Nun musste die Schweiz die baskische Journalistin Nekane Txapartegi, eines der „meistgesuchten ETA-Mitglieder“ freilassen – Ein Kommentar
Bis zur letzten Minute hat sich die Schweiz im Fall der baskischen Journalistin Nekane Txapartegi wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert, sondern ein für ein demokratisches Land unrühmliches Schauspiel geliefert. Das passiert halt, wenn man haltlose Vorwürfe aus Spanien nicht vernünftig prüft, die zudem auf Foltergeständnissen beruhen.
In Spanien galt die 44-Jährige noch bis vor gut einem Jahr als „meistgesuchtes ETA-Mitglied“. Es wurde gejubelt, als man im April 2016 das angeblich hochrangige Mitglied der baskischen Untergrundorganisation geschnappt hatte. Man kennt das, auch Tomas Elgorriaga sollte angeblich ein ETA-Chef gewesen sein, während er friedlich an der Freiburger Universität studierte und später dort gearbeitet hatte.
Gemeinsam ist beiden Fällen, dass sie Gemeinderäte für die linksnationalistische Partei Herri Batasuna waren und im Zusammenhang ihrer politischen Arbeit von der Guardia Civil verhaftet und schwer gefoltert wurden. Beide flohen, als ihnen eine Verurteilung drohte und sie wieder in die Hände derer fallen sollten, die sie schwer gefoltert hatten. Elgorriaga floh nach Freiburg, Txapartegi nach Zürich, wo sie fast neun Jahre lebte. In ihrem Fall kamen zur bestialischen Folter auch noch sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung durch die hinzu, die sich in Spanien „Sicherheitskräfte“ nennen.
Ihren Gang durch die Hölle hat mir die Journalistin einst in einem verstörenden Interview erzählt. Die unschönen Details von Erstickungsmethoden, Elektroschocks, Schlägen, Scheinhinrichtungen, Einführen von Pistolenläufen in alle Körperöffnungen und die Drohung, auch Freunde und die Familie zu verhaften und zu foltern, erspare ich den Lesern. Sie sind ohnehin ungeeignet, um das von Folteropfern Erlebte auch nur ansatzweise nachzuvollziehen. Nekane und ich arbeiteten einst in einer baskischen Recherchezeitschrift, die ebenfalls mit fadenscheinigen Begründungen verboten worden, weil auch hinter ihr angeblich die ETA stehen sollte.
Das war auch das Schicksal von zwei baskischen Tageszeitungen und einem Radio. Aber in allen Fällen haben sogar spanische Gerichte nach Jahren geurteilt – die Medien waren längst zerstört -, dass es für die harten Anschuldigungen keine Beweise gab, die auch von deutschen Kollegen gegen den Autor dieser Zeilen erhoben wurden und dramatische Folgen auch für mich hätten haben können.
Die vorläufige Schließung der „Euskaldunon Egunkaria“, die einst einzige „Baskische Tageszeitung“ komplett in der baskischen Sprache Euskera verfasst, „ist von der Verfassung nicht gedeckt und entbehrt einer speziellen Rechtsnorm die sie autorisieren könnte“, urteilte der Nationale Gerichtshof. Die Egunkaria-Journalisten wurden freigesprochen, obwohl sie unter der Folter sogar Geständnisse abgelegt hatten. Das Gericht schenkte denen erstmals keinen Glauben. Dafür wurde Spanien vom Straßburger Menschenrechtsgerichtshof verurteilt, allerdings zu einer lächerlichen Strafzahlung von 25.000 Euro. „Es ist billig in Spanien zu foltern“, erklärte der gefolterte Egunkaria-Direktor Martxelo Otamendi.
Folter wurde bestätigt
An den Folter-Darstellungen von Nekane Txapartegi hatte ich nie auch nur den geringsten Zweifel. Dass sie unversehrt verhaftet, aber völlig zerstört nach zehn Tagen im Knast abgeliefert wurde, stellte sogar der Gefängnisarzt in der Eingangsuntersuchung fest. Und ich befand mich dabei in guter Gesellschaft. Auch Amnesty International hatte 1999 den Fall in den Jahresbericht aufgenommen. Nach ihrer Verhaftung in der Schweiz wurde sie von ausgewiesenen Folterexperten untersucht.
Der Wiener Psychiater Prof. Dr. Thomas Wenzel und der türkische Rechtsmediziner Dr. Önder Özkalipci haben ihre Untersuchungen auf Basis des Handbuchs für die wirksame Untersuchung und Dokumentation von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung oder Strafe durchgeführt, dass auch „Istanbul-Protokoll“ genannt wird. Özkalipci, der in Genf lebt, ist Co-Autor des Protokolls. Es wurde von 75 forensischen Ärzten, Psychologen, Menschenrechtsbeobachtern und Juristen aus 40 Organisationen und 15 Ländern verfasst, die auf Folter spezialisiert sind.
„Unsere Befunde bestätigen in den Schlussfolgerungen den Folterbericht der Betroffenen“, schrieb Wenzel nach der Untersuchung der baskischen Journalistin. Özkalipci erklärte unter Betrachtung der psychologischen Diagnosen und den belegten physischen Befunden, dass „sie in den zehn Tagen der Verhaftung in Kontaktsperre zwischen dem 9. – 19. März 1999 gefoltert wurde.“ Kontaktsperre meint die völlige Isolierung der Betroffenen, in denen sie bis zu zehn Tage wegen Kontakt zu ihrem Anwalt noch zur Familie haben. Die UNO und Menschenrechtsorganisation fordern seit Jahrzehnten erfolglos ihre Abschaffung und bis dahin lückenlose Video-Aufzeichnungen.
