REPRESSION:Staat verbietet Solidarität

Berlin: Palästina-Kongress kurz nach Beginn von Polizei aufgelöst. Zuvor immer wieder Eingriffe in den Ablauf. Livestream gekappt
Nach einer monatelangen Kampagne gegen die Veranstalter und die Inhalte des Kongresses palästinasolidarischer Gruppen hat die Veranstaltung am Freitag nachmittag in Berlin-Tempelhof begonnen. Der Berliner Senat bot am Freitag 900 Polizisten auf, die den Veranstaltungsort erst verspätet – und für maximal 250 Teilnehmer – freigaben und auch im Innern des Gebäudes engmaschig Präsenz zeigten. Die Polizei stufte die geschlossene Saalveranstaltung zudem als »Demonstration« ein und erließ entsprechende Auflagen. Dabei handelte es sich, wie sich am frühen Abend zeigte, um die Vorbereitung der Auflösung der fiktiven »Demonstration«: Um 17.24 Uhr, wenige Minuten vor jW- Redaktionsschluss, erklärte die Polizei die Veranstaltung per Durchsage für aufgelöst. Ohne Begründung. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte am Freitag ein »sofortiges hartes Einschreiten« bei »Straftaten« angekündigt.

Zuvor hatten die Anwesenden den Kongress nach mehrstündiger Verzögerung mit tosendem Applaus eröffnet. Von Freitag bis Sonntag sollte unter dem Motto »Wir klagen an!« die deutsche Mitverantwortung für die von der israelischen Regierung angerichtete humanitäre Katastrophe im Gazastreifen angeprangert werden. Zu Tumulten kam es bald nach der Eröffnung während einer Videobotschaft des 84jährigen palästinensischen Autors Salman Abu Sitta. Die Polizei erzwang den Abbruch des Vortrags und schaltete den Strom ab. Bis jW-Redaktionsschluss war der Grund hierfür nicht bekannt; kurz vor 17 Uhr wurde der Strom zunächst wieder eingeschaltet, aber der Livestream verboten.

Vor dem Gebäude warteten Hunderte Teilnehmer auf Zutritt zum Saal. In der Warteschlange waren Flaggen, Sprechchöre und Transparente zu sehen. Die Begrenzung der Teilnehmerzahl ordnete die Polizei mit Verweis auf »nicht ausreichende Fluchtwege« an. Platz für Dritte war aber dennoch: Die Polizei verschaffte Dutzenden nicht akkreditierten Medienvertretern Zugang.

Dass der Kongress überhaupt stattfinden könne, sei das Ergebnis »stundenlanger Verhandlungen mit der Polizei«, so Nadija Samour, Rechtsbeistand der Kongressleitung, am Nachmittag gegenüber jW. Auch auf den Vermieter habe die Polizei »extremen Druck« ausgeübt. Dies sei »bürokratische Gewalt, wie man sie nur in Deutschland erleben kann«. Den Tagungsort in Berlin-Tempelhof hatten die Organisatoren aus Sorge vor Übergriffen erst bei einer Pressekonferenz am Freitag morgen bekanntgegeben, zu der Vertreter zahlreicher Medien erschienen waren. Von den Veranstaltern wollten Journalisten wissen, ob sie »Antisemiten« seien, »wie sie zur Hamas stehen« und warum nicht alle Medien eine Akkreditierung erhalten hätten.

Auch am Freitag machte die Politik weiter parteiübergreifend Stimmung gegen den Kongress. Bereits am Donnerstag hatte Berlins Innensenatorin, Iris Spranger (SPD), eine harte Linie angekündigt und erklärt, ein Großaufgebot der Polizei werde bereitgestellt, um die Veranstaltung »genau zu beobachten« und notfalls einzuschreiten. Einem der Hauptredner, dem britisch-palästinensischen Chirurgen und Rektor der Universität Glasgow Ghassan Abu Sitta, wurde laut Veranstaltern am Berliner Flughafen die Einreise verweigert. Abu Sitta hatte nach dem 7. Oktober mehr als 40 Tage mit »Ärzte ohne Grenzen« im inzwischen völlig zerstörten Al-Schifa-Krankenhaus im Gazastreifen gearbeitet.

Von Jamal Iqrith junge Welt 13.4.24