g20no

Versuch einer Selbstkritik oder der Ritt durch die Hölle.

Liebe Freund*innen und Genoss*innen,
ich bin Andreas Beuth, Anwalt im aktiven Ruhestand, Mitstreiter bei „Welcome to Hell“, war im juristischen SinneVersammlungsleiter der Welcome to Hell – Demo am 6.7.17 und einer der legitimierten Pressesprecher des Bündnisses.

Gleich vorweg möchte ich mich von meinen distanzierenden Äußerungen zu den militanten Aktionen beim G 20 und speziell während des Freitags im Schanzenviertel distanzieren. Diese Äußerungen waren politisch falsch und für eine linksradikale Bewegung schädlich. Ich möchte mich dafür ausdrücklich entschuldigen.

 

Ich möchte zu erklären versuchen, wie es nach 30 Jahren mehr oder weniger erfolgreicher politisch-anwaltlicher Pressearbeit zu einem solch fatalen Fehler kommen konnte, ohne die politisch falschen und schädlichen Aussagen hiermit in irgendeiner Form relativieren zu wollen.

Vor der Demo am Samstag habe ich ohne jede Not ARD und NDR in ein vorgehaltenes Mikro ein Interview zu den „Krawallen im Schanzenviertel“ gegeben. Das hätte ich nicht tun dürfen. Emotional stand ich noch voll unter dem Eindruck von Freitag Nacht, in der ich viele Sachen gut, einige aber auch voll daneben fand. Ich hatte noch die halbe Nacht darüber diskutiert, nur 4 Stunden geschlafen und war psychisch angeschlagen. Schon deshalb, aber auch generell gehört eine solche Einschätzung nicht der Presse gegenüber abgegeben, sondern in eine innerlinke Auseinandersetzung, die in unserem Bündnis gerade erst zögerlich anläuft. Dann kann man immer noch überlegen, ob man eine gemeinsame Stellungnahme abgibt. Ich hätte diese politisch fatalen Äußerungen niemals abgeben dürfen und schon gar nicht in einem unabgesprochenen Alleingang !

Nun zu den einzelnen Äußerungen:
Ausgangspunkt war das „Pöseldorf“ – Zitat, das dann zu meiner großen Überraschung in den Tagesthemen und im Brennpunkt auftauchte. Ich habe dabei wesentlich mehr gesagt als zitiert wurde, das vollständige Interview wurde aber nicht gesendet und ist mir bis heute nicht bekannt. Das veröffentlicht Zitat lautet:
„Wir als Autonome und ich als Sprecher der Autonomen – ja – haben gewisse Sympathien für solche Aktionen, aber bitte doch nicht im eigenen Viertel, wo wir wohnen, also warum nicht irgendwo in Pöseldorf oder in Blankenese. Also da gibt es auch bei uns ein großes Unverständnis, dass man im Schanzenviertel die eigenen
Geschäfte zerlegt, die Geschäfte, wo wir selbst und Leute, die da wohnen, auch einkaufen.“
Dazu folgendes: Natürlich bin ich kein Sprecher der Autonomen, „die Autonomen“ haben keine Sprecher*innen, das entspricht auch meinem Selbstverständnis autonomer Politik. Mir ist es selbst unerklärlich, wie es zu einer solchen Äußerung kommen konnte. Sagen wollte ich wohl, dass ich einer der Sprecher des autonomen Bündnisses „G 20 – Welcome to Hell“ bin. Aber auch als solcher hätte ich eine solche Aussage, zumal unabgesprochen, niemals machen dürfen. Inhaltlich finde ich die Aussage schon schwieriger zu bewerten. Ohne hier meine eigene Position vollständig offen machen zu wollen (siehe unten),gibt es unterschiedliche Sichtweisen und politische Bewertungen. Für die einen ist das Schanzenviertel immer noch ein widerständiger Kiez, in dem viele Linke mit vielen Sympathisant*innen wohnen und in dem mehrere linke Zentren gelegen sind. Für andere ist es ein gentrifiziertes Yuppie-Viertel wie jedes andere. Unterschiedliche Sichtweisen auch bezüglich der „Zerlegung der eigenen Geschäfte“. Die einen heben hervor, dass sich Rewe und Budny im Schanzenviertel durch Lebensmittelspenden für Kitas und Obdachlose hervortun und eine tolerierende Akzeptanz gegenüber der Roten Flora zeigen. Für andere sind es einfach Ladenketten egal in welchem Stadtteil sie sich befinden. Weitgehende Einigkeit scheint es darin zu geben, dass es auch einige kleinere ebenfalls mit der Flora sympathisierende Läden getroffen hat. Und Einigkeit scheint es darin zu geben, dass eine Gefährdung von Menschen durch Brandlegungen in Gebäuden kein legitimes Mittel von Militanz sein kann, auch nicht in Bürogebäuden, wo noch jemand arbeiten oder gerade sauber machen kann.
Insgesamt finde ich das „Pöseldorf“ – Zitat – bis auf den „Sprecher der Autonomen“ politisch weniger gravierend als die nachfolgenden Distanzierungen in Interviews mit Abendblatt, MoPo und Taz.
Zwischenzeitlich entwickelte sich eine gegen meine Person gerichtete Dynamik, die zu den Distanzierungen beitrug, ohne diese wieder in irgendeiner Form rechtfertigen zu können oder auch nur zu wollen.
Es entstand unmittelbar nach dem Fernseh-Interview noch am selben Abend eine zunehmend gegen mich gerichtete aggressive Stimmung voller Hasstiraden. Ich wurde auf offener Straße beschimpft, bepöbelt und massiv bedroht, so dass ich innerhalb kürzester Zeit Begleitschutz brauchte (vielen Dank an alle, die sich hieran beteiligt haben). Gleichzeitig setzte eine unglaubliche Pressehetze ein, die von diversen Politiker*innen ständig befeuert wurde. Am Montag, den 10.7.17 erhielt ich eine Vielzahl von mail-Anfragen und Telefonaten der vor allem schreibenden Hamburger Presse, die mir klar machten, dass sie mich ohne eine umgehende Stellungnahme in die Pfanne hauen würden.
In dieser Situation habe ich meinen größten Fehler gemacht. Ich konnte den Druck nicht mehr aushalten und habe Panik bekommen. Mein Gefühl war, dass ich sofort reagieren muss. Statt mir wenigstens ein paar Stunden Zeit zu nehmen und den Dialog mit den kurzfristig zur Verfügung stehenden Genoss*innen zu suchen, habe ich wieder kopflos im Alleingang gehandelt.

