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Vertei­di­ger von Lat­ife Adigüzel: Türkei ist es, die aus­ländis­che ter­ror­is­tis­che Organ­i­sa­tio­nen unter­stützt !

Geschrieben von Eugen Hardt
Der 2. Ver­hand­lungstag im 129b-?Prozeß gegen Lat­ife Adigüzel begann am ver­gan­genen Don­ner­stag mit einem Pauken­schlag. In einer per­sön­lichen Erk­lärung wies Lat­ife die Verdäch­ti­gun­gen der Bun­de­san­waltschaft zurück. Ihr Vertei­di­ger RA Meis­ter beantragte die sofor­tige Ein­stel­lung des Ver­fahrens, da die BA mit keinem Wort auf den Charak­ter des türkischen Staates einge­gan­gen sei.

Nicht Lat­ife unter­stütze mit ihrer antifaschis­tis­chen poli­tis­chen Aktiv­ität eine aus­ländis­che ter­ror­is­tis­che Organ­i­sa­tion son­dern vielmehr der Killer­staat Türkei, der aktuell die fundamentalistisch-?faschistische Organ­i­sa­tion „Islamis­cher Staat“ mil­itärisch aus­rüste und finanziere.
„Ich fordere die Ein­stel­lung des Ver­fahrens gegen mich. Für das Recht auf freie Organ­isierung — Frei­heit für alle demokratis­chen und antifaschis­tis­chen poli­tis­chen Gefangenen !“
Zu Beginn der Ver­hand­lung ver­li­est Lat­ife eine Erk­lärung. In dieser schilderte sie zunächst ihren per­sön­lichen Werde­gang. Groß gewor­den in einer demokratisch eingestell­ten alevitisch-?kurdischen Fam­i­lie sei diese vielfälti­gen Ver­fol­gun­gen aus­ge­setzt gewe­sen. 1938 habe ein Völk­er­mord durch die türkische Regierung mit Unter­stützung Deutsch­lands an den alevi­tis­chen Kur­den stattgefunden.
Selbst die „Frank­furter Rund­schau“ habe dazu geschrieben, daß 70.000 Ale­viten umka­men und weit­ere 50000 deportiert wur­den. In ihrem Heimat­dorf sei kür­zlich ein Mas­sen­grab aus dieser Zeit gefun­den wor­den u.a. mit den Gebeinen ihres Urgroß­vaters. Auch in den fol­gen­den Jahrzehn­ten set­zte der türkische Staat die blutige Unter­drück­ung der kur­dis­chen Ale­viten fort. Tausende Men­schen wur­den getötet, einges­perrt, ver­bannt und gefoltert. Als Jugendliche habe sie nach dem Mil­itär­putsch 1980 erlebt, daß viele Ver­wandte wegen ihrer fortschrit­tlichen und linken Gesin­nung einges­perrt und gefoltert wur­den. Die Ver­ant­wortlichen seien bis heute nicht bestraft wor­den und ihre Nach­fol­ger stell­ten heute die Führung von Mil­itär, Jus­tiz und Polizei. Sie sei in ihrer Kind­heit und Jugend so von einem Klima der Angst, Unter­drück­ung, Verge­wal­ti­gung und Folter geprägt wor­den.

In Deutsch­land habe sie Kon­takt zu antifaschis­tis­chen Men­schen und Grup­pen bekom­men und habe heute Fre­undin­nen und Fre­unde aus sozialen Bewe­gun­gen, Gew­erkschaften, Frauenor­gan­i­sa­tio­nen und linken Grup­pen. Viele waren aus der Türkei vor der Mil­itär­junta geflo­hen. Ihnen habe sie durch Dol­metschen bei der Woh­nungs– und Arbeitssuche geholfen. So lernte sie auch Mit­glieder der Men­schen­recht­sor­gan­i­sa­tion TAYAD ken­nen. Die „Junge Welt“ schrieb dazu, daß TAYAD eine lange Tra­di­tion habe. Beim Mil­itär­putsch seinen in der Türkei 260000 Men­schen ver­haftet wor­den. Täglich seien Men­schen auf der Straße ermordet wor­den. Folter und Demü­ti­gun­gen seien in den Gefäng­nis­sen an der Tage­sor­d­nung gewe­sen. Die Ange­höri­gen der poli­tis­chen Gefan­genen, die diesen Angrif­fen am stärk­sten aus­ge­setzt gewe­sen seien, hät­ten sich in TAYAD zusam­mengeschlossen, um gegen die unmen­schlichen Haftbe­din­gun­gen zu protestieren.

