REPRESSION GEGEN LINKE :Vorverurteilung der Angeklagten

NRW: Prozessauftakt gegen Linke aus der Türkei
Von Henning von Stoltzenberg, Düsseldorf junge Welt 16.6.23
Gegen drei türkeistämmige linke Aktivisten wird seit Mittwoch unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland vor dem 7. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Düsseldorf verhandelt.

Am Straßeneingang zum Gericht standen zwei Protestzelte mit Transparenten. Über 100 Unterstützerinnen und Unterstützer waren angereist, um den drei Angeklagten, der Journalistin Özgül Emre, dem Grup-Yorum-Musiker Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli ihre Solidarität zu übermitteln und den Prozess zu beobachten. Unter ihnen sind einige ebenfalls von Kriminalisierung Betroffene wie der Augsburger Aktivist Sami Baydar und Angehörige des palästinensischen Gefangenensolidaritätsnetzwerkes Samidoun. Die Künstlerin Sofia Barka erklärte im Gespräch mit junge Welt, im Namen der »Internationalen Kunstfront« extra aus Griechenland angereist zu sein. Alle Besucher wurden akribisch durchsucht, die Ausweisdokumente kopiert.

Emre, Cibelik und Küpeli wird vorgeworfen, das sogenannte Deutschlandkomitee der linken und antiimperialistischen Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) gebildet zu haben. Sie waren Mitte Mai vergangenen Jahres auf Grundlage einer Verfolgungsermächtigung des Justizministeriums festgenommen worden. Die Organisation aus der Türkei ist in der BRD seit 1998 verboten und wird auf der sogenannten EU-Terrorliste aufgeführt.

Als die Angeklagten nach eineinhalbstündiger Verzögerung schließlich den Raum betraten und hinter Trennscheiben mit zusätzlichem Wachpersonal Platz nehmen mussten, gab es großen Beifall. Es wurden antifaschistische Parolen und Lieder angestimmt. Immer wieder wurden Victory-Zeichen und Herzen mit den Händen geformt, das Wachpersonal versuchte vergeblich, dies zu unterbinden. Zwei junge Aktivistinnen, die aus Protest gegen den Prozess T-Shirts mit der Aufschrift »Freiheit für Özgül, Uhsan & Serkan!« im Gerichtsaal trugen, werden aufgefordert, diese auszuziehen oder den Saal zu verlassen. Als sie dies verweigerten und Protest laut wurde, wurden die T-Shirts zugelassen.

Noch bevor der Prozess startete, versuchte die sechsköpfige Verteidigung vergeblich, Anträge zur Entfernung der Trennscheibe zu stellen. Der fünfköpfige Senat lehnte dies per Beschluss ab. Auch eine Unterbrechung der Verhandlung, um sich zu beraten, wurde vor der Verlesung der Anklage durch Oberstaatsanwalt Ralf Setton vom Bundesgerichtshof abgelehnt. Als mehrere Anwälte protestierten, wurden ihre Mikrofone abgedreht. Cibelik drehte dem Gericht aus Protest dagegen den Rücken zu und hielt sich die Ohren zu.

Anschließend wurden Anträge gestellt, um die Angeklagten neben ihrer Verteidigung Platz nehmen zu lassen. Diese argumentierte, dass Trennscheiben in Prozessen nur unter sehr besonderen Bedingungen zulässig seien. Ein faires Verfahren sei durch die Trennung nicht möglich, da Absprachen zwischen den Angeklagten und den Rechtsanwälten kaum möglich seien. Es handele sich um eine Form der Stigmatisierung und Vorverurteilung in einem politischen Verfahren. Emre meldete sich zu Wort und erinnerte daran, dass die Angeklagten im NSU-Prozess zu keiner Zeit hinter einer Trennscheibe gesessen hätten. Cibelik betonte, keine Straftat begangen zu haben, weswegen es auch kein Sicherheitsrisiko gäbe.

Schließlich kündigte Richter Bachler an, in einiger Zeit über den Antrag zu entscheiden, »wenn man sich besser kenne«. Der Senat wolle verhindern, dass verbotene Nachrichten ausgetauscht würden und es solle auch keine Proteste mehr im Gerichtsaal geben.

Kritisiert wurden im Zuge dessen von seiten der Anwälte auch die isolationshaftähnlichen Zustände seit Beginn der Untersuchungshaft vor rund 13 Monaten. Oberstaatsanwalt Setton bezeichnete diese Darstellung als Propaganda. Kurz vor Ende des ersten Prozesstages beantragte Rechtsanwalt Yener Sözen Akteneinsicht in einem anderen Fall, aus dessen Dokumenten hervorgehe, dass ein V-Mann des deutschen Geheimdienstes in die Ermittlungen gegen die Angeklagten in erheblichem Umfang involviert war und wahrscheinlich zu ihrer Kriminalisierung beigetragen habe. Der Generalbundesanwalt hätte diesen Vorgang nicht mitgeteilt, obwohl ihm dieser seit Jahren bekannt und er dazu verpflichtet gewesen sei. Eine vollständige Akteneinsicht in diese Vorgänge werde bisher auch nach Bekanntwerden dieses Umstandes rechtswidrig verweigert. Um sich mit diesen Dokumenten eingehend befassen zu können, müsse der Prozess zudem mindestens vier Wochen ausgesetzt werden. Über den Antrag soll in der kommenden Woche entschieden werden. Bisher sind Termine bis Ende August angesetzt.