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Polizeigewalt und Festnahmen bei Aktion für Mustafa Koçak

Seit Juli beklagt der politische Gefangene Mustafa Koçak mit einem Hungerstreik den unfairen Prozess gegen ihn. Angehörige, die in Istanbul mit einer Kundgebung auf seine Situation aufmerksam machen wollten, wurden nun festgenommen.

Seit dem 3. Juli bereits beklagt der politische Gefangene Mustafa Koçak mit einem Hungerstreik den unfairen Prozess gegen ihn. Seit mehr als zwei Jahren sitzt der 28-Jährige bereits im Hochsicherheitsgefängnis Şakran in der Provinz Izmir und fordert die Wiederaufrollung seines Verfahrens. Wegen Falschaussagen eines Kollaborateurs wurde er zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt.

Um auf die mittlerweile lebensgefährliche Situation von Mustafa Koçak und seine Forderungen aufmerksam zu machen, versuchten Angehörige und Freund*innen heute im Istanbuler Stadtteil Kadıköy eine öffentliche Presseerklärung abzugeben. Die Gruppe, darunter auch die Eltern des Gefangenen, hatten sich dazu vor der Süreyya-Oper versammelt. Noch bevor das Statement verlesen werden konnte, verwies die angerückte Polizei auf ein vom Landrat erteiltes Aktivitätsverbot und nahm die Protestierenden in einen Kessel. Aus Protest gegen die willkürliche Repression versuchten Koçaks Angehörige ein Sit-in zu veranstalten, wurden daraufhin jedoch festgenommen.

Bei den Betroffenen handelt es sich um Zeynep und Hasan Koçak sowie Cemile Temizkalp, Cansu Kalender und Taylan Gültekin. Sie wurden unter Anwendung massiver Gewalt vom Platz gezerrt und befinden sich in Gewahrsam.

Der Fall Mustafa Koçak

Mustafa Koçak ist nur eines von vielen Opfern des Kollaborateurs Berk Ercan. Der 28-Jährige wurde am 11. Juli vor einem Gericht in Istanbul zu einer erschwerten lebenslangen Haft plus 39 Jahre Freiheitsstrafe verurteilt, weil er als vermeintliches Mitglied der „Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front” (DHKP-C) versucht haben soll, die verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen und die Tatwaffen für die Geiselnahme vom Istanbuler Justizpalast beschafft zu haben. Am 31. März 2015 hatten zwei DHKP-C-Aktivisten den Staatsanwalt Mehmet Selim Kiraz im Gerichtsgebäude in ihre Gewalt gebracht. Kiraz hatte im Fall des Todes des 14-jährigen Berkin Elvan ermittelt, der im Juni 2013 während der Gezi-Proteste in Istanbul von einer Tränengaskartusche der Polizei am Kopf getroffen wurde und nach monatelangem Koma im März 2014 verstarb. Die Geiselnehmer des Staatsanwalts hatten von den Behörden gefordert, sie sollten die Namen jener Polizisten veröffentlichen, die als Verantwortliche für den Tod des Jungen in Frage kommen. Nach rund neunstündigen Verhandlungen hatte die Polizei das Büro des Staatsanwalts gestürmt und die beiden Geiselnehmer erschossen. Kiraz wurde schwer verletzt und starb wenig später auf dem Weg ins Krankenhaus.

Im Verfahren gegen Mustafa Koçak gab es keine Beweise, sondern nur Schuldzuweisungen. Eine Prozesserklärung durfte er nicht abgeben, die er ohnehin nicht hatte vorbereiten können, da ihm im Gefängnis kein Stift verkauft worden war. Das Urteil gegen ihn begründete das Gericht mit den widersprüchlichen Aussagen des Kollaborateurs Berk Ercan, die fast zweieinhalb Jahre nach der Geiselnahme des Staatsanwalts zustande kamen. Der mittlerweile zur Polizei übergelaufene Ercan war in der Vergangenheit selbst Mitglied bei der DHKP-C. Im April 2015 wurde er im Rahmen von Ermittlungen gegen die Organisation in Istanbul verhaftet. Aufgrund der Aussagen des heute 26-Jährigen landeten bisher knapp 200 Menschen aus dem linken Spektrum im Gefängnis, darunter auch zahlreiche Rechtsanwält*innen des Istanbuler Rechtsbüros Halkın Hukuk Bürosu (HHB), die dem Verein progressiver Juristen (Çağdaş Hukukçular Derneği, ÇHD) angehören. Mustafa Koçak ist das mit der höchsten Haftstrafe belegte Opfer von Berk Ercan. Nach gültiger Rechtsprechung dauert in der Türkei eine erschwerte lebenslange Haft bis zum physischen Tod. Koçak soll also im Gefängnis sterben, weil sich ein Kollaborateur mit Falschaussagen Straffreiheit erhoffte.
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