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Waffenbrüder

BERLIN/ANKARA – Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) rühmt die türkische Rüstungswirtschaft als „strategischen Partner“ und kündigt eine Ausweitung der Kooperation bei der Produktion von Kriegswaffen an. Anlass ist die in der kommenden Woche beginnende Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) in Berlin – laut BDLI eine der „bedeutenden Wehrtechnik-Messen Europas“. Die Türkei ist seit den 1960er Jahren Zielland milliardenschwerer deutscher Rüstungsexporte; die gelieferten Waffen werden unter anderem zur Niederschlagung innerer Unruhen und zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt.

Nicht zuletzt aufgrund der Zusammenarbeit mit deutschen Rüstungsfirmen – etwa durch die Übernahme von Produktionslizenzen für Sturm- und Maschinengewehre – hat sich die Türkei mittlerweile selbst zum Waffenexporteur entwickelt. Bei der diesjährigen ILA wird der NATO-Staat erstmals eine Kampfdrohne aus eigener Herstellung präsentieren.
 
Strategischer Partner
 
Wie der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) mitteilt, wird die Türkei bei der kommende Woche beginnenden Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) in Berlin ihren „bislang stärksten Auftritt zeigen“. Der Präsident des BDLI und Vorstandsvorsitzende von Airbus Defence and Space, Bernhard Gerwert, bezeichnet das offizielle „Partnerland“ der diesjährigen ILA als einen der „großen Wachstumsmärkte“ auf dem Gebiet der Rüstungsproduktion und verweist auf zahlreiche „erfolgreiche Kooperationsprojekte“ zwischen deutschen und türkischen Waffenschmieden: „Die Türkei ist für unsere Industrie ein wichtiger strategischer Partner, gerade im Hinblick auf langfristige Kooperationen.“ Murad Bayar, Staatssekretär im türkischen Verteidigungsministerium, erklärt seinerseits, es sei eine „Ehre und Freude“ für die Türkei, als „Partnerland“ an der ILA teilzunehmen: „Diese weltweit älteste und traditionsreichste Luft- und Raumfahrtmesse bietet der türkischen Branche nicht nur die Möglichkeit, ihr beeindruckendes Leistungsspektrum und ihre Produkte vorzustellen. Sie beinhaltet gleichzeitig eine hervorragende Gelegenheit zur Sondierung von Geschäftsanbahnungen.“[1]
 

Spionage und Zielerfassung
 
Laut BDLI werden türkische Waffenschmieden auf einer Ausstellungsfläche von 736 Quadratmetern ihre „beeindruckende industrielle Kompetenz“ und ihre „herausragende Forschungs- und Entwicklungsleistung“ vorstellen.[2] Am ILA-Stand des Unternehmens Turkish Aerospace Industries (TAI) etwa ist unter anderem die Kampfdrohne „Anka“ zu sehen. Das „Unmanned Aerial System“ (UAS) zählt zur sogenannten MALE-Klasse (Medium Altitude Long Endurance), worunter UAS verstanden werden, die auf mittlerer Flughöhe operieren und über eine große Reichweite verfügen. „Anka“ kann dem Hersteller zufolge unabhängig von Tageszeit und Witterungsbedingungen ebenso zur „Zielerfassung und -identifizierung“ eingesetzt werden wie für komplexe „Spionagemissionen“. Die Drohne sei zudem in der Lage, Aufträge „vollständig autonom“ auszuführen, heißt es.[3]
 

EADS-Lieferant
 
Der auf der ILA prominent vertretene Drohnenproduzent TAI zählt bereits seit längerem zu den Kooperationspartnern der deutsch-europäischen Rüstungsindustrie. So fertigt das Unternehmen unter anderem Rumpfteile für das Militärtransportflugzeug A400M aus dem Hause EADS/Airbus. Die viermotorige Propellermaschine soll die „Transall“ der Bundeswehr ablösen und wurde in erster Linie für den Transport von Truppen und Kriegsgerät in weit entfernte Interventionsgebiete konzipiert. Sie kann den deutschen Streitkräften zufolge außerdem zur „Luftbetankung“ von Kampfjets und Helikoptern eingesetzt werden.[4] Aber auch im Rahmen von Angriffsoperationen ist der A400M verwendbar. Wie die Bundeswehr erklärt, kann die Maschine selbst „längere Strecken im Tiefflug“ zurücklegen und dabei nicht nur Lasten, sondern auch Fallschirmjäger „absetzen“.[5]
 

Raketen und Cruise Missiles
 
Auch der türkische Raketen- und Lenkwaffenhersteller Roketsan Missile Industries (RMI) ist nach eigenen Angaben „stolz“, seine Produkte auf der ILA zu präsentieren. Beworben werden die selbst entwickelten Raketen und Cruise Missiles unter anderem damit, dass sie in der Lage seien, sich bei jeder Tageszeit und Witterung „autonom“ ihre Ziele zu suchen. Auch könnten sie in nahezu jedes Trägersystem „integriert“ werden – ganz gleich, ob es sich dabei um einen Kampfjet, ein Kriegsschiff, eine Artilleriebatterie oder eine Drohne handele.[6] Dem BDLI wiederum gelten die „Flugkörpersysteme“ aus dem Hause RMI als hervorragend geeignet, die „Präzision und Genauigkeit für Luft-Boden- und Boden-Boden-Einsätze“ entscheidend zu „verbessern“ (german-foreign-policy.com berichtete [7]).
 

