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Repressionen, Widerstand und Sieg in den deutschen Knästen

Am vergangenen Dienstag (23.06.2015) kam eine Siegesbotschaft aus dem Gefängnis: Der Gefangene Özkan Güzel konnte seine Forderung nach 48 Tagen Hungerstreik gegenüber der JVA Essen durchsetzen. Er darf wieder seine eigene Kleidung tragen.
Es hatte sich zuvor der NRW- Landtagsabgeordnete der SPD Serdar Yüksel eingeschaltet und zur Thematik eine parlamentarische Anfrage gestellt.

Ebenfalls auf seine Initiative hin wurde im Landtag eine Kommission eingerichtet. Unter dem Vorsitz von Serdar Yüksel begab sich schließlich eine Delegation in die JVA Essen, um nach einer Lösung zu suchen. Nach einem Gespräch zwischen Serdar Yüksel mit Özkan Güzel und der Anstaltsleitung und einem weiteren Gespräch zwischen Özkan Güzel mit dessen Anwalt stimmte die Anstaltsleitung zu, Özkan Güzel in die JVA Gelsenkirchen zu verlegen, wo kein Zwang zum Tragen von Anstaltskleidung besteht.

Özkan Güzel ist ein 129b-Gefangener, der am 07. Mai 2015 von der JVA Mönchengladbach in die JVA Essen verlegt wurde. Dabei wurden ihm seine persönliche Gegenstände wie Kleidung entwendet und durch eine Anstaltskleidung ersetzt.

Dies hat er vehement abgelehnt. In einem Brief bezeichnete Özkan Güzel die Anstaltskleidung als „erniedrigende und entwürdigende Maßnahme“ und er schrieb weiter: „Die Einheitskleidung wird praktiziert, um Menschen zu brechen, einzuschüchtern und in die Knie zu zwingen. Ich bin Revolutionär und wurde verhaftet, weil ich für Unabhängigkeit, Demokratie und Sozialismus eintrete. Ich wurde verhaftet und angeklagt, weil ich gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Assimilierung, Repression, Ausbeutung und Faschismus kämpfe“.

Der Gefangene hat sich daraufhin umgehend am 7. Mai 2015  mit einem Hungerstreik zur Wehr gesetzt. Dabei hätte er gar nicht so lange mit dieser Kleidung leben müssen. Denn im Oktober 2015 ist bereits seine gesamte Strafe über 2,5 Jahre abgesessen und soll er entlassen werden.
Er musste sein Leben riskieren, um die Anstaltskleidung abzuwehren. Dabei ist er eigentlich schwer krank. Özkan Güzel leidet an der unheilbaren Krankheit Wernicke-Korsakoff, die Folge einer bewusst falschen Zwangsernährung in der Türkei ist. Özkan Güzel war auch schon in den türkischen Gefängnissen sehr widerständig und wurde wegen Haftunfähigkeit entlassen. Ein deutsches Gericht sah das aber anders und verhängte eine Gefängnisstrafe gegen ihn. Wenn man sich die Urteilsverkündung anschaut, erscheinen seine Straftaten wie ein schlechter Scherz: Der Verkauf von Grup Yorum-Konzertkarten. Grup Yorum, eine linke Band aus der Türkei, die neben vielen anderen Konzerten am 20.06.2015 am Brandenburger Tor bei einer Veranstaltung der Linken unter dem Motto „Refugees welcome“ in Berlin spielte. Özkan Güzel soll desweiteren an Demos, Kundgebungen teilgenommen und politischen Gefangenen Briefe geschrieben haben.

Warum lehnte Özkan Güzel, wie auch Sadi Özpolat, ein Gefangener in der JVA Bochun, die Anstaltskleidung vehement ab? Auf den ersten Blick mag das übertrieben erscheinen. Wenn man allerdings bedenkt, dass diese Gefangenen Gesinnungsgefangene sind, die ähnliche Erfahrungen aus der Türkei mitgebracht haben, und das Haftregime – ähnlich wie es bei Angeklagten aus RAF-Prozessen der Fall war- den Zweck erfüllen soll, revolutionäre Anschauungen und die politische Identität von Gefangenen mittels Sonderhaftbedingungen und Isolierung zu brechen, wird der Widerstand schon verständlicher.
Die Gefängnisuniform ist eine von vielen Maßnahmen, die Gefangenen gleichzuschalten und einer Regelung zu unterwerfen.

Der Widerstand von Özkan Güzel ist nun der dritte Hungerstreik seiner Art innerhalb kürzester Zeit. Zwar richten sich Maßnahmen wie diese nicht nur gegen Gefangene wie Özkan Güzel, der Widerstand dagegen erfordert aber meist politisches Bewusstsein und vor allem Courage.
Gülaferit Ünsal, ebenfalls eine 129b-Gefangene, verurteilt wegen „Mitgliedschaft in der verbotenen DHKP-C“, begab sich 54 Tage lang in den Hungerstreik um gegen Mobbing und Provokationen von Mitgefangenen sowie gegen willkürliche Maßnahmen in der JVA Pankow zu protestieren. Ausserdem kämpfte sie für das Recht auf freien Zugang zur Presse und den Erhalt ihrer Briefe. Am 29. Mai hatte die Berliner Gefängnisleitung, nachdem sich die Grüne Landtagsabgeordnete Canan Bayram eingeschaltet hatte, ihren Forderungen nachgegeben.
Sadi Özpolat, ebenfalls ein 129b-Gefangener, der wegen angeblicher „Mitgliedschaft in der DHKP-C“ verurteilt wurde,  sah sich während seiner 4-jährigen Haftzeit in Deutschland bereits viermal dazu gezwungen, in den Hungerstreik zu treten. Sein Widerstand hat bereits desöfteren menschenverachtende Zustände in der JVA Bochum offengelegt. Einmal waren willkürlich durchgeführte Nacktdurchsuchungen der Grund für seinen Hungerstreik, den er nach 42 Tagen mit einem Zugeständnis der Gefängnisleitung beendete. Zuletzt wehrte er sich wie Özkan Güzel gegen den Zwang zum Tragen der Anstaltskleidung. Auch seine Forderung wurde nach 43 Tagen Hungerstreik anerkannt. In seinem Fall hatte sich der Präsident des Deutschen Bundestages Nobert Lammert (CDU/CSU) eingeschaltet.

Diese gehäuften Fälle von Hungerstreiks machen nur einmal mehr die Repressionen gegen Gefangene deutlich.

Es sind aber nicht nur Gefangene aus Türkei/Kurdistan. Um ein Zeichen der Solidarität zu setzen haben beispielsweise vom 18. bis zum 20. Juli 2014 in mehreren Haftanstalten  Gefangene wie Marco Camenisch, Ahmet Düzgün Yüksel oder Andreas Krebs in der Bundesrepublik und der Schweiz einen dreitägigen Solidaritätshungerstreik durchgeführt. Hintergrund war die Einführung der sogenannten C-Typ-Isolationstrakte in griechischen Gefängnissen. In Griechenland waren die Hungerstreiks genauso erfolgreich. Die Isolationsgefängnisse konnten abgewendet werden.

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Sükriye Akar