129ab

Kurden vor Gericht

Obwohl sie keine Gewalttaten begangen haben, werden kurdische Aktivisten wegen Terrorismus angeklagt. 129b-Verfahren in Berlin, Hamburg und Stuttgart

 

Heute beginnt vor dem Kammergericht Berlin ein Terrorismusverfahren gegen den kurdischen Aktivisten Vezir T. Dem 42jährigen wird die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129b Strafgesetzbuch vorgeworfen. Konkret soll er in den Jahren 2008 und 2009 als hauptamtlicher Kader der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) tätig gewesen sein. Gewalttaten werden ihm nicht vorgeworfen, er soll lediglich organisatorische Arbeiten und Spendensammlungen in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt sowie in Teilen von Thüringen und Brandenburg durchgeführt und den Erlös aus Literaturverkäufen kontrolliert haben.

Doch nach der Logik der Bundesanwaltschaft muß sich Vezir T. für Guerillaaktionen der PKK im Nahen Osten verantworten, an denen er nie teilgenommen hat. Die PKK verfüge über »militärisch strukturierte Guerillaeinheiten«, die »Attentate auf türkische Polizisten und Soldaten« verübe, heißt es in der Anklageschrift. In Deutschland sei es die Aufgabe der PKK-Kader, »Finanzmittel für die Organisation zu beschaffen und Nachwuchs für den Guerillakampf zu rekrutieren«. Da keine Fluchtgefahr besteht, befindet sich Vezir T., der aufgrund von PKK-Aktivitäten bereits im Jahr 2000 zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden war, zur Zeit in Freiheit.

Bislang wurde noch kein PKK-Aktivist nach dem Paragraphen 129 b Strafgesetzbuch verurteilt. Am 13. Februar wird allerdings ein Urteil im von der Bundesanwaltschaft als »Pilotverfahren« bezeichneten 129-b-Prozeß gegen Ali Ihsan Kitay vor dem Oberlandesgericht Hamburg erwartet. Als PKK-Gebietsverantwortlicher für Norddeutschland habe Kitay Demonstrationen organisiert, Spenden gesammelt, Treffen einberufen, einen Grillwagen von Kiel nach Hamburg beordert und an der Organisation des Newrozfestes mitgewirkt, führten die Vertreterinnen der Bundesanwaltschaft vergangene Woche in ihrem Schlußplädoyer aus und forderten dreieinhalb Jahre Haft. Strafmildernd wirke sich die während einer 20jährigen Haft in der Türkei erlittene Folter sowie die Unterdrückung der kurdischen Kultur in der Türkei aus. Anträge der Verteidigung auf die Hinzuziehung von Gutachtern, die die völkerrechtliche Legitimität des kurdische Freiheitskampf aufgrund jahrzehntelanger kolonialistischer Unterdrückung der Kurden prüfen sollen, waren vom Gericht zurückgewiesen worden. Obwohl die PKK das Ziel eines kurdischen Staates seit 20 Jahren zugunsten von Autonomielösungen innerhalb der bestehenden Staatsgrenzen aufgeben hat, behauptet die Bundesanwaltschaft weiterhin, die PKK strebe einen »staatenähnlichen Verbund der kurdischen Siedlungsgebiete« an.

Ein weiteres 129-b-Verfahren gegen die Kurden Ridvan Ö. und Mehmet A., denen die Rekrutierung von Kämpfern für die Guerilla vorgeworfen wird, läuft derzeit vor dem Oberlandesgericht Stuttgart.

Ebenfalls auf der Grundlage von Paragraph 129 b wird zurzeit vor dem Berliner Kammergericht gegen die türkische Kommunistin Gülaferit Ünsal verhandelt, der Rädelsführerschaft in der Revolutionären Volksbefreiungspartei/Front (DHKP/C) vorgeworfen wird. Nach dem Selbstmordanschlag eines aus Deutschland eingereisten DHKP/C-Aktivisten auf die US-Botschaft in Ankara am vergangenen Freitag drängt der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan auf eine schärfere Verfolgung von linken kurdischen und türkischen Aktivisten in Deutschland. Die »Kooperation gegen den Terrorismus« soll Ende der Woche Hauptthema beim Besuch von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bei seinem türkischen Amtskollegen Muammar Güler in Ankara sein. Diesen Monat wird zudem Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Staatsbesuch in der Türkei erwartet.

heute: Prozeßbeginn gegen Vezir T., 9 Uhr, Kammergericht Berlin, Eßholzstr. 30–33.
9. Februar: Demonstration »Freiheit für Ali Ihsan Kitay«, 15 Uhr, Sternschanze, Hamburg