Lat­ife führte weiter aus, sie habe sich in Deutsch­land für human­is­tis­che, poli­tis­che und soziale Ziele engagiert und ins­beson­dere gegen die Unter­drück­ung der Frauen. Sie sei nicht Mit­glied einer poli­tis­chen Partei; das gelte auch für die DHKP-?C. Es sei nicht richtig, wenn dies in der Anklageschrift behauptet würde. Sie habe sich für die Rechte der Migranten und antifaschis­tisch engagiert. Dazu habe sie sich an der Grün­dung von Vere­inen beteiligt, in denen sich Migranten zusam­men­schließen kon­nten. Die Ana­tolis­che Föder­a­tion sei 2004 als deren Dachver­band gebildet wor­den. Ziel der AFsei es, Frei­heit und demokratis­che Rechte von Migranten aus der Türkei zu vertei­di­gen und den Bezug zur ana­tolis­chen Kul­tur bei der jun­gen Gen­er­a­tion wieder herzustellen. Kon­fron­tiert mit vie­len wirtschaftlichen und poli­tis­chen Prob­le­men in Deutsch­land büßten diese Men­schen den gewohn­ten kollek­tivis­tis­chen Lebensstil, ihre Iden­tität und Lebens­freude ein.

Migranten hät­ten selb­stver­ständlich das Recht, sich als Gruppe poli­tisch zu äußern, wenn man bedenke, wie häu­fig Migranten Opfer ras­sis­tis­cher Über­griffe und Brand­s­tiftun­gen seien. Die AF sei beson­ders auch gegen die NSU aktiv und fordere die Aufdeck­ung der Zusam­me­nar­beit mit dem Ver­fas­sungss­chutz und der deutschen Polizei. Dies sei die poli­tis­che Basis, auf der sich die AFbewege. Die Grün­dung der AF sei über einen demokratis­chen Prozeß erfolgt. 2009 sei sie von ver­schiede­nen Städten und Län­dern zur Vor­sitzen­den den demokratis­chen Prinzip­ien entsprechend gewählt worden.
Die AF kämpfe gegen Ras­sis­mus und Faschis­mus jeglicher Art und setze sich für soziale, poli­tis­che und kul­turelle Rechte der Migranten in Deutsch­land ein. Nach den zahlre­ichen Mor­den der NSU und dessen Unter­stützung durch den Ver­fas­sungss­chutz habe man ins­beson­dere Ras­sis­mus und Faschis­mus bekämpft. In diesem Rah­men hät­ten auch Demos stattge­fun­den unter dem Motto „Der Ver­fas­sungss­chutz soll aufgelöst wer­den, kein Platz für Nazis“. Die Kam­pagne gegen die NSU und den Ver­fas­sungss­chutz laufe weiter.
Die AF habe Demos, Infos­tände und Ver­anstal­tun­gen organ­isiert sowie Flug­blät­ter verteilt. Dabei habe es sich stets um recht­mäßig angemeldete und legal geführte Aktiv­itäten gehan­delt. Als Vor­sitzende habe sie mit Men­schen aus ver­schiede­nen Rich­tun­gen Kon­takte geknüpft.
Die AF setze sich gegen jede Art von Ungerechtigkeit ein und auch für die Rechte der poli­tis­chen Gefan­genen in Deutsch­land und weltweit. Hierzu habe man viele Aktio­nen durchge­führt, die alle recht­mäßig bei den Behör­den angemeldet wor­den seien.
Viele Migranten kämen aus Län­dern, in denen Dik­tatur und Armut herrschten. Sie seien nach Deutsch­land geflo­hen in ein Land, von dem sie mein­ten, es werde demokratisch regiert. Sie selbst als Vor­sitzende käme auch aus so einem Land, in dem es weder Men­schrechte gäbe noch Men­schen­würde und die Men­schen gefoltert und hin­gerichtet wür­den. Das passiere auch durch die heutige Regierung.