In den folgenden Tagen und Wochen hat sich das Bedrohungsszenario eher noch erhöht. Es tauchten mehrere Pamphlete auf, die direkte Drohungen enthielten. Einige vermuteten darin linke Satire, andere und vor allem ich als Adressat sahen das als direkte Bedrohung an. Gleichzeitig ließ die Pressehetze nicht nach, Pöseldorf wurde immer wieder neu aufgelegt. Hinzu kam eine öffentliche Verurteilung durch die Anwaltskammer incl. Einleitung eines Disziplinarverfahrens. Gravierender noch die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen Billigung von Straftaten aufgrund des Eingangs von 25 Strafanzeigen. Aufgrund dieses schwebenden Ermittlungsverfahrens will ich mit über diesen Text hinausgehenden öffentlichen Äußerungen vorsichtig sein.
Bedrohungsszenario, Pressehetze und Repression waren auch der Grund dafür, dass ich nur allmählich wieder in die Spur fand und einen freien Kopf bekam, so dass dann erst eine selbstkritische Auseinandersetzung mit meinem engsten persönlich – politischen Umfeld möglich war, die dann zur Diskussion und Erstellung dieses Textes führte. Mir ist bewusst, dass der Text früher hätte erscheinen sollen, mir war es subjektiv einfach nicht möglich.
Zurück zu den am 10.7.17 abgegebenen und am 11.7.17 gleichzeitig erschienen Presseinterviews in Abendblatt, MoPo und TAZ.
Abendblatt:
„Solche Aktionen sind sinnentleerte Gewalt und haben eine Linie überschritten. Ich distanziere mich auf das Schärfste von dem, was dort am Freitagabend passiert ist. Auch wir sind fassungslos über die Geschehnisse.“
Jedes mal, wenn ich das wieder lese, fröstelt es mich. Wie konnte ich bloß eine solche undifferenzierte und pauschalisierende Aussage machen. Dazu stehe ich nicht und ich verstehe selbst nicht, wie es dazu kommen konnte. Befremdlich auch, dass ich ständig im „Wir“ rede, ohne zu sagen, wer „Wir“ denn sein sollen und ohne jedes Mandat weder des Bündnisses noch gar „der Autonomen“.
„Wir repräsentieren die gemäßigten Autonomen in Europa und haben diese Menschen nicht eingeladen. Die Gruppen, die wir kontaktiert haben, sind
keineswegs mit dem Vorsatz gekommen, hier zu brandschatzen und schwere Gewalt zu verüben. Das lehnen wir generell ab.“
Diese Differenzierung zwischen „ gemäßigten Autonomen „ und den „wie auch immer Autonomen“ ist natürlich völliger Schwachsinn, voll in die Medienfalle getappt. Welcome to hell hat international mobilisiert und eingeladen, ich habe mich daran beteiligt. „Welcome to all of you !“. Wir haben allenfalls den Character der „Welcome to Hell“ – Demo zu vermitteln versucht, aber ansonsten keinerlei Vorgaben gemacht. Das können und wollen wir auch gar nicht. Von daher verurteile ich diese meine Aussage, wir hätten bestimmte Leute aus den und den Gründen nicht eingeladen, ganz deutlich und ohne jede Einschränkung.
„Wir haben insbesondere am Freitag eine neue, abscheuliche Dimension der Gewalt dieser Menschen gesehen. Dafür trage ich eine politische Mitverantwortung.“
„Abscheuliche Dimension der Gewalt“ ist nun überhaupt nicht meine Wortwahl, ich kann mir nicht vorstellen, das gesagt zu haben. Aber da ich das angeblich autorisiert habe (mit einem zugestandenen Zeitfenster von nur einer Stunde) trage ich dafür die politische Verantwortung. Diese Äußerung finde ich richtig übel. „Abscheulich“ war die Gipfel-Inszenierung und die „Knüppel-Repression“ unter Inkaufnahme von Toten.
MoPo (soweit von Abendblatt abweichend):
„Brandstiftungen und Plünderungen haben mit legitimem Protest nichts zu tun und selbstverständlich würde ich solche Aktionen auch in Blankenese und Pöseldorf nicht richtig finden.“
Dazu habe ich mich vorstehend schon geäußert und will das in diesem Rahmen darüber hinausgehend nicht machen.
Die rauschhafte Randale in der folgenden Nacht jedoch, sei Militanten zuzuschreiben, die erst am Freitag angereist seien (das ist kein wörtliches Zitat und das habe ich so auch nicht gesagt). „“Ich habe selbst Italienisch, Spanisch, Französisch gehört. Die haben wir aber nicht eingeladen, die haben auch vorher nicht mit uns gesprochen.“

