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»Sie kann tun und lassen, was sie will« Hamburgs Gesetze machen Polizeiwillkür möglich.

Darüber muß öffentlich diskutiert werden.
Ein Gespräch mit Arthur Ruhe
Interview: Martin Dolzer, junge Welt 21.2.2014
Arthur Ruhe (Name von der Redaktion geändert) ist Mitglied des Hamburger »Ermittlungs-Ausschusses« (EA) – eines juristischen Beirates, der Menschen unterstützt, die bei Demonstrationen in Kollision mit der Polizei geraten sind

In Hamburg hat es erhebliche Proteste gegen »Gefahrengebiete« gegeben, in denen die Polizei Anfang des Jahres in zehn Tagen knapp 1000 Menschen willkürlich kontrollierte. Ist jetzt alles wieder in Ordnung?
Mit der Einrichtung der Gefahrengebiete hat sich deutlich gezeigt, welche Spielräume die Gesetzgebung der Polizei läßt. Deutlich wurde auch, welches Interesse die Hamburger Polizeiführung hat, diese Spielräume auch zu nutzen: anderthalb Wochen faktischer Ausnahmezustand mit massiver Polizeipräsenz in St. Pauli und weiteren Stadtteilen, wahllose Kontrollen, Übergriffe, Aufenthaltsverbote oder Platzverweise! Das alles wirft die Frage auf, welche Möglichkeiten die Polizeiführung sonst noch hat, auf soziale Konflikte repressiv zu antworten.

Welche Auswirkungen hatten diese »Gefahrengebiete« auf die Bevölkerung?
Abgesehen vom riesigen Ausmaß der Kontrollen oder Aufenthaltsverbote hat die Polizei gezeigt, daß sie tun und lassen kann, was sie will. Der Versuch, Bevölkerungsgruppen mit zunehmender Brutalität einzuschüchtern, ist aber in den betroffenen Stadtteilen letztlich gescheitert.

»Gefahrengebiete« an sich sind in Hamburg keine Neuheit. Das Besondere war ihre Größe, die Besetzung durch die Polizei und die Bandbreite der kontrollierten Personen. In anderen Stadtteilen gibt es schon seit 1995 dauerhafte oder zeitweise Gefahrengebiete – u.a. gegen Drogennutzer oder Fußballfans. Das hat bisher aber nicht zu Protesten geführt.

Wie steht es um die juristischen Grundlagen für diese ausufernde Polizeiaktivität?
Im Grunde geht es um Gesetze, die der Polizei die Möglichkeit geben, nach eigenen Erkenntnissen solche Maßnahmen zu ergreifen. Das »Gesetz zur Datenverarbeitung der Polizei« im Zusammenhang mit dem »Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung« ist für die Polizeiführung ein Selbstermächtigungsgesetz, das an vielen Punkten juristische oder politische Kontrolle ausschließt.

Aus vagen Einschätzungen heraus – zu denen wie im Januar ein erfundener Angriff auf die Davidwache gehören kann – werden Maßnahmen abgeleitet, die weit in die Freiheitsrechte der Menschen eingreifen. Dafür sind einzelne Polizeiführer verantwortlich.

Welche Freiheitsrechte können denn eingeschränkt werden?
Zur Gefahrenabwehr dürfen aufgrund von Lageerkenntnissen Wohnungen verwanzt, Internetaktivitäten überwacht und Telefone abgehört werden. Auch Observationen und die Aufzeichnung von Gesprächen sind möglich.

Das klingt zunächst einmal nicht neu. Aber in der Strafprozeßordnung ist klar geregelt, daß für solche Maßnahmen richterliche Beschlüsse zwingend vorgeschrieben sind. Durch die erwähnten Gesetze ist das für eine gewisse Zeit lediglich auf Anordnung eines höheren Polizeiführers möglich. Im Zusammenhang mit sozialen Protesten und militanten Aktionen werden diese Möglichkeiten auch genutzt. So wird die Polizei zum eigenständigen politischen Akteur.

Gibt es in Hamburg eine öffentliche Diskussion über diese Ausweitung der Befugnisse der Polizei?
Die Diskussion hat sich nur auf »Gefahrengebiete« beschränkt. Das Gesetz, das sie möglich macht, und dessen politische Dimension sind in der öffentlichen Wahrnehmung nicht präsent. Auch nicht bei den Linken. Dieses Phänomen ist leider nicht neu. Keines der Sicherheitsgesetze, die seit 2001 eingeführt wurden, hat im linken Spektrum eine öffentliche und erschöpfende Diskussion nach sich gezogen.

Politisch gesehen sind die Hamburger Gesetze Teil der immer perfekteren Struktur eines Sicherheitsstaates, der präventiv agiert und auf gesellschaftliche Widersprüche nur noch mit Repression reagiert. Mit dem Begriff »Polizeistaat« sollten wir vorsichtig umgehen – aber Sicherheitskräfte, die mit eigenen Interessen politisch aktiv in soziale Kämpfe eingreifen können, sind eine konkrete Gefahr. Die Hamburger Politik – egal ob die SPD oder die CDU das Sagen hatte – hat einer notorisch reaktionären Polizeiführung diese Möglichkeiten an die Hand gegeben. Eine öffentliche Diskussion darüber ist zwingend notwendig.