Sehr viele Fam­i­lien seien aus diesen Grün­den nach Deutsch­land gekom­men, um Zuflucht und Schutz zu suchen und in einem demokratis­chen Land friedlich zu leben. Sie hät­ten ver­sucht sich in Deutsch­land zu inte­gri­eren, doch hät­ten sie dabei große Schwierigkeiten. Ein großes Prob­lem der Migranten seien Arbeit­slosigkeit, Ras­sis­mus, Krim­i­nal­ität, Dro­gen und Glücksspiel. Die AF wolle diese Prob­leme zusam­men mit den Migranten­fam­i­lien lösen.
Organ­isierung sei ein demokratis­ches Grun­drecht der Demokratie. Die Föder­a­tion habe von diesem Grun­drecht Gebrauch gemacht. Sie als Vor­sitzende der AF betra­chte die §129a und b als Gesin­nungsstrafrecht und als men­schen­ver­ach­t­end. Poli­tisch aktive Men­schen, die sich gegen Faschis­mus und die Zusam­me­nar­beit des Ver­fas­sungss­chutzes mit faschis­tis­chen Kräften wen­de­ten, wür­den nach Belieben ver­haftet, einges­perrt und isoliert.
Es han­dele sich let­ztlich um eine gegen die deutsche Ver­fas­sung und die Men­schen­rechte ver­stoßene Hand­lung, daß sie auf der Grund­lage von Behaup­tun­gen und Mut­maßun­gen als Mit­glied einer ter­ror­is­tis­chen Vere­ini­gung hingestellt werde, als jemand, der eine Gefahr für die Bevölkerung darstellen solle. Ein Ver­dacht werde gestreut, um einen Men­schen, der seit Jahrzehn­ten öffentlich poli­tisch gear­beitet habe und dessen Tätigkeit auch immer öffentlich bekannt gewe­sen sei, zu ver­haften und mit Aufla­gen an einen Ort zu binden und seine Bewe­gungs­frei­heit einzuschränken.
Das betra­chte sie als ungerecht, unmen­schlich und rechtlich unzuläs­sig. Die AF habe nicht gegen die Gesetze der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land ver­stoßen.

Lat­ife schließt mit den Worten:
„Deshalb fordere ich die Ein­stel­lung des Ver­fahrens gegen mich. Für das Recht auf freie Organ­isierung — Frei­heit für alle demokratis­chen und antifaschis­tis­chen poli­tis­chen Gefangenen !“
Angesichts dessen, daß die Bun­de­san­waltschaft Lat­ife kein­er­lei konkrete Geset­zesver­stöße vor­w­er­fen kann, müsste das Ver­fahren umge­hend eingestellt wer­den. Die Argu­men­ta­tion der Bun­de­san­wälte läßt sich so zusam­men­fassen:
Behaup­tung 1: Die DHKP-?C ist eine ter­ror­is­tis­che Organ­i­sa­tion, weil sie auch mil­i­tant gegen den türkischen Faschis­mus kämpft. Dabei spielt es keine Rolle, welchen Charak­ter der türkische Staat hat.
Behaup­tung 2: Die Ana­tolis­che Föder­a­tion ist eine Tarnor­gan­i­sa­tion der DHKP-?C, deren Zweck darin besteht, Gelder für den bewaffneten Kampf zu sam­meln und Kämpfer zu rekru­tieren. Als Beweis wird allein der Umgang mit Geldern als solcher aufge­führt, also z.B. der Verkauf von Ein­trittskarten für Musikkonzerte.
Behaup­tung 3: Lat­ife muss als Vor­sitzende lei­t­ende Funk­tionärin der DHKP-?C sein, weil für die Leitung einer Tarnor­gan­i­sa­tion nur Funk­tionäre in Betra­cht kom­men. Eine konkrete Bewe­is­führung ist darum nicht erforder­lich.

