Die Bedeutung der RAF ergibt sich aus dem bisher gesagten!

Noch was zu der Bekämpfung der RAF: Die Gesetze und die drakonischen

Mittel wie die Folter werden weiter angewandt gegen kämpfende Gefangene. Besonders verstärkt gegen migrantische Gefangene aus der Türkei und Kurdistan.

Die Folter ist auch erforscht und exportiert worden wie nach Europa, Lateinamerika oder Türkei.

Hier im Herzen der Bestie ist sie nicht verhindert und damit abgeschafft worden!

Weiterhin hat die Widerstandsbekämpfung die Funktion hier, alles was sich neu an antagonistischer Linke formiert, präventiv nieder zu walzen.

Die Herrschenden haben Angst vor einer neuen Rebellion wie 1967/68 und einer „neuen RAF“.

Es wird aber keine Kopie von damals sein. Wir müssen neue Prozesse entwickeln!

https://www.demvolkedienen.org/index.php/de/t-brd/4322-interview-ueber-die-rote-armee-fraktion