Hilfe zur Aufstandsbekämpfung
 
Die bei der ILA mit großem propagandistischen Aufwand in Szene gesetzte deutsch-türkische Rüstungszusammenarbeit hat Tradition. Seit den 1960er Jahren ist die Türkei Zielland umfangreicher deutscher Rüstungsexporte. Allein im Zeitraum von 1964 bis Anfang der 1990er Jahre erhielt der NATO-Staat Waffen und Ausrüstungsgüter im Wert von 6,4 Milliarden D-Mark. Hinzu kamen sogenannte Ausstattungs- und Ausbildungshilfen. Unter „Ausstattungshilfe“ firmierte offiziellen Quellen zufolge die Lieferung aller Arten von „Material“ an Streitkräfte und Polizei, um diesen „die Durchführung ihrer Aufgaben zu erleichtern“.[8] Die „Ausbildungshilfe“ umfasste das Training von Soldaten und Polizisten samt Einrichtung entsprechender Übungszentren. Auf dem Lehrplan standen dabei auch Maßnahmen der Aufstandsbekämpfung. Gleichzeitig vergaben die deutschen Waffenschmieden Heckler und Koch sowie Rheinmetall Lizenzen zum Nachbau von Sturm- und Maschinengewehren an türkische Rüstungsunternehmen. Besonderes Aufsehen erregte in den 1990er Jahren die Lieferung von Waffen aus den Beständen der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR. Insgesamt überließ die Bundesregierung der Türkei 300 BTR-60-Schützenpanzer, rund 300.000 Kalaschnikows, 5.000 Maschinengewehre, 100.000 Panzerfäuste und rund 445 Millionen Schuss Munition. Das Kriegsgerät kam nachweislich bei Operationen der türkischen Armee gegen die kurdische Zivilbevölkerung zum Einsatz.
 

Milliardengeschäfte

 
Trotz vielfacher Proteste wurde die aktuell bei der ILA zelebrierte deutsch-türkische Waffenbrüderschaft fortgeschrieben. Ausweislich der Rüstungsexportberichte der Bundesregierung vergab das Bundeswirtschaftsministerium in den Jahren von 1999 bis 2012 Ausfuhrgenehmigungen für Kriegsgerät im Wert von 3,2 Milliarden Euro. Geliefert wurden unter anderem Kriegsschiffe, U-Boote, Lenkflugkörper, Feuerleit- und Kommunikationssysteme, Flugzeugteile sowie mehr als 300 Kampfpanzer „Leopard“ aus dem Hause Krauss-Maffei Wegmann.
 

Mit deutscher Hilfe zum Waffenexporteur
 
Nicht zuletzt dank dem Transfer deutscher Rüstungsgüter und dem dazugehörigen Know-how ist die Türkei mittlerweile selbst Waffenexporteur. Der Türkische Exportverband für Verteidigung und Luftfahrt rechnet eigenen Angaben zufolge damit, bis 2023 in der Lage zu sein, Kriegsgerät im Wert von 25 Milliarden US-Dollar jährlich ins Ausland zu verkaufen und zur Weltspitze der Rüstungsexporteure aufzuschließen.[9] Wehrtechnische Messen wie die ILA dürften ihren Teil dazu beitragen, türkische Waffenschmieden diesem Ziel ein ganzes Stück näherzubringen.
 

[1], [2] Die Republik Türkei ist Partnerland der ILA Berlin Air Show 2014. www.ila-berlin.de 19.03.2014.
[3] Anka Multi-Role ISR System. www.tai.com.tr.
[4] Airbus A400M – Einsatzaufgaben. www.baain.de.
[5] Airbus A400M – Technische Daten. www.baain.de.
[6] Roketsan Missile Industries. www.virtualmarket.ila-berlin.de.
[7] Siehe dazu Wehrtechnisches Gipfeltreffen.
[8] Zitiert nach: Jürgen Grässlin: Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient. München 2013. Siehe auch unsere Rezension.
[9] Die Türkei strebt Spitzenposition in Rüstungsexporten an. www.invest.gov.tr 26.09.2012.