Das habe ich gesagt und das finde ich die übelste Entgleisung, wenn man da überhaupt noch Abstufungen vornehmen kann. Das geht gar nicht ! Wir/ich haben auch die ausländischen Genoss* innen explizit eingeladen, mit einigen hatte ich auch während des Gipfels direkt zu tun.
Ich werde gewährleisten, dass dieser Text vielleicht mit einer gewissen zeitlichen
Verzögerung in die anderen Sprachen sowie Englisch übersetzt und entsprechend versandt wird. Meine Solidarität gilt allen wegen G 20 einsitzenden politischen und gerade den ausländischen Gefangenen, die besonderen Schikanen unterworfen sind und länger einsitzen müssen als die deutschen Gefangenen.
TAZ (soweit abweichend von Abendblatt und MoPo):
„Ich kann ganz klar sagen, dass ich solche Sachen wie Plünderungen und brennende Autos oder gar brennende Geschäfte, wo die Flammen auf Wohnhäuser überspringen können, aufs Allerschärfste verurteile.“

Zu den Brandlegungen in Gebäuden habe ich mich schon geäußert. Zu den Plünderungen habe ich unterschiedliche Bewertungen dargelegt. Mit den Autos ist das ähnlich. Es gibt sicherlich einen Unterschied zwischen dem Porschezentrum in Eidelstedt und dem Kleinwagen einer alleinerziehenden Mutter mit Kind, die dieses täglich mit ihrem Auto in die Kita fährt. Die einen sehen genau eine solche Differenzierung. Für die anderen ist Auto eben Auto und Statussymbol der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Weitergehend will ich mich hierzu in diesem Rahmen nicht äußern. „Politische Mitverantwortung trage ich, aber ich bin auch nicht für Leute aus Spanien, Italien und Frankreich verantwortlich, die ich gar nicht kenne. (…) Ich habe mit den Leuten nicht sprechen können.“
Wiederum total übel, die Verantwortung für militante Aktionen auf ausländische Genoss*innen zu schieben. Und natürlich total arrogant, dass ich vorher hätte mit denen sprechen wollen. Wer bin ich denn ?

Es gibt noch ein paar mehr kritikwürdige Äußerungen, aber das sind eher Wiederholungen.
Nochmals zusammenfassend: Ich habe einen schweren eigentlich unverzeihlichen Fehler gemacht. Ich bereue das sehr und entschuldige mich dafür. Ich hoffe, dass zumindest einige diese aufrichtig gemeinte Entschuldigung annehmen können. Ansonsten muss ich damit leben. Darüber hinaus ist eine kritische Auseinandersetzung im Bündnis wichtig und wird demnächst stattfinden. Individuelle unabgesprochene Äußerungen der Presse gegenüber sind falsch.Ich werde bis auf weiteres keine Presseinterviews mehr abgeben.

Noch einige Anmerkungen zum Schluss:
Dieses Papier ist nach Rücksprache mit einigen mir gegenüber kritischen, aber dennoch solidarischen Genoss*innen entstanden, aber es ist und bleibt mein Papier. Zu einer weitergehenden Auseinandersetzung bin ich bereit und daran auch interessiert, wobei ich den direkten persönlichen Kontakt gegenüber dem schriftlichen vorziehen würde. Wer mich sucht, der findet mich auch auf selbst gewählten Wegen.
23.8.2017
Andreas Beuth