Schweizer Gericht: Folterverbot zählt, wenn in ein Land mit demokratischer Tradition ausgeschafft wird
Und obwohl sich auch der UNO-Sonderberichterstatter für Folter für die Baskin eingesetzt hatte, hielt die Schweiz bis am Freitag daran fest, die Baskin an Spanien auszuliefern. Auch Nils Melzer hatte an sein Heimatland appelliert, das sich seiner Meinung nach auf Irrwegen befinde. In einer öffentlichen Erklärung forderte er die Schweiz auf, Nekane Txapartegi nicht auszuliefern: „Die Schweiz muss das Folterverbot kompromisslos schützen.“
Doch Justiz und Regierung drückten sich aus der Verantwortung und lehnten die Einsprüche der Baskin gegen ihre Auslieferung konsequent ab, weshalb eine baldige „Ausschaffung“ erwartet wurde. Das Bundesstrafgericht wand sich im Juli damit heraus, Txapartegi könne sich nicht auf das Folterverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention berufen, wenn sie an ein Land mit demokratischer Tradition ausgeliefert werden soll. Das Gericht hielt sich nicht für zuständig, den spanischen Prozess zu wiederholen oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ersetzen. Dass Spanien in den letzten Jahren in acht Folterfällen verurteilt worden ist, wurde einfach ignoriert.
Doch letztlich kam alles am Freitag ganz anders, aber nicht weil der Schweiz plötzlich Menschenrechte am Herzen gelegen hätten. Txapartegis Anwalt Olivier Peter hatte Bewegung in die „vertrackte Justizaffäre“ gebracht, wie die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) meint. Die einstige Haftstrafe von 11 Jahren war zwischenzeitlich ohnehin schon auf sechs Jahre gesenkt worden. Im Februar machte der Oberste Gerichtshof aus der angeblichen ETA-Führerin dann einen „weniger gravierenden“ Fall und senkte die Strafe auf drei Jahre und sechs Monate. Damit einher gingen neue Verjährungsfristen, wie Peter festgestellt hatte.
Auf Antrag der Verteidigung stellte auch der Nationale Gerichtshof in Madrid nun fest – sogar das Ministerium für Staatsanwaltschaft war einverstanden -, dass ihre Strafe längst verjährt ist. Daraufhin hob die Schweiz auch die Vorbereitungshaft auf, da Madrid den Auslieferungsantrag zurückgezogen hatte. Die Schweizer Justiz verfügte, Txapartegi am Freitagmittag freizulassen, was ihre Schweizer Unterstützer mit einem Feuerwerk gefeiert hatten. Das Bundesamt für Justiz (BJ) hatte die nötigen Papiere schon nach Zürich geschickt.
Verwirrspiel der Schweizer Bürokratie
Doch frei kam sie zunächst nicht. Denn die Rechnung hatten die Freunde, Familie und Kollegen der Journalistin ohne die Schweizer Bürokratie gemacht, die nun ein „Verwirrspiel“ begann, wie der Tages-Anzeiger feststellt, der sich in der Verteidigung der Rechte der Journalistin hervorgetan hat. Ihr Anwalt erklärte mir auf meine verstörte Nachfrage, der Kanton Zürich habe sie „administrativ festnehmen“ lassen und plötzlich Vorbereitungshaft beantragt hatte. Peter erklärte, es habe damit zu tun, dass sie „keine Papiere“ hat, da sie unter falschem Namen in der Schweiz lebte.
In der Schweiz und im Baskenland lief sofort eine hektische Mobilisierung an, um die baldige Auslieferung zu verhindern. In die Versammlung in ihrem Heimatdorf Asteasu kam dann aber die die Nachricht, dass Txapartegi doch freigelassen wurde, während ihr Bruder Joseba den Bewohnern die „vertrackte Lage“ zu erklären versuchte. Ein Jubel brach los und sofort wurde Sekt besorgt und geköpft. „Sie steht neben mir“, schickte der Anwalt ein Bild an Freunde und Familie.
Wie in einem schlechten Hollywood-Streifen gab es schließlich ein Happy End. Man darf vermuten, dass Bern interveniert hat, damit der peinliche Vorgang durch die Auslieferung der traumatisierten Frau auf die Spitze getrieben wird.
Denn auch die NZZ analysiert, dass sich damit die Schweiz aus einer „unangenehmen Lage“ befreit hat, schließlich hatte Melzer mit einer Verurteilung durch die UNO gedroht, sollte das Bundesgericht die Ausweisung bestätigen. Damit hätte die Schweiz ein Urteil anerkannt – was sie tatsächlich sogar getan hat -, das auf einem durch Folter erzwungenen Geständnis basiert. Das wäre und ist ein Verstoß gegen das Folterverbot, nur durch die Verjährung umgangen. Und, auch das sollte nicht vergessen werden, worauf der Anwalt hingewiesen hat: Das Folteropfer Txapartegi hat in der Schweiz 17 Monate „willkürlich in Haft“ gesessen, die für sie eine Re-Traumatisierung bedeutet hat, wie Experten meinen.
16. September 2017 Ralf Streck
https://www.heise.de/tp/news/Wie-die-Schweiz-sich-als-spanischer-Erfuellungsgehilfe-laecherlich-macht-3834203.html