Sollte es zu einer Beweisauf­nahme kom­men, entsteht eine groteske Sit­u­a­tion: Mit­tels Mate­ri­alien polizeilicher Überwachung wird die demokratis­che legale poli­tis­che Arbeit von Lat­ife und der AF„bewiesen“ wer­den, also angemeldete Demon­stra­tio­nen, Ver­anstal­tun­gen, Konz­erte etc. „Bewiesen wer­den soll damit das, wozu sich Lat­ife öffentlich bekennt, bewiesen wer­den soll, was öffentlich und legal stat­tfand und wozu Lat­ife sich aus­drück­lich bekennt. Dies wird ihr dann sicher­lich als „Geständ­nis“ aus­gelegt wer­den.
Gle­ichzeitig soll mit dieser Art „Beweisauf­nahme“ die Unter­stützung einer „aus­ländis­chen ter­ror­is­tis­chen Vere­ini­gung“ bewiesen wer­den und damit anti­ras­sis­tis­che und antifaschis­tis­che Arbeit krim­i­nal­isiert wer­den. Der Zusam­men­hang mit „Ter­ror“ wird allein durch die nicht weiter hin­ter­frag­baren Behaup­tun­gen hergestellt, die DHKP-?C sei eine ter­ror­is­tis­che Organ­i­sa­tion, die AF ihre Tarnor­gan­i­sa­tion und Lat­ife könne als Vor­sitzende einer solchen nur Funk­tionärin der DHKP-?C sein.
Eine solche Kon­struk­tion und eine solche Beweisauf­nahme sind offen­sichtlich ebenso über­flüs­sig wie bizarr.
„Nach der Logik der Staat­san­waltschaft war Man­dela ein Ter­ror­ist, weil er den bewaffneten Kampf gegen das südafrikanis­che Regime unterstützte“
Nach der Ver­lesung der Erk­lärung von Lat­ife stellt ihr Vertei­di­ger, RA Meis­ter, den Antrag, das Ver­fahren wegen „nicht beheb­barer Ver­fahren­shin­dernisse und Ver­stößen gegen das Rechtsstaats– und Ver­hält­nis­mäßigkeit­sprinzip“ einzustellen sowie den Haft­be­fehl gegen Lat­ife aufzuheben.

Die Begrün­dung dieses Antrags erfolgt erfreulich poli­tisch. Er befasst sich mit der Frage der Bew­er­tung des bewaffneten Kampfes. Seinen Aus­führun­gen zufolge ist allein das türkische Regime anzuk­la­gen wegen „Unter­stützung einer aus­ländis­chen ter­ror­is­tis­chen Vere­ini­gung“ (§129b). Somit gehöre nicht Lat­ife, son­dern die Türkei angeklagt. Mit der Beant­wor­tung der Frage des Charak­ters des türkischen Regimes steht und fällt die Anklage der Bun­de­san­waltschaft. Han­delt es sich bei der Türkei um ein dik­ta­torisches Regime, welches aus­ländis­che Ter­ro­ror­gan­i­sa­tio­nen wie den „Islamis­chen Staat“ unter­stützt, ist ein bewaffneter Kampf gegen ein solches Regime kein Ter­ror­is­mus son­dern legit­imer Widerstand.

