Das Verfahren gegen einen Geflüchteten aus Sierra Leone, der bei der massiven Polizeirazzia im Oktober 2018 im Ankerzentrum Stephansposching in Bayern festgenommen wurde, wird am 16. und 26. September 2019 um 9 Uhr vor dem Amtsgericht Deggendorf fortgesetzt. Mohamed B. wird Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Gefangenenbefreiung und Sachbeschädigung vorgeworfen. Diese Vorwürfe, für die es kaum Belege gibt, folgen dem bekannten Muster der Kriminalisierung von Asylsuchenden durch massive Polizeieinsätze in Bayern.
In der Nacht zum 24. Oktober 2018 sollte aus dem Lager in Stephansposching eine Person abgeschoben werden, die jedoch nicht angetroffen wurde.
Stattdessen nahm die Polizei einen nigerianischen Geflüchteten fest, der sich verbal mit der gesuchten Person solidarisiert und die unangemessene Vorgehensweise der Polizei bei der nächtlichen Durchsuchung kritisiert hatte. Die Beamt*innen hatten die Mehrheit der in der Industriehalle schlafenden Geflüchteten aufgeweckt und sich respektlos verhalten. Aufgrund der Proteste und der Solidarität mehrerer Bewohner*innen konnte der gefesselte Nigerianer aus dem Polizeiwagen fliehen. Die Folge war eine massive Razzia in der Unterkunft im Laufe des Tages durch hunderte teilweise schwer bewaffnete Beamt*innen, darunter Bereitschaftspolizei, SEK und Hunde. Personen- und Zimmerkontrollen wurden durchgeführt, die viele Zimmer völlig verwüstet zurückließen. Die Operation hatte keinen anderen Grund als die Bewohner*innen einzuschüchtern (BFR, 26.10.2018).
Im Laufe des Tages wurden 17 Bewohner festgenommen, auch Mohamed B. Vier Männer wurden in U-Haft genommen, und später folgten etwa 10 Strafbefehle. Für B. sah der Strafbefehl sieben Monate Haft auf Bewährung vor. Dagegen legte B. Anfang 2019 fristgerecht Einspruch ein. Doch das Amtsgericht Deggendorf hat bereits unter Beweis gestellt, dass es die Rechte von schwarzen Geflüchteten für vernachlässigbar hält. So war die zuständige Richterin zunächst nicht bereit, eine Hauptverhandlung durchzuführen. Stattdessen versuchte sie bei einem ersten Termin am 22. August, B. zu einem Geständnis zu überreden, indem sie ihm mit bis zu fünf Jahren Haft drohte. Er solle die siebenmonatige Bewährungsstrafe akzeptieren, da diese „mild“ sei und alle anderen ebenfalls gestanden hätten. Auch B.s Pflichtverteidiger empfahl mit Nachdruck, ein Geständnis abzuliefern.
Mohamed B. gab nicht auf und wiederholte, dass er am 24. Oktober 2018 nur deshalb verhaftet wurde, weil ein leitende Mitarbeiter des Ankerzentrums seinen Namen an die Polizei weitergegeben hatte – als persönliche Rache dafür, dass B. zuvor Kritik an den Bedingungen im Lager geäußert hatte. Diesen Grund für seine Festnahme, dass er also B.s Namen von dem Mitarbeiter bekommen habe, bestätigte ein Polizeizeuge, der am 22. August 2019 befragt wurde, nachdem die Richterin der Eröffnung des Hauptverfahrens zugestimmt hatte. Die Richterin reagierte überrascht, als deutlich wurde, dass der Zeuge keine Angaben machen konnte, die die Anklage gegen B. stützen. Nach unseren Informationen werden die meisten der 18 Zeugen, die das Gericht zu den kommenden Terminen geladen hat, das ebenfalls nicht können.
Wir rufen Aktivist*innen und Freund*innen auf, ihre Solidarität zu zeigen und die politisch motivierte Kriminalisierung und Legitimation der Polizeigewalt gegen Geflüchtete kritisch zu beobachten. Mohamed B. braucht Eure Unterstützung.
Kommt zum Gericht am 16.9. & 26.9., jeweils um 9 Uhr.
Amtsgericht Deggendorf: Amanstraße 17, 94469 Deggendorf
Geschrieben von AG Deggendorf
http://cultureofdeportation.org/2019/08/31/stephansposching/