stop repression

»Beweismittel haben mit der Realität nichts mehr zu tun«

»Zivile Tatbeobachter« sind Teil einer heimlichen Ermittlungsstrategie der Polizeibehörden. Ein Gespräch mit Alexander Kienzle

In Hamburg steht derzeit ein Aktivist vor Gericht, der bei einer Demonstration festgenommen worden ist. Was genau ist passiert?

Seit fünf Verhandlungstagen wird vor dem Amtsgericht Hamburg-Altona gegen unseren Mandanten verhandelt, dem von der Staatsanwaltschaft Hamburg Sachbeschädigungen und versuchte gefährliche Körperverletzungen im Zusammenhang mit einer Demonstration vor mehreren Monaten vorgeworfen werden. Die Besonderheit des Verfahrens ist, daß aus Sicht der Staatsanwaltschaft die Zeugenangaben sogenannter Tatbeobachter einer Festnahme- und Beweissicherungseinheit (BFE) der Bundespolizei die Taten »beweisen«. Die widersprechen sich allerdings ständig selbst und gegenseitig. Das Ereignis, um das es geht, liegt schon mehr als sieben Monate zurück. Der Beschuldigte hat sich zu den Vorwürfen nicht geäußert. Er geht wie wir davon aus, daß in einem rechtsstaatlichen Verfahren die Vorwürfe gegen ihn nicht hätten erhoben werden dürfen. Tatbeobachter sind von der Polizei unter bewußten Rechtsverstößen eingesetzte Zeugen. Ihre Angaben sind in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht als Beweise verwertbar.

Was genau hat es mit den Tatbeobachtern auf sich? Wie gehen sie vor? Auf welchen Beschluß geht ihre Einrichtung zurück?

Die Einrichtung der BFE und damit auch der Tatbeobachter, die einen wesentlichen Teil dieser Einheiten ausmachen, wurden vor mehr als 25 Jahren auf einer Innenministerkonferenz beschlossen. Bei den Tatbeobachtern der BFE handelt es sich um Polizeibeamte der Landes- oder Bundespolizei, die zivil gekleidet bei Demonstrationen oder anderen Großveranstaltungen für die Polizei »Aufklärung« betreiben. Sie sind damit Teil einer heimlichen Ermittlungsstrategie der Polizeibehörden, mit der sich diese bewußt außerhalb der vom Gesetzgeber eingeräumten Befugnisse bewegen. Zwecks Aufrechterhaltung ihres konspirativen Auftrags ergeht an die Beamten die Weisung, keinesfalls – auch nicht angesichts schwerster Straftaten oder Notsituationen – einzugreifen, damit sie weiterhin einsetzbar bleiben und in einem späteren Gerichtsverfahren zur Verfügung stehen können. Das ist mit geltendem Recht nicht in Einklang zu bringen. Es bedürfte hierfür einer Rechtsgrundlage, weil durch einen derartigen Einsatz massiv in Grundrechte eingegriffen wird.

Wie legitimieren die Verfolgungsbehörden die Tätigkeit dieser Beamten in Zivil?

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ist die sogenannte Ermittlungsgeneralklausel ausreichend, um den Einsatz der Tatbeobachter zu legitimieren. Hiernach kann die Polizei zur Aufklärung einer Straftat Ermittlungen jeder Art ergreifen. Die Ermittlungen müssen aber – so das gesetzgeberische Konzept – auch tatsächlich auf die Aufklärung der Straftat ausgerichtet sein. Dies ist bei den Tatbeobachtern gerade nicht der Fall; sie arbeiten an dem gesetzgeberischen Auftrag sehenden Auges vorbei.

Wie sah die Praxis dieser »illegalen« Beamten im vorliegenden Fall aus?

In unserem Verfahren hat sich unter anderem gezeigt, daß die Tatbeobachter nicht in der Lage sind, angebliche Tatorte konkret zu benennen, geschweige denn, angebliche Schäden zu dokumentieren und zu beziffern oder Zeugen aktenkundig zu machen und zu befragen. Sie laufen nach einer angeblichen Straftatbegehung schlicht weiter und machen sich Stunden später Notizen zu ihren angeblichen Erinnerungen. Strafverfahren auf Grundlage dieser Beweismittel haben mit der Realität letztlich nichts mehr zu tun. Im vorliegenden Verfahren gibt es vielfach Anhaltspunkte dafür, daß ein Anfangsverdacht gegen die Tatbeobachter beispielsweise wegen psychischer Beihilfe zu Straftaten anderer, Strafvereitelung im Amt sowie Körperverletzung durch unterlassene Hilfeleistung besteht. Ein Beispiel hierfür ist, daß die Tatbeobachter einräumen mußten, eine offenkundig verletzte und um Hilfe rufende Person schlicht liegengelassen zu haben.

Tatbeobachter werden bundesweit bei fast jeder Demonstration eingesetzt. Wie wollen Sie im weiteren gegen eine derartig gezielte rechtswidrige Praxis vorgehen?

Unser Ziel ist, ein höchstrichterliches Verbot der Verwertung der von Tatbeobachtern erbrachten sogenannten Beweise in einem rechtsstaatlichen Verfahren herbeizuführen, da sie auf extralegale Weise zustande kommen.

 

Interview: Martin Dolzer
Alexander Kienzle ist Rechtsanwalt und lebt in Hamburg