Zunächst stellt RA Meis­ter fest, daß die Bun­de­san­wälte nicht, wie geset­zlich vorgeschrieben, auch zugun­sten eines Beschuldigten ermit­telt hät­ten. Aus der Anklageschrift gehe her­vor, daß dies unter­lassen wor­den sei und auch seit­ens des Gerichts keine entsprechen­den Schritte ein­geleitet wur­den. Weder in der Anklageschrift, noch in den Ermit­tlung­sun­ter­la­gen sei eine Bew­er­tung des Charak­ters des in der Türkei beste­hen­den Regimes vorgenom­men wor­den. Recht­spos­i­tivis­tisch seien Vorgänge in der Türkei los­gelöst von den dort beste­hen­den gesellschaftlichen Ver­hält­nis­sen aufgezählt wor­den. Die soge­nan­nte Bewe­is­führung stütze sich allein auf Infor­ma­tio­nen des türkischen Geheim­di­en­stes und der türkischen Polizei.
Auch die Bew­er­tung der DHKP-?C könne nicht los­gelöst von den beste­hen­den Ver­hält­nis­sen und der Geschichte der Türkei vorgenom­men wer­den. Entsprechend der Logik der Anklageschrift hät­ten auch die Wider­stand­skämpfer als „Ter­ror­is­ten“ ver­folgt wer­den müssen, die 1942 Hey­drich, den Mann Hitlers für die Endlö­sung der Juden­frage, töteten. Ein anderes Beispiel sei Man­dela. Auch hier bedeute die Logik der Staat­san­waltschaft, dem Urteil des ras­sis­tis­chen südafrikanis­chen Gerichts zu fol­gen, welches Man­dela wegen „Ter­ror­is­mus“ zu lebenslanger Haft verurteilte. In seinem Schluss­wort habe Man­dela aus­führlich die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes begrün­det.

Auch der Europäis­che Gericht­shof sei in einem Ver­fahren mit Bezug zu PKK und DHKP-?C auf die Frage der Bew­er­tung von Reg­i­men einge­gan­gen. Dort heißt es zur Frage der Bew­er­tung von Organ­i­sa­tio­nen, bzw. deren Unter­stützung als „terroristisch“:
„ Es ist nicht zu leug­nen, daß diese Prü­fung eher noch als in rechtlicher in ethis­cher — zumal die Vorstel­lung einer inner­halb bes­timmter Gren­zen legit­i­men Gewal­tan­wen­dung mitschwingt — und poli­tis­cher Hin­sicht kom­plex und heikel ist. Bei dieser Prü­fung wird kaum von einem Wer­turteil über die Beweg­gründe für die Hand­lung abge­se­hen wer­den können….Eine bes­timmte Tat kann z.B. anders zu begrün­den sein, wenn sie im Rah­men des Wider­stands gegen ein Regime began­gen wird, das total­itär, kolo­nial­is­tisch, ras­sis­tisch oder für schwere Men­schen­rechtsver­let­zun­gen ver­ant­wortlich ist….“ (Az. C-?57/?09 und C-?101/?09).
Weiter heißt es in dem Text:
„Erstens sind die Natur, der Auf­bau, die Organ­i­sa­tion, die Aktiv­itäten und die Meth­o­den der betr­e­f­fenden Vere­ini­gung sowie der poli­tis­che, wirtschaftliche und soziale Kon­text zu unter­suchen, in dem diese Vere­ini­gung in dem Zeitraum operierte, in dem der Betrof­fene ihr Mit­glied war“.

