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Trotz Folter und Vertreibung

Wieder Urteil in PKK-Prozess: Richter sieht kein Widerstandsrecht in der Türkei
Von Martin Dolzer, junge Welt 24.7.17
Das Oberlandesgericht Hamburg hat am Freitag den kurdischen Politiker Zeki Eroglu zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, Mitglied einer »terroristischen Vereinigung im Ausland« gemäß Paragraph 129 b gewesen zu sein, weil er sich als Gebietsverantwortlicher und Sektorleiter der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) betätigt habe. Die Bundesanwaltschaft (BAW) hatte eine Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten gefordert, der Angeklagte und seine Verteidiger Freispruch. Das Justizministerium hatte 2011 eine »Verfolgungsermächtigung« gegen die PKK als terroristische Vereinigung im Ausland erteilt. Seitdem wurden 14 Kurden als führende Kader der PKK verhaftet und davon mit Zeki Eroglu bereits zehn zu Haftstrafen verurteilt, obwohl ihnen keine konkreten Straftaten, sondern das Organisieren von Demonstrationen und anderen Veranstaltungen vorgeworfen wurden.

In der Urteilsbegründung sagte der Vorsitzende Richter Norbert Sakuth zunächst, es sei erwiesen, dass in der Türkei systematisch gefoltert werde, die Rechte der Kurden kontinuierlich verletzt würden. Zudem fänden dort extralegale Hinrichtungen statt, die Justiz handle nicht unabhängig und fair, staatliche Täter blieben straflos. Ganze Dörfer seien zerstört worden, nur weil der Verdacht bestand, dass sich dort Kämpfer der PKK aufhielten; Menschen würden allein wegen ihrer Überzeugung als Terroristen inhaftiert und verurteilt. All dies räumte der Richter ein. Die PKK habe zwar in Syrien – gemeint war wohl im Nordirak – Menschenleben gerettet. Aber sie sei eine Kaderorganisation mit Führerkult, die innerhalb vorhandener Staatsgrenzen ein System mit eigener Rechtsprechung und eigenem Militär aufbaue und bei Anschlägen auf Militär und Polizei willkürlich über Leben und Tod entscheide. Strafmildernd wurde gewertet, dass Zeki Eroglu bereits in der Türkei dreieinhalb Jahre in Haft saß und dort gefoltert wurde – ebenso der Umstand, dass Eroglu und seine Familie aus Dersim vertrieben worden waren, wo Massaker an der Zivilbevölkerung stattgefunden hatten. Der Haftbefehl wird bis zur Rechtskraft des Urteils nicht ausgesetzt. Die Richter begründeten dies damit, dass die PKK ihre Kader täglich an andere Orte schicke und es nicht unwahrscheinlich sei, dass Zeki Eroglu in die Zentrale der Organisation im Kandilgebirge berufen würde. »Da könnte er dann wirkungsvoll gegen den IS kämpfen«, rief eine Zuschauerin.

ITAP Konferenz
Eroglus Anwälte Britta Eder und Alexander Kienzle hatten im Prozess und im Plädoyer verdeutlicht, dass es ein Recht gebe, sich mit Gewalt gegen rechtswidrige Angriffe zu wehren – Notwehr – und sich vor sonstigen Gefahren zu schützen – Notstand. Sie hatten Kriegsverbrechen und die über Jahrzehnte anhaltende psychologische Kriegsführung in den kurdischen Provinzen der Türkei verdeutlicht. Weitgehend anerkannt sei ein kollektives Widerstandsrecht für den Fall, dass die staatliche Rechtsordnung versagt oder der Staat selbst zur Bedrohung für die Rechte der Bürger wird. Im Grundgesetz ist dieses Widerstandsrecht im Artikel 20 Satz 4 als Jedermannsrecht festgehalten. Der Vorsitzende Richter erklärte, dies beziehe sich nur auf die BRD. Ein naturrechtliches Widerstandsrecht könne nur herangezogen werden, wenn diesbezüglich ein Minimalkonsens der Völker bestehe, was im Hinblick auf den türkisch- kurdischen Konflikt nicht der Fall sei.

»Da selbst die Richter das systematische Unrecht in der Türkei sehen, ist nicht nachvollziehbar, dass Zeki Eroglu nicht freigesprochen wurde. Die Richter haben gegen ihre historische Verantwortung gehandelt«, sagte eine Prozessbeobachterin im Anschluss an die Urteilsverkündung.