Eine solche Prü­fung finde man an keiner Stelle der Anklageschrift, obwohl es eine Vielzahl von Infor­ma­tio­nen gäbe, die sich direkt auf die DHKP-?C beziehen. So habe der „Tagesspiegel“ am25.10.2008 geschrieben:
„Killer im Dienst des türkischen Staates. Ein Expolizist sagt, er habe in den 80ern und 90ern im Kur­denge­biet etwa 1000 Men­schen getötet. Ayhan Carkin ist stolz auf seine Aus­bil­dung bei einer Spezialein­heit der türkischen Polizei….“Es kann sein, daß ich im Kampf gegen den Ter­ror etwa1000 Men­schen getötet habe“. Alle Morde seien im Auf­trag des Staates verübt wor­den.“
Auch unter der gegen­wär­ti­gen Regierung werde diese Praxis unge­hin­dert fort­ge­setzt. Im Som­mer2012 sei Sedat Selim Ay zum stel­lvertre­tenden Polizeipräsi­den­ten von Istan­bul ernannt wor­den. Er sei jahre­lang Leiter der Abteilung ´Ter­ror­bekämp­fung‚ gewe­sen und gelte als einer der gefürcht­esten Folterer des Landes.
Weiter führte RA Meis­ter aus, daß immer wieder die Türkei durch den Europäis­chen Gericht­shof für Men­schen­rechte wegen schw­erer Ver­stöße gegen rechtsstaatliche Grund­sätze mit Bezug zu Men­schen, die der DHKP-?C ange­hören sollen, verurteilt wor­den sei. Nach dem Mil­itär­putsch 1980seien zehn­tausende von Angehörigen/?Sympathisanten der DHKP-?C festgenom­men, gefoltert und ermordet wor­den. Die Tageszeitung Mil­liyet habe kür­zlich eine „Offizielle Bilanz der Junta vom 12. Sep­tem­ber“ veröf­fentlicht, aus der nach­fol­gend zitiert werde:
„Das TBMM (türkisches Par­la­ment) sowie die poli­tis­chen Parteien wur­den geschlossen und enteignet, –das Grundge­setz wurde aufgehoben,
– 650.000 Per­so­nen wur­den verhaftet,
– 1.683.000 wur­den polizeilich festgenommen
– In 210.000 Ver­fahren wur­den 230.000 Per­so­nen verurteilt
– Für 7000 Per­so­nen wurde das Todesurteil vor Gericht gefordert
– 517 Per­so­nen wur­den zum Tode verurteilt
– Die Todesurteile von 50 Per­so­nen wur­den vollstreckt
– 71.000 Per­so­nen wur­den nach dem TCK (türkisches Strafge­setz) §141,142 und 163 verurteilt
– 98.404 Per­so­nen kamen nach­weis­lich bei der Folter ums Leben
– 388.000 Per­so­nen erhiel­ten ein Passverbot
– 300 Per­so­nen kamen bei einem verdächti­gen Tod um
– 171 Per­so­nen kamen nach­weis­lich bei der Folter ums Leben
– 937 Filme wur­den ver­boten, weil sie für „beden­klich gehal­ten wurden
– 23.677 Vere­ine wur­den geschlossen
– 39 Ton­nen Zeitun­gen und Zeitschriften wur­den vernichtet
– In den Gefäng­nis­sen kamen 299 Per­so­nen ums Leben
– 144 Per­so­nen kamen bei „verdächti­gen Umstän­den“ ums Leben“

RA Meis­ter: Das findet in der Anklageschrift nicht ein­mal Erwäh­nung !

Über spätere Ereignisse berichte die Zeitschrift „2000´e Dogru“, daß ein staatliches Exeku­tion­skom­mando unter Leitung der für die großen Städte zuständi­gen Ibrahim Sahin und Mehmet Agar gebildet wurde. In Kur­dis­tan habe der Polizist Mah­mut Yildirim Dorf­be­wohner gezwun­gen Exkre­mente zu essen und auf dem Dorf­platz Men­schen hin­gerichtet. 1987 sei die Kon­tra­guerilla JITEMneu gegrün­det wor­den. Diese Organ­i­sa­tion dürfte Men­schen töten, foltern, ver­schwinden lassen und eigene Unter­grun­dor­gan­i­sa­tio­nen grün­den. Gezielt sei man so gegen die DHKP-?C vorge­gan­gen.

In Kur­dis­tan sei vom Staat die Ter­ror­gruppe His­bol­lah gebildet wor­den, die ange­blich aus religiösen Grün­den fortschrit­tliche Men­schen aus der kur­dis­chen Bewe­gung exeku­tiert habe. Weit­er­hin hät­ten Polizei und Geheim­di­enst ihre Morde unter dem Namen His­bol­lah aus­ge­führt, Bomben gezün­det und diese Taten dann der DHKP-?C untergeschoben.
Mit auf die His­bol­lah gehe auch die faschis­tis­che Organ­i­sa­tion „Islamis­cher Staat“ zurück, die mit Hilfe der west­lichen Staaten groß gewor­den sei und aktuell mit klarer Unter­stützung und Hilfe durch die Türkei bluti­gen Ter­ror im nahen Osten ausübe.
Die voll­ständige Igno­ranz der Men­schen­rechtssi­t­u­a­tion in der Türkei durch die Staat­san­waltschaft sei ein schw­er­wiegen­der Ver­stoß gegen die Grund­sätze eines fairen Ver­fahrens, der nicht wieder gut gemacht wer­den könne. Wegen dieses Ver­fahren­shin­dernisses sei der Prozeß einzustellen.

Poli­tis­ches Ziel des Prozesses
Der vor­sitzende Richter machte sofort nach Ver­lesung des Antrages deut­lich wie er zu entschei­den gedenkt. Die Ignorierung des gesellschaftlichen Hin­ter­grun­des und der Bew­er­tung des Charak­ters des türkischen Staates und der Tätigkeit der DHKP-?C in schriftlicher Form der Anklageschrift müsse nicht bedeuten, daß dies in der weit­eren mündlichen Ver­hand­lung nicht nachge­holt wer­den könne. Damit beschönigte er den offen­sichtlichen Ver­stoß der Staat­san­waltschaft gegen die geset­zliche Vorschrift, auch zum Vorteil des Beschuldigten zu ermit­teln.
Durch den poli­tis­chen Vorstoß von RA Meis­ter steht das Gericht vor der Sit­u­a­tion, daß die Bew­er­tung des Charak­ters des türkischen Regimes prozeßentschei­dend wird. Wenn es sich um einen „Killer­staat“ han­delt ist der bewaffnete Kampf legitim. Andern­falls steht das Gericht vor der Auf­gabe, inhaltlich zu bele­gen und auszuführen, was an den vor­ge­tra­ge­nen his­torischen und poli­tis­chen Fak­ten unrichtig ist und die Türkei als demokratis­chen Rechtsstaat hinzustellen. Auf diese Weise ist nicht mehr Lat­ife die Angeklagte son­dern das türkische Regime.
Ganz sicher wird das Gericht den bewaffneten Kampf in der Türkei nicht als legitim ein­stufen; die Fol­gen für die deutsche Außen– und Mil­itär­poli­tik wären unab­se­hbar. Inter­es­sant wird aber die Art und Weise sein, in der das Gericht ver­suchen wird aus einem Killer­staat einen demokratis­chen Rechtsstaat zu machen.

Davon gän­zlich unab­hängig ist die Beant­wor­tung der Frage, was Lat­ifes legale antifaschis­tis­che und anti­ras­sis­tis­che Tätigkeit mit der DHKP-?C zu tun hat. Nach Stand der Dinge läuft es darauf hin­aus, poli­tis­che Kri­tik am türkischen Sys­tem nur deshalb als „Unter­stützung einer aus­ländis­chen ter­ror­is­tis­chen Organ­i­sa­tion“ anzuse­hen, weil eine ähn­liche oder gle­iche Kri­tik auch von der DHKP-?Cgeäußert wird.

So entsteht ein direk­ter Zusam­men­hang zur Bew­er­tung des Charak­ters der Türkei: Ziel des Prozesses seit­ens des Staates und seines poli­tis­chen Oberg­erichts ist die Unter­stützung des aus­ländis­che klerikalfaschis­tis­che Ter­ror­grup­pen anlei­t­en­den Staates Türkei und die Krim­i­nal­isierung nicht nur von türkischen Wider­stand­skämpfern son­dern von allen Men­schen, die das türkische Regime als das beze­ich­nen was es ist, einen Unrechtsstaat, der nach innen dik­ta­torisch und men­schen­rechtsver­ach­t­end und nach außen ter­ror­is